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Diplomatische Beziehungen Israel und VAE
Primor: Eine wichtige Entwicklung, aber kein historischer Tag

Israel habe mit den Golfstaaten schon seit Jahren wichtige Beziehungen, sagte Avi Primor im Dlf. Der ehemalige Botschafter Israels erklärte, dass die Vereinbarung lediglich Kontakte auf diplomatischer Ebene ermögliche. Ob es tatsächlich dazu komme, stehe auf einem anderen Blatt.

Avi Primor im Gespräch mit Christoph Heinemann |
Donald Trump (r), Präsident der USA, und Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident von Israel, treffen zu einer Zeremonie im Ostsaal des Weißen Hauses ein.
Israels Staatschef Netanjahu und US-Präsident Trump bei Gesprächen im Weißen Haus im Januar 2020 (picture alliance / Alex Brandon)
Der amerikanische Präsident Donald Trump verkündete die Einigung zwischen Israel und den Vereinigte Arabischen Emiraten (VAE), diplomatische Beziehungen aufzunehmen als außenpolitischen Erfolg. Ein Erfolg, den er besonders im Wahlkampf gut gebrauchen kann. Voraussetzung für die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen: Israel soll vorerst auf die Annexion von Palästinenser-Gebieten im Westjordanland verzichten.
Blick aus seinem Fenster auf Kinder auf der Straße im Westjordanland
Nahostkonflikt - Israels Annexionspläne im Westjordanland
Israel will ab Juli Teile des Westjordanlandes zu seinem Staatsgebiet erklären. Das sieht auch Donald Trumps sogenannter Friedensplan für den Nahen Osten vor. Nicht nur die dort lebenden Palästinenser sind entsetzt – auch international stößt das Vorhaben auf Kritik.
Der ehemalige israelische Botschafter Avi Primor sagte im Dlf, dass Israel und die Golfstaaten vor allem durch wirtschaftliche Intressen verbunden seien. Außerdem würden die Golfstaaten nach Verbündeten gegen den Iran suchen, dabei seien sie sowohl auf Israel als auch auf die USA angewiesen. Ein wirkliches Interesse an den Belangen der Palästinenser haben die Arabischen Emirate - nach Ansicht Primors - nicht. Darum könne es sein, dass es nach einer möglichen Wiederwahl Trumps im November zwar diplomatische Beziehungen geben wird, die Palästinensergebiete aber dennoch annektiert würden, weil Trump dann unter Umständen keinen Druck mehr auf Israel ausüben wird.

Christoph Heinemann: Herr Primor, Benjamin Netanjahu spricht von einem historischen Tag, Sie auch?
Avi Primor: Nein. Ich glaube, dass das, was wir gestern gehört haben, eine sehr wichtige Entwicklung ist, ein historischer Tag ist das nicht. Zunächst einmal ist es nicht der erste arabische Staat, der mit uns vielleicht diplomatische Beziehungen aufnimmt, der den Staat Israel anerkennt. Ägypten, wie Sie schon gesagt haben, und Jordanien, die erheblich wichtiger für uns sind, unsere unmittelbaren Nachbarn, haben es schon längst getan und haben tatsächlich auch diplomatische Beziehungen aufgenommen, weil es die Golfstaaten noch nicht getan haben. Wir wissen noch nicht, ob und wann sie es tun, sie sind ja sehr zurückhaltend. Netanjahu war sehr sagen wir erfreulich mit seiner Erklärung, aber die Golfstaaten selber waren etwas zurückhaltend. Der Grund ist sehr einfach: Wir erwarten alle im Nahen Osten die Wahlen in Amerika im November, und es hängt sehr viel davon ab, wer dann gewählt wird. Wenn es Trump wieder ist, dann wird es diplomatische Beziehungen geben und wird es noch wieder andere Sachen geben zugunsten Israel und nicht unbedingt zugunsten Israel. Wenn aber Trump die Wahlen verliert, dann ist das ein ganz anderes Spiel, und wir wissen gar nicht, wo wir hingehen. Wie auch immer, und das ist das Allerwichtigste: Wir haben mit den Golfstaaten schon jahrelang in der Tat sehr wichtige Beziehungen. Wir haben dort eine Botschaft, die sich nicht Botschaft nennt, das ist inoffiziell. Wir haben sehr wichtige Wirtschaftsbeziehungen, sehr wichtige, für beide Seiten, sodass das Ganze nicht wirklich so eine Bedeutung hat wie Nachbarstaaten Ägypten und Jordanien.
Primor: Netanjahu hat die Annektierung nur verschoben
Heinemann: Herr Primor, wieso hängen die Beziehungen zwischen Israel und den Golfstaaten vom Wahlausgang in den USA ab?
Primor: Weil Netanjahu unter Druck der Amerikaner auf die Annektierung von Teilen des Westjordanlandes verzichtet hat, sonst hätte so etwas nicht stattfinden können. Er hat darauf verzichtet, aber nicht für die Ewigkeit. Er hat gesagt, er hat es verschoben. Natürlich sind seine Anhänger, besonders aus dem extrem rechten Lager, sehr enttäuscht, und das kann für ihn auch gefährlich werden. Er hofft, dass wenn im November Trump wiedergewählt wird, wird er, Trump, keinen Druck auf Netanjahu mehr ausüben, und Netanjahu wird trotz allem das Westjordanland oder einen Teil davon annektieren können. Deshalb warten auch die Golfstaaten auf die amerikanischen Wahlen, um zu sehen, wie das ausgeht.
"Die Staaten haben wenig Interesse für die Palästinenser"
Heinemann: Wenn diese Annexion nicht vom Tisch ist, was ist dieses Abkommen dann wert?
Primor: Wie gesagt, wir haben ja schon tatsächliche Beziehungen, seit langer, sehr geraumer Zeit mit diesen Golfstaaten, und nicht nur mit diesen, auch mit anderen, von denen man heute von zukünftigen diplomatischen Beziehungen spricht, wie Katar, Bahrain, Oman – das ist alles (unverständlich). Diese Staaten haben wenig Interesse für den Nahen Osten und wenig Interesse für die Palästinenser, die sie überhaupt nicht interessieren. Was sie heute bewegt, sind zunächst einmal die wirtschaftlichen Beziehungen, die für sie wichtig sind, auch mit Israel, und vor allem die Sorge vor dem Iran. Das ist jetzt die große Frage. Deshalb steht auch Saudi-Arabien hinter dieser Entwicklung der Beziehungen mit Israel, weil was sie wirklich besorgt, ist der Iran, und sie brauchen alle Hilfe gegen den Iran, das heißt vor allem die Vereinigten Staaten, die in Bezug auf Israel Druck auf diese Staaten ausüben, und auch von Israel.
Was ist Netanjahus Vorstellung von einer Zweistaatenlösung?
Heinemann: Könnte in diesem Zusammenhang Israel auch noch einmal über eine Zweistaatenlösung nachdenken?
Primor: Das muss Israel machen, und wenn Netanjahu an der Macht bleibt, wird er wahrscheinlich wieder wie ja schon in der Vergangenheit darüber sprechen und davon sprechen. Nur die Frage ist, was meint er damit. Er hat selber in seiner Rede gestern erklärt, er meint eventuell einen Palästinenserstaat in Teilen des Westjordanlandes – des besetzten Westjordanlandes, der andere Teil wird von Israel annektiert – und wird ein Staat von Israel umzingelt sein, der nicht alle Rechte haben wird, zum Beispiel keine Flugbeziehungen, keinen direkten Kontakt mit dem Ausland, und in dem israelische Siedlungen existieren werden unter israelischem Recht, die Siedler werden die israelische Staatsangehörigkeit bekommen. Das ist wirklich, wie Netanjahu selber gestern gesagt hat: Würden Sie das einen Staat nennen wollen, dann nennen Sie es eben einen Staat, das ist in Ordnung.
Heinemann: Klingt inakzeptabel für Palästinenserinnen und Palästinenser.
Primor: Natürlich ist das inakzeptabel für die Palästinenser und Palästinenserinnen, nur müssen wir uns daran erinnern, dass jedes Mal seit den 30er-Jahren, als man den Palästinensern ein Angebot gemacht hat, der mit Kompromissen verbunden war, haben es die Palästinenser immer abgelehnt. Deshalb haben sie immer danach ein kleineres Angebot bekommen, und das ist heute auch der Fall. Die Frage ist, wenn die Palästinenser so schlecht stehen und so unter Druck stehen, würden sie es nicht besser tun, etwas zu akzeptieren, als Ansatzpunkt zumindest, als immer alles ablehnen und mit nichts bleiben. Das ist eine ewige historische Frage, zu der die Palästinenser noch keine Antwort gegeben haben, noch nie.
"Die Palästinenser sollten das Angebot als ersten Schritt annehmen"
Heinemann: Sie sind Diplomat, was wäre akzeptabel?
Primor: Für die Palästinenser?
Heinemann: Ja.
Primor: Was Netanjahu denen anbietet, ist natürlich nicht akzeptabel, aber sie sollten es als ersten Schritt annehmen und sagen, okay, dann bekommen wir einen teilautonomen Staat, den man unabhängig nennt, wir bekommen internationale Anerkennung als Staat, und dann bemühen wir uns weiter, unseren Staat auf- und auszubauen. Das ist der einzige Weg, den wir haben, weil sie überhaupt machtlos sind. Sie haben weder die Unterstützung der Amerikaner noch die Unterstützung der arabischen Welt, und das ist entscheidend. Von dem Iran können sie sehr wenig bekommen. Also besser etwas anzunehmen und dann weiter sich zu bemühen, als immer alles absagen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.