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Dioxin kennt keine Grenzen

Über den Dioxinskandal in Deutschland sind auch die deutschen Nachbarn beunruhigt – hat man doch noch allzu gut in Erinnerung, wie der große Dioxin-Skandal des Jahres 1999 von Belgien auf die Niederlande übergriff. Besonders dort sind die Behörden alarmiert – und auch das niederländische Parlament beschäftigt sich heute mit dem Thema.

Von Kerstin Schweighöfer |
    Die Hauptnachrichten des niederländischen Fernsehens. Die deutsche Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner hat es auch in den Niederlanden zu einiger Prominenz gebracht. Die Öffentlichkeit verfolgt den Dioxinskandal schon allein deshalb so intensiv, weil niederländische Unternehmen im letzten Skandal von 1999 so tief verstrickt waren. Deshalb griff die niederländische Behörde für Lebensmittel und Verbrauchsgütersicherheit NVWA sofort in das Verfahren ein, und kam zu diesem Ergebnis: Die Fehler sind eindeutig in Deutschland gemacht worden. Die niederländischen Firmen haben damit nichts zu tun, so Johan den Hartog. Aber:

    "Es ist leicht, anderen die Schuld zu geben, um die eigenen Hände in Unschuld zu waschen!""

    Den Hartog ist Direktor von "GMP-Plus International", einem Unternehmen, das solchen Skandalen endgültig einen Riegel vorschieben will, denn es verleiht Gütesiegel an Firmen, die an der Herstellung von Tierfutter beteiligt sind. So wie die deutsche "QS Qualität & Sicherheit GmbH" – sie verleiht ebenfalls Prüfzeichen.

    "Seit dem Dioxinskandal in Belgien haben wir unsere Kriterien verschärft. Seitdem dürfen Tierfutterhersteller, die ein Gütesiegel bekommen wollen, nur mit Händlern und Zulieferfirmen ins Geschäft kommen, die bereits ein von uns anerkanntes Prüfzeichen besitzen."

    Inzwischen haben gut 99 Prozent aller niederländischen Tierfutterhersteller und ihre Zulieferer ein solches GMP-Plus-Gütesiegel erworben. Sie müssen sich einmal im Jahr von einem Prüfer kontrollieren lassen. Der deutsche Tierfutterhersteller Harles & Jentzsch, der im Zentrum der Ermittlungen steht, hatte gleich zwei solcher Gütesiegel – ein holländisches von GMP-Plus und ein deutsches von QS – wahrscheinlich deshalb, weil GMP-Plus auch international operiert und in 65 Ländern aktiv ist, während sich die deutschen Kollegen von QS ausschließlich auf den deutschen Markt konzentrieren.
    Was haben aber Gütesiegel dieser Art für einen Nutzen, wenn es doch zu solchen Skandalen kommt?

    "Harles & Jentzsch haben sich nicht an unsere Regeln gehalten. So zum Beispiel hat die Firma Petrotec, von der sie das mit Dioxin verseuchte Fett bekommen haben, keinerlei Gütezeichen, das von uns anerkannt wird. Ganz auszuschließen ist das Risiko einer Dioxinbelastung zwar nie, aber wenn sich alle an die Regeln halten, ist es minimal."
    Harles & Jentzsch sind ihre beiden Gütesiegel inzwischen wieder los. GMP-Plus lässt derzeit untersuchen, ob die unabhängigen Prüfer, die bei jeder Firma einmal pro Jahr die Kontrollen durchführen, schlampig gearbeitet haben - oder ob Harles & Jentzsch mutwillig Verstöße gegen die Regeln zu vertuschen versuchten. Von einem Versehen oder einem Irrtum jedenfalls könne keine Rede sein:

    "Da wurden Stoffe gemischt, die man nie hätte mischen dürfen! Soviel steht fest!"

    Bislang werden Fette für die Tierfutterherstellung nicht getrennt gelagert von Fetten, die für technische Zwecke bestimmt sind. Den Hartog hofft, dass die EU-Minister dies jetzt europaweit zur Bedingung machen. Falls nicht, so kündigt er an, wollen GMP-Plus und auch die deutsche QS dies auf eigene Faust als weitere verschärfte Bedingung für ein Gütesiegel einführen.

    Inzwischen ist aus der Entrüstung der Niederländer über die Vorwürfe aus Deutschland Besorgtheit geworden – zumindest bei Behörden und Parlamentariern: Denn letzte Woche wurden 136.000 möglicherweise mit Dioxin belastete Eier aus Deutschland eingeführt. Die linksliberale Partei D66 hat im Parlament deshalb Fragen eingereicht, die Staatssekretär Henk Bleker vom Landwirtschaftsministerium in Den Haag heute Nachmittag beantworten muss.