Stefan Heinlein: Über die Türkei-Reise des Bundeswirtschaftsministers möchte ich jetzt reden mit Martin Wansleben. Er ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Guten Morgen, Herr Wansleben.
Martin Wansleben: Guten Morgen, Herr Heinlein.
Heinlein: Mangelnde Rechtsstaatlichkeit, unterdrückte Justiz, Journalisten und auch Regimekritiker hinter Gittern - warum wollen deutsche Unternehmen dennoch ihr Geld mit und in der Türkei verdienen?
Wansleben: Puh, das ist eine komplizierte Frage. Geschäfte will man machen, wenn sie kurzfristig und vor allen Dingen mittel- und langfristig am Ende vielversprechend sind. Jetzt kann man natürlich genau die Frage stellen: Will und kann man mit der Türkei Geschäfte machen oder nicht? Am Ende muss es jeder selbst entscheiden. Aber die Gegenfrage ist: Wird es in der Türkei besser, wenn wir mit der Türkei nicht mehr reden, oder hat es auch eine Chance, wenn wir die Kontakte halten, auf geschäftlicher Ebene, denn die politischen Herausforderungen kennen wir ja, und zwar nicht nur im Verhältnis mit der Türkei oder in der Türkei, sondern im Verhältnis und in der gesamten Region.
Heinlein: Jeder muss es selbst entscheiden, jeder Unternehmer, jedes Industrieunternehmen. Welche Rolle spielen denn insgesamt Moral, die Achtung von Grundwerten für Industrie und Unternehmen aus Deutschland, wenn sie über Investitionen nachdenken?
Wansleben: Das ist im Moment eine wirklich schwierige Frage. Sie können ja nach China gucken, Sie können nach Russland gucken, Sie können in den arabischen Raum gucken, in viele afrikanische Länder, die Diskussion mit den USA. Wir können das jetzt mal richtig durchgehen und können sagen, wir können eigentlich mit keinem mehr Geschäfte machen, die nicht so sind wie wir. Dann haben wir ein Problem in Deutschland, wirtschaftlich ein Problem, und wir haben möglicherweise auch ein zusätzliches politisches Problem.
Verzicht auf Handel als "Brandbeschleuniger"?
Denn man kann schon den Eindruck gewinnen, wenn Politik erwartet, dass Wirtschaft immer im Gleichlauf mit Politik läuft, immer wenn es politische Schwierigkeiten gibt, dass Wirtschaft sofort jede Tätigkeit einstellt, dass sich dann möglicherweise auch politische Probleme eher wieder hochlaufen und praktisch der Verzicht auf wirtschaftliche Tätigkeit zum Brandbeschleuniger wird. Deswegen sagen wir auf der einen Seite, jedes Unternehmen muss selbst verantworten - keine Frage -, und das zweite ist, wir sagen schon, es ist ein Wert an sich, im Gespräch zu sein, und es ist ein Wert an sich, auf einer fairen Basis Geschäfte zu machen- und ich sage das auch persönlich mit Überzeugung durchaus, und erst recht mit der Türkei.
Heinlein: In dem Rahmen, den Sie gerade beschrieben haben, Herr Wansleben, in welcher Rolle ist jetzt der Bundeswirtschaftsminister unterwegs in der Türkei? Als Türöffner für die deutsche Industrie, oder muss er dafür sorgen, dass deutsche Unternehmen wieder guten Gewissens mit der Türkei Geschäfte machen können?
Wansleben: Wir haben ja mit der Türkei jetzt in den schwierigen Jahren schon die ganze Zeit sehr offene und ehrliche Diskussionsformate. Wir haben ja die ganzen Jahre schon eine Auslandshandelskammer, die ja auch für solche Diskussionen sorgt. Und wir hatten letztens ein Treffen von Wirtschaftsvertretern mit Präsident Erdogan. Und es ist nicht so, dass da nur über schönes Wetter in der Türkei gesprochen wird, sondern da wird schon sehr deutlich von der Wirtschaft adressiert, dass gute Geschäfte bedingen, dass die Verhältnisse in der Türkei so sind, dass Rechtszuverlässigkeit da ist, dass die Mitarbeiter motiviert und gerne da arbeiten, und dass nicht erratische Politik in laufende Geschäfte eingreift und in Konstellationen von Unternehmen. Insofern sorgt auch Wirtschaft mit, dass der Politik in der Türkei klar adressiert wird, was dringend notwendig ist, um Geschäft auf Dauer zu ermöglichen.
Heinlein: Deutsche Unternehmer, deutsche Industrielle haben bereits mit Erdogan gesprochen. So habe ich Sie gerade verstanden, Herr Wansleben. Wie attraktiv - und das haben Sie gerade selber angesprochen - ist denn ein Markt, in den die Politik aktiv eingreift, in der Türkei auch die Zentralbank steuert, politisch die Marktprozesse beeinflusst? Ist das attraktiv für deutsche Unternehmen?
Wansleben: Das wird natürlich adressiert. Nehmen Sie mal ein Beispiel: Wenn Herr Erdogan durch eine Politik in das Bankensystem eingreift, türkische Banken an Bonitätsanmutung verlieren und es Schwierigkeiten gibt mit Akkreditiven von türkischen Kunden, diese in Deutschland anerkannt zu bekommen, dann hat das schon ziemlich handfeste Auswirkungen. Diese Themen werden im Gespräch, wurden im Gespräch mit Herrn Erdogan klar adressiert. Denn ich meine, es hat ja keinen Sinn, darum herumzureden. So ist es ja!
Heinlein: Und Sie hoffen, dass der Bundeswirtschaftsminister diese Bereitschaft von Erdogan, auf die Forderungen der deutschen Wirtschaft einzugehen, noch einmal verstärkt?
Wansleben: Wir haben ja sehr viele Themen angesprochen als deutsche Wirtschaft, direkt im Gespräch mit Herrn Erdogan. Der Präsident hat sehr sorgfältig mitgeschrieben. Er hat auch sehr detailliert geantwortet. Da war ich persönlich überrascht, wie sehr er da im Thema ist. Ich glaube, er hat eine gehörige Portion an Problembewusstsein mitgenommen. Nun ist es so, dass wir ja Tausende von Unternehmen haben - wir reden von 6.500 Unternehmen -, die im Türkei-Geschäft engagiert sind. Deutsche Unternehmen haben da 120.000 Mitarbeiter. Wir sind schon auch ein Faktor in der Türkei, denn die Politik in der Türkei hat ja angesichts einer jungen Bevölkerung die große Herausforderung, Arbeitsplätze anzubieten, und zwar auch auf Dauer wertige Arbeitsplätze anzubieten, viel stärker, wenn sie im industriellen Bereich sind, bei Forschung und Entwicklung, um den jungen Leute eine Aufstiegsperspektive zu geben. Insofern kann Wirtschaften mit der Türkei sehr wohl dazu beitragen, Probleme in der Türkei zu lösen und gleichzeitig die Politik in der Türkei auf eine solche Reise in positiver Hinsicht mitzunehmen.
"Die Türkei ist eine junge Gesellschaft"
Heinlein: Nach den schwierigen Fragen zu Beginn, Herr Wansleben, jetzt eine einfache Frage. Braucht Erdogan deutsche Unternehmen, weil der Türkei wirtschaftlich das Wasser bis zum Halse steht?
Wansleben: Herr Erdogan braucht selbstverständlich deutsche Unternehmen, genauso wie wir als Partner die Türkei brauchen. Wir sind eine alternde Gesellschaft. Die Türkei ist eine junge Gesellschaft. Viele von uns kennen die Türkei noch mit 50 Millionen Einwohnern. Heute haben sie gut 80 Millionen Einwohner. Das heißt, für uns als alternde Gesellschaft ist es wichtig, Partner zu haben, die junge Gesellschaften sind. Und wenn wir ganz ehrlich sind und gucken uns in der Region um - nehmen wir nur mal die Nachbarn der Türkei, die unmittelbaren Nachbarn, Irak, Iran, Syrien -, haben wir doch in jeder Form ein großes Interesse daran, einen Beitrag dazu zu leisten, die Türkei zu stabilisieren. Denn das ist dann wiederum ein nächster Schritt, um in einer guten Form die ganze Region zu stabilisieren.
Heinlein: Ich versuche es noch einmal, Herr Wansleben. Spüren Sie bei Erdogan, bei dem Präsidenten in der Türkei, bei den Gesprächen und bei den anstehenden Gesprächen des Wirtschaftsministers eine Bereitschaft zum Entgegenkommen der türkischen Seite, weil man die deutschen Unternehmen braucht als Investoren vor Ort?
Wansleben: Ja! Ganz eindeutig ja! Bei allen, sagen wir mal, politisch auch unverständlichen Aktionen und auch nicht akzeptablen Aktionen. Da muss man, glaube ich, nicht drüber streiten und nicht verschweigen. Aber es ist so, ja.
Heinlein: Die Lira, die türkische Währung, ist tief im Sinkflug, und das seit Monaten. Das verbilligt ja Exporte und macht Einfuhren aus dem Ausland, also auch aus Deutschland für deutsche Unternehmen aber deutlich teurer. Wird das Türkei-Geschäft zur Einbahnstraße in Zukunft? Droht das zumindest, Herr Wansleben?
Wansleben: Das Geschäft wird erheblich komplizierter, weil in der Türkei angesichts des Lira-Verfalls ein viel zu kompliziertes Devisen-Bewirtschaftungssystem aufgebaut wird, was ein großes Handicap für deutsche Unternehmen und internationale Unternehmen ist. Das geht jetzt hier zu weit, die Einzelheiten zu erklären, aber so kann Realität nicht funktionieren. Und Sie haben völlig recht: Für deutsche Unternehmen ist es im Moment leichter, aus der Türkei zu verkaufen, als in die Türkei zu liefern.
Nun ist es so, dass es selten eine Einbahnstraße ist, sondern es gibt immer Komponenten, die zugeliefert werden, um dann wiederum größere Komponenten, Maschinen, Maschinenteile, in der Türkei zu montieren. Das ist am Ende ein Geben und Nehmen. Der Verfall der Lira ist ein großes Problem für das wirtschaftliche Verhältnis zwischen Türkei und Deutschland. Deswegen - das weiß auch die Regierung - ist das eine wirkliche Achillesferse.
Warnung vor "Wegfall von Wertschöpfung und Beschäftigung"
Heinlein: Blicken wir zum Schluss noch auf ein anderes Land: Saudi-Arabien, Herr Wansleben. Da gibt es spätestens nach dem Fall Kashoggi Forderungen nach dem vollständigen Stopp von Rüstungsgeschäften, auch der Kündigung von bereits unterschriebenen Lieferverträgen. Teilen Sie diese Forderung von Seiten der Politik?
Wansleben: Ich kann sie verstehen, ich kann sie sehr gut verstehen. Wir müssen als Deutsche immer überlegen, dass das für einzelne Unternehmen keine theoretische Diskussion ist, sondern immer eine konkrete Situation ist. Das führt am Ende immer zu einem Wegfall von Wertschöpfung und Beschäftigung. Das muss uns immer klar sein. Das heißt, wir müssen uns immer überlegen, wie reagieren wir, wie agieren wir. Aber in diesem konkreten Fall, glaube ich, gibt es kaum einen, der das nicht verstehen kann.
Heinlein: Jetzt habe ich nicht ganz verstanden, ob Sie Ja oder Nein gesagt haben zu dieser Forderung.
Wansleben: Ich kann mir eigentlich kaum einen vorstellen, der das nicht verstehen kann, dass man im Moment genau das fordert.
Heinlein: Auch bereits bestehende Lieferverträge zu kündigen?
Wansleben: Was sehr schwierig ist und sicherlich zu Ersatzforderungen führen wird der Unternehmen. Denn die müssen ja gucken, wie sie klarkommen. Die können ja selbst keine Politik machen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.