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Vertreten, netzwerken, durchhalten
Diplomatie im Wandel

Wer in die Diplomatie geht, muss ein aufwändiges Auswahlverfahren und ein Leben auf gepackten Koffern auf sich nehmen. Zugleich ist es ein Job im Wandel. Botschafterinnen und Botschafter zeigen mehr Profil als früher. Für sie wird das öffentliche Kommunizieren immer wichtiger.

Von Sonja Ernst |
Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP, M), Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag, ihr Ehemann Horst Strack-Zimmermann (l) und Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine in Deutschland, kommen zum Dinner des 69. Bundespresseballs im Hotel Adlon
Auch das gehört zum Job eines Diplomaten: Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP, M), Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag und ihr Ehemann neben Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine in Deutschland, beim Dinner des 69. Bundespresseballs im Hotel Adlon Ende April 2022 in Berlin (picture alliance/dpa/dpa-Pool | Christoph Soeder)
"Darüber ist zu reden mit dem ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk. Schön, dass Sie da sind, Guten Abend. Guten Abend. Herr Botschafter sie gehören zu den härtesten Kritikern von Frank-Walter Steinmeier." Andrij Melnyk, der ukrainische Botschafter in Berlin – seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf sein Heimatland ist er einer breiten deutschen Öffentlichkeit bekannt.
Er kritisierte wiederholt und scharf die deutsche Regierung in Bezug auf Waffenlieferungen, ebenso Berlins Russlandpolitik in der Vergangenheit. Olaf Scholz bezeichnete er öffentlich als „beleidigte Leberwurst“.

Vorwurf der "Megafon-Diplomatie"

Entsprechend viel wird über Andrij Melnyk diskutiert; über seine „Megafon-Diplomatie“ – so die Kritiker – und generell über die Rolle von Botschafterinnen und Botschaftern: Wie viel Zurückhaltung, wie viel Engagement und Öffentlichkeitswirksamkeit sind in der Diplomatie grundsätzlich gefragt - und vor allem zielführend?
 „Ich meine, Herr Melnyk ist in einer absoluten Ausnahmesituation. Er war ja nicht so, bevor der Krieg begann. Derart Kritik an der Regierung eines Gastlandes zu üben, ist, glaube ich, eher nicht die deutsche diplomatische Art. Aber wie gesagt, das ist dieser absoluten Ausnahmesituation geschuldet.“ Gudrun Steinacker ist Ex-Diplomatin. Sie bekleidete im Ausland Positionen bei den Vereinten Nationen, beim Europarat und sie war stellvertretende Botschafterin in Bulgarien. Von 2011 bis 2016 war sie selbst Botschafterin, zunächst im heutigen Nord-Mazedonien, anschließend in Montenegro.
Danach hat Steinacker für das Auswärtige Amt im Rahmen der „Internationalen Diplomatenausbildung“ den Lehrgang für junge Diplomaten vom Westbalkan organisiert und gemanagt. Die heute 71-Jährige kennt die diplomatischen Gepflogenheiten, hat viel Erfahrung gesammelt – auch in schwierigen politischen Situationen, allerdings nicht in Kriegszeiten.
Die damalige deutsche Botschafterin in Mazedonien, Gudrun Elisabeth Steinacker (L) mit ihrer französischen Amtskollegin Laurence Auer (2-L) im Jahr 2013 bei einer Gedenkveranstaltung zum Jahrestag des Endes des Ersten Weltkriegs
Die damalige deutsche Botschafterin in Mazedonien, Gudrun Elisabeth Steinacker (L) mit ihrer französischen Amtskollegin Laurence Auer im Jahr 2013 bei einer Gedenkveranstaltung zum Jahrestag des Endes des Ersten Weltkriegs (picture alliance / dpa | Georgi Licovski)
Das Profil deutscher Botschafterinnen und Botschafter in Friedenszeiten fasst Steinacker knapp zusammen: Man habe vor allem zwei Funktionen: „Das eine ist, mein Land, und zwar unabhängig davon, wer an der Macht ist, zu vertreten und seine Interessen. Und da bin ich natürlich auch weisungsabhängig. Da sagt mir dann das Auswärtige Amt, oder manchmal werden die Entscheidungen auf der ganzen Regierungsebene getroffen, dass ich diese oder jene Position vertreten soll. Und auf der anderen Seite soll ich die Beziehungen zu diesem Land fördern.“

Allein Deutschland hat 154 Botschafterinnen und Botschafter

Weltweit unterhält die Bundesrepublik über 200 Auslandsvertretungen. Dazu gehören 53 Generalkonsulate, sieben Konsulate – und 152 Botschaften mit zurzeit 154 Botschafterinnen und Botschaftern: Die Vertretungen in Schweden und Slowenien werden aktuell im Jobsharing geleitet. Die Botschaften sind unterschiedlich groß, teils mit bis zu 300 Mitarbeitenden.
Über die Besetzung eines Botschafterpostens entscheidet das Bundeskabinett – und zwar auf Vorschlag des Auswärtigen Amtes. Dieser Besetzung muss das jeweilige Gastland zustimmen. Anschließend ernennt der Bundespräsident die Person zum Botschafter, der dann wiederum als politischer Beamter an die Weisungen des Auswärtigen Amtes gebunden ist.

Nicht alle Botschafter suchen die Öffentlichkeit

Wie die Arbeit konkret umgesetzt wird, da haben Botschafter – vor allem auf der Kommunikationsebene – Spielräume: „Ich selber bin Anhänger der These, dass Botschafter rausgehen müssen, dass sie an die Öffentlichkeitsfront gehen müssen", sagt der ehemalige Diplomat Martin Erdmann. Er trat Anfang der 1980er-Jahre in den Auswärtigen Dienst ein. Er war Sprecher des Auswärtigen Amtes unter Leitung der früheren Außenminister Klaus Kinkel und Joschka Fischer; ebenso NATO-Botschafter in Brüssel. Und zuletzt von 2015 bis 2020 Botschafter in Ankara.
Erdmann: „Also mein Selbstauftrag lautete immer, dort hinzugehen, wohin ich eingeladen werde, oder gelegentlich mich auch mal aufzudrängen, jedenfalls mein Büro zu verlassen, um draußen wahrgenommen zu werden und um die Positionen und Interessen Deutschlands erläutern zu können. Das kann man trotzdem verbindlich machen. Dazu muss man nicht aggressiv sein.“
Der deutsche Botschafter Martin Erdmann erkundigt sich am 18.12.2017 an der Tür des Frauengefängnisses im Stadtteil Bakirköy in Istanbul (Türkei) nach der Freilassung der bisher inhaftierten deutschen Journalistin Mesale Tolu.
Der deutsche Botschafter Martin Erdmann erkundigt sich am 18.12.2017 an der Tür des Frauengefängnisses im Stadtteil Bakirköy in Istanbul (Türkei) nach der Freilassung der bisher inhaftierten deutschen Journalistin Mesale Tolu. (Can Merey/dpa)
Doch nicht alle Botschafterinnen und Botschafter suchen im gleichen Maße die Öffentlichkeit. „Ich glaube, es ist fair zu sagen, dass deutsche Botschafter und Botschafterinnen eher so ein Profil der nüchternen Professionalität haben; dass sie im Vergleich zu vielen Amtskollegen auch aus anderen Ländern relativ wenig Profil zeigen und das auch mit Absicht", sagt Sarah Brockmeier vom Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Die Politikwissenschaftlerin arbeitet unter anderem zur deutschen Außenpolitik. „Nur sehr wenige deutsche Botschafterinnen und Botschafter sind in der breiteren Öffentlichkeit in dem Land, in dem sie arbeiten, heute präsent oder haben ein wirklich öffentliches Profil.“
Sie würden im Auswärtigen Amt jedoch nicht unbedingt als Vorbilder gelten, so Sarah Brockmeier. Dabei sollte sich das Profil von Botschafterinnen und Botschaftern ihrer Meinung nach im 21. Jahrhundert in diese Richtung verändern. Und zwar:  „Dass dieses Kommunizieren in eine Öffentlichkeit hinein immer wichtiger werden wird. Also dass der überhaupt ein Profil hat und dass jemand, ein normaler Bürger oder eine Bürgerin, einen Botschafter erkennen würde.“

Manche setzen stark auf Social Media

In seinen jeweiligen Gastländern erkannt wurde Martin Kobler. Der frühere Büroleiter des ehemaligen Außenministers Joschka Fischer war UN-Sondergesandter in Libyen und Leiter der UN-Friedensmission im Ostkongo. Als Botschafter hat Kobler die Bundesrepublik in Ägypten, im Irak und von 2017 bis 2019 in Pakistan vertreten. Während dieser Zeit setzte er unter anderem stark auf soziale Netzwerke.
Kobler: „Ich habe das zum Beispiel in Pakistan probiert und habe von null angefangen, ein Twitteraccount, und habe mich da auch ein bisschen in die Innenpolitik eingemischt – mit kontroversen Themen. Das hat dazu geführt, dass ich nach zwei Jahren Pakistan mit 250.000 Followern verlassen habe.“ Kobler konnte über die sozialen Medien unmittelbar die Öffentlichkeit erreichen und in den direkten Dialog gehen. Doch nicht nur die Kommunikationsformen und das allgemeine Auftreten der Botschafterinnen und Botschafter ändern sich.
Martin Kobler im Jahr 2015 zu seiner Zeit als UN-Sondergesandter für Libyien neben der damaligen- and EU-Außenpolitikerin Federica Mogherini
Martin Kobler im Jahr 2015 zu seiner Zeit als UN-Sondergesandter für Libyien neben der damaligen- and EU-Außenpolitikerin Federica Mogherini (picture alliance / AP Photo | Mandel Ngan)
„Damals, als ich eingetreten bin, waren Frauen wirklich eine Rarität. Ich war der 33. Lehrgang, der 1978 dann die Attaché-Ausbildung begonnen hat. Und wir waren 39 Attachés – und ich war die einzige Frau", sagt Gudrun Steinacker. Das Geschlechterverhältnis verschiebt sich jedoch langsam aber sicher. Zwar sind unter den aktuell 154 Botschaftern nur 31 Frauen. Aber der Frauenanteil im Auswärtigen Amt liegt inzwischen insgesamt bei 50 Prozent, nur eben unterschiedlich über die verschiedenen Laufbahnen verteilt. Die Einstellung zum höheren Dienst erfolge mittlerweile fast paritätisch, so das Auswärtige Amt. Das bedeutet, dass es – auf lange Sicht – mehr Botschafterinnen geben wird sowie insgesamt mehr Frauen auf Leitungsebenen.
Die Anforderungen an männliche wie weibliche Diplomaten indessen wachsen: „Die Aufgabenbeschreibung des Botschafters / der Botschafterin hat sich in den letzten 20, 30 Jahren drastisch verändert", sagt Ex-Diplomat Martin Kobler. Und das bezieht er vor allem auf die wachsende Zahl der Krisenländer, in denen Botschafter tätig sind. Er selbst hat immer wieder in instabilen, gefährlichen Ländern gearbeitet. Dazu zählt auch seine Zeit als Botschafter im Irak, in der Hauptstadt Bagdad – von 2006 bis 2007.  „Das war eine ganz schwierige Zeit. Wir hatten Terroranschläge, jeden Tag um die Botschaft herum. Wir hatten einen Beschuss der Botschaft. Das heißt, Sie werden durch Personenschützer geschützt, wenn Sie was machen wollen.“

Wenn der Botschafter einbestellt wird

Fragen der Sicherheit seien zentral, dürften einen Botschafter aber auch nicht lähmen, so Kobler. Und auch nicht wichtige diplomatische Fähigkeiten beeinträchtigen. Nämlich: „Dass man sich auf das Gastland einlässt. Also man soll nicht mit Stereotypen kommen, sondern wirklich offen in ein Gastland rein. Den Gesprächspartner, die Gesprächspartnerin ernst nehmen, das ist, glaube ich, ganz wichtig. Respekt ist ganz wichtig, unabhängig davon, ob man einer Meinung ist oder nicht. Aber der Respekt ist ganz wichtig.“
Respekt und Offenheit seien umso wichtiger, wenn die bilateralen Beziehungen zwischen Berlin und dem Gastland angespannt sind, so Kobler. Auszug Tagesschau: „Der deutsche Botschafter in der Türkei ist erneut in das Außenministerium in Ankara einbestellt worden.“ Martin Erdmann wurde als Botschafter in der Türkei 25 Mal zu Gesprächen einbestellt, die er dann mit Spitzendiplomaten des türkischen Außenministeriums führte. „Das Ganze spielt sich in der Regel in einer zivilisierten Form ab, nämlich bei einer Tasse Tee und in gedämpftem Ton, man brüllt sich also nicht an, sondern das Ganze ist ein zivilisiertes Gespräch zwischen Profis, aber durchaus in der Sache ernst und zugespitzt.“
Für Erdmann war seine Aufgabe – nämlich Kontakt zu den Regierungsstellen zu halten – teils schwierig. Zwischenzeitlich war er ohne Zugang zu türkischen Regierungsstellen. „Das heißt, wenn also die offizielle Seite, aus welchen Gründen auch immer, einen gewissen Gesprächs-Bann auferlegt, dann muss man genügend Kontaktpartner im Hintergrund haben, mit denen man die Dinge erledigen kann, die anstehen und mit denen man weiter im Gespräch bleibt.“

Der Rückkanal

Zu den zentralen Aufgaben der Botschaften gehört darüber hinaus auch der Rückkanal, also über das Gastland nach Berlin zu berichten. Und zwar möglichst korrekt, sagt Martin Kobler. „Das ist, finde ich, sehr oft ein Fehler, dass man schreibt und berichtet, damit es Berlin gefällt. Das ist eine weit verbreitete Krankheit. Man muss schon so berichten, wie man das meint. Aber dann das natürlich auch aushalten, wenn Berlin anders entscheidet. Wir sind Beamtinnen und Beamte, wir sind in einem Loyalitätsverhältnis zum Auswärtigen Amt und dann muss man auch entgegengesetzte Entscheidungen akzeptieren.“
Es gehöre zum Geschäft, so Kobler, als Botschafter aus einem Land zu berichten und in Berlin mitunter auch auf wenig Interesse oder eine andere Bewertung der Lage zu stoßen. „Aus Pakistan habe ich sehr kontrovers berichtet und das Auswärtige Amt hat sich nicht so richtig dafür interessiert. Ich würde sagen, ich bin nicht frustriert, weil ich habe die andere Seite ja auch kennengelernt. Es gibt manchmal andere politische Erwägungen in Berlin, als man das vor Ort eben so erkennt. Und damit muss man leben.“
Zugleich ist aber auch Berlin in der Verantwortung. Im Sommer 2021 gab es aus der Botschaft in Kabul, der afghanischen Hauptstadt, Warnungen, dass das Botschaftspersonal gefährdet sei. Die radikalislamischen Taliban waren auf dem Vormarsch. Laut Medienberichten sollen die Warnungen im Auswärtigen Amt in Berlin zunächst nicht gehört worden sein. Mitte August wurde das Botschaftspersonal evakuiert, die Vertretung in Kabul ist seitdem geschlossen.
Ganz grundsätzlich gilt: Wie gut und umfassend Diplomaten über die jeweiligen Gastländer berichten können, hängt auch vom Personal der Botschaften ab. Hier sieht die Politikwissenschaftlerin Sarah Brockmeier Nachholbedarf: „Was definitiv oft fehlt, ist das Personal für die politische Analyse in Krisenländern. Zum Beispiel gab es in Afghanistan, was ja ein Schwerpunktland für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik jahrelang war, nur einen einzigen politischen Referenten – ganz lange. Und auch im Irak oder in Mali fehlt es an dem Personal für die politische Analyse, für die Kontakte zur Politik vor Ort, zur Zivilgesellschaft, zu Partnern. Und das machen andere Länder, auch Partnerländer Deutschlands, teilweise wirklich besser.“
Das sei mit Blick auf Deutschland keine Frage von mehr Personal, sondern es gehe um eine andere Auf- und Verteilung personeller Kapazitäten, findet Sarah Brockmeier: „Andere Partnerländer Deutschlands haben teilweise ein anderes Verhältnis von der Anzahl von Diplomatinnen und Diplomaten, die zu Hause in der Hauptstadt sind und denen, die in Botschaften sind. Mittlerweile arbeiten mehr deutsche Diplomatinnen und Diplomaten in Berlin als an den mehr als 220 Auslandsvertretungen. Und das wäre in den meisten Partnerländern Deutschlands nicht denkbar.“

Vor- und Nachteile des Rotationsprinzips 

Für die Verteilung des Personals ist das Rotationsprinzip mitentscheidend, das aber nicht für alle Mitarbeitenden im Auswärtigen Amt gilt. Die Hälfte der rund 12.000 Mitarbeitenden sind lokal Beschäftigte – vor Ort an den verschiedenen Auslandsvertretungen. Sie haben meist die Staatsangehörigkeit des Gastlandes. Die anderen rund 6.000 Mitarbeitenden – zumindest ein großer Teil von ihnen – unterliegt der Rotation, so das Auswärtige Amt. Sie wechseln alle drei bis vier Jahre den Dienstort: von Berlin ins Ausland, vom Ausland zurück nach Berlin oder von einem Auslandsposten zum nächsten. Auch Botschafter wechseln in diesem Turnus.
„Der Sinn der Rotation ist, dass man nicht die Interessen des Gastlandes in Deutschland vertritt, sondern dass man deutsche Interessen im Gastland vertritt. Also man muss natürlich das Gastland sehr gut kennen und kennenlernen, aber wenn man länger da ist, identifiziert man sich zunehmend stark mit den Interessen des Gastlandes", sagt Ex-Diplomat Martin Kobler. Denn unter Umständen tendiere man sonst dazu, zu viel Verständnis für ein Gastland aufzubringen.
Wie jemand konsequent die Interessen des Heimatlandes vertrete, das mache Andrij Melnyk deutlich. Und das trotz der Tatsache, dass er bereits seit sieben Jahren als ukrainischer Botschafter in Deutschland ist.  „Das ist ja so ein Beispiel, wie ein Botschafter sehr vehement und sehr offensiv die Interessen seines Landes Ukraine in Deutschland vertritt. Er wirbt ja nicht in der Ukraine dafür, dass wir dies und das nicht liefern können an Waffen, sondern er sagt ja, die Ukraine möchte, dass 123 geliefert wird.“
 Grundsätzlich ist Kobler mit Blick auf deutsche Diplomatinnen und Diplomaten ein Verfechter des Rotationsprinzips. Die Arbeit in Berlin oder Bonn „erde“, so der Ex-Botschafter. Sarah Brockmeier sieht im Kontext der Rotation aber auch Schwierigkeiten, die vor allem das Wissensmanagement betreffen. „Aus meiner Sicht ist es ein Riesenproblem, dass das Auswärtige Amt kein systematisches Wissensmanagement betreibt, weil der Mehrwert von Diplomatie und von Botschaften heute ist nicht eine Informationshoheit in der Medienwelt, die wir heute haben, sondern es ist eben das Vernetzen und die Kontakte vor Ort und international über verschiedene Politikfelder hinweg zusammenzuführen.“
Die Rotation sei oft nachteilig. Durch eine fehlende Systematik seien Aufarbeitung und Transfer von Wissen stark an die einzelnen Personen gebunden. „Und das heißt, es ist eine unglaubliche Verschwendung von Ressourcen. Weil immer wieder Wissen verloren geht.“
Doch während in einigen Bereichen aufgrund der vielen Krisen und Konflikte die Rolle von Botschafterinnen und Botschaftern wichtiger wird, nimmt ihre Bedeutung andernorts ab, weil es in gewisser Weise konkurrierende Strukturen gibt. So vertreten deutsche Diplomatinnen und Diplomaten die Bundesrepublik auch bei der UN, NATO oder OSZE: Sie übernehmen ähnliche Aufgaben wie ihre Kolleginnen und Kollegen, die in einem Gastland eine Botschaft leiten. Auch bei der Europäischen Union in Brüssel hat Deutschland eine ständige Vertretung.

Einsatz in einem Krisenland

Gerade im Kontext der Europäischen Union verlören die Botschafter in den anderen EU-Ländern teils an Einfluss, findet die frühere Diplomatin Gudrun Steinacker. „Die EU-Minister treffen sich ja alle naselang, auch die EU-Regierungschefs. Und dann wird dort entschieden und Politik gemacht. Das hat in der Tat die Diplomatie verändert und kann auch dazu führen, dass man als bilateraler Botschafter so ein bisschen am Rande steht.“
Wie viel Wirkung eine Botschafterin oder ein Botschafter tatsächlich entfalten kann, hängt zudem davon ab, ob das Gastland ein Konflikt- oder Krisenland ist. In kleineren und mittleren Ländern wiederum sind die Zugänge zu Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft meist unmittelbarer möglich als etwa in den USA oder Kanada. Entscheidend ist auch, wie die Beziehungen des jeweiligen Landes zu Berlin generell sind. Und natürlich auch die Politik im Gastland selbst.
Als Botschafter in der Türkei musste sich Martin Erdmann stark um den Dialog mit der Regierung bemühen; teils wurde er zum Blitzableiter, wenn die Beziehungen zwischen Ankara und Berlin kriselten. Und zu seinen Aufgaben gehörte auch die Haftbetreuung deutscher Staatsangehöriger. „Das war für mich, all die Gefangenen, die ich über die Jahre betreut habe, in verschiedensten Gefängnissen, sehr, sehr belastend.“
Während Erdmanns Zeit in Ankara, waren der Journalist Deniz Yücel, die Journalistin Mesale Tolu, der Menschenrechtler Peter Steudtner und andere inhaftiert. Seine vorrangige Aufgabe damals beschreibt Erdmann so:  „Es war belastend, weil die Aussichtslosigkeit vieler einzelner Haftfälle so groß war. Dennoch habe ich diese Besuche ganz regelmäßig gemacht, weil ich klarstellen wollte, auch wenn ihr sie verhaftet und hinter Gitter steckt: Wir wissen, dass sie hier sind, und wir werden sie nicht vergessen.“