Mehr als 200 Anwohner kamen gestern Abend zur Informationsveranstaltung in Hamburg-Mümmelmannsberg. Sie wollten wissen, wie gefährlich die Dioxinverseuchung im Naturschutzgebiet vor ihrer Haustür wirklich ist: "Wir sind indirekte Nachbarn. Wir sind Segelflieger auf dem Flugplatz. Wir gehen da auch mal spazieren in der Gegend und wollen uns das mal anhören, wie groß denn die Gefährdung wohl wirklich ist." "Und ich habe als Kind da gespielt, gerade in den Sechzigern, gerade da im Moor, weil ich da aufgewachsen bin. Und mich interessiert das halt. Man weiß ja nie!"
Dioxinbelastung 24fach über dem zulässigen Grenzwert
Im Herbst letzten Jahres waren Mitarbeiter des städtischen Instituts für Hygiene und Umwelt bei einer großflächig angelegten Bodenuntersuchung auf das Dioxin im Boden gestoßen. Bei einem Mikrogramm pro Kilogramm liegt der Grenzwert für das Gift, in der Bodenprobe aus dem Naturschutzgebiet Boberger Niederung stellten die Laboranten eine Konzentration von 700 Mikrogramm pro Kilogramm fest. Derart hohe Werte konnten bei den nach dem Fund angeordneten Messungen nicht mehr gefunden werden. Im Schnitt ist die Dioxinbelastung auf der etwa einen Hektar großen und längst abgesperrten Fläche aber immer noch 24mal so hoch wie der zulässige Grenzwert.
Umweltsenator: Keine akute Gefahr für die Umgebung
Entwarnung gab Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan für die angrenzende Gegend: "Wir haben in den angrenzenden Wohngebieten keinerlei Belastungen festgestellt. Auch die Oberflächengewässer im Badesee sind unbelastet. Und auch im Grundwasser kann man keine erhöhte Belastung feststellen. Der Bahndamm geht ja im Westen bis zur Altdeponie Havighorster Moor. Auf der Oberfläche des Oberbodens der Deponie sind eben auch keine Befunde gefunden worden." Eine akute Gefahr für die Umgebung gehe von der belasteten Fläche nicht aus, so Kerstan.
Zusätzlich zu den Bodenuntersuchungen analysierte die Hamburger Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz die Daten des Krebsregisters. Ergebnis: Es gab und gibt in der Gegend rund um die Fundstelle keine erhöhte Zahl von Krebserkrankungen. Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks. "Wir haben ja viele Szenarien durchgespielt. Sind immer vom "Worst Case" ausgegangen, haben Bodenproben genommen, haben Proben von Beeren, Pilzen, von den Fischen aus den Angelteichen genommen und unterm Strich keine erhöhte Belastung an Beeren, Pilzen und Fischen. Wir haben auch überlegt: Kann man das aufgenommen haben durch Atemwege, beim Joggen, beim Spazierengehen? Auch das ist zu verneinen. Man muss also schon unmittelbar Boden zu sich genommen haben und auch mehr als einmal aus diesem belasteten Gebiet. Das ist höchst unwahrscheinlich."
Bei der Eingrenzung des betroffenen Areals hatten die Experten der Umweltbehörde auf alte Luftaufnahmen aus den Sechzigerjahren zurückgegriffen. Zu sehen sind dort Aufschüttungen am Rande eines Bahndamms. Genau dort, wo heute ein Wanderweg verläuft, genau dort, wo die erhöhten Dioxin-Werte gemessen wurden. Demnach wurde das Gift zusammen mit Bauschutt im Zeitraum zwischen 1955 und 1965 dort abgekippt.
Umweltbehörde: Dioxinfund trägt "Boehringer-Fingerabdruck"
Woher das Dioxin ursprünglich stammt, ist für Thomas Haupt, den Referatsleiter der Abteilung Altlasten und Boden in der Umweltbehörde, klar: "Die hier dargestellten Verbindungen aus Hexachlorcyclohexan, Chlorbenzolen, Polychlorierten Byphenylen und eben den Polychlorierten Dibenzodioxinen und Furanen ist das, was wir üblicherweise in Hamburg als so genannte 'Boehringer-spezifische Schadstoffe' bezeichnen. Diese Verbindung von Schadstoffen charakterisieren Materialien, die so in Hamburg nur im Werk Boehringer angefallen sind. Und überall, wo wir diese Zusammensetzung finden, sprechen wir davon, dass sie den 'Boehringer-Fingerabdruck' tragen."
Mittlerweile laufen polizeiliche Ermittlungen wegen schwerer Umweltvergehen. Fest steht, dass der dioxinbelastete Boden entweder großflächig versiegelt oder sogar abgebaggert und aufwändig entsorgt werden muss. Erste Gespräche mit Boehringer laufen bereits. Eine Zusage zur Beteiligung an den Sanierungskosten steht aber noch aus. Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan machte aber klar:
"Natürlich erwarten wir jetzt auch von den Produzenten, dass sie auch gesellschaftspolitische Verantwortung übernehmen für ihre Produkte und bei notwendigen Sanierungskosten dann auch Beiträge übernehmen."