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Direktversicherung im Alter
Rentner protestieren gegen doppelte Beiträge

Millionen Menschen mit betrieblicher Altersvorsorge stehen vor einem Problem: Direktversicherte sollen von ihrer Lebensversicherung Krankenkassenbeiträge abführen, obwohl sie während ihrer Berufsjahre schon für ihr volles Gehalt Sozialabgaben gezahlt haben. Die Betroffenen sprechen von Enteignung.

Von Anke Petermann | 25.10.2019
Ein Rentner und eine Rentnerin überquerten in Berlin-Zehlendorf eine Straße.
Durch die doppelten Beiträge werden die Betriebsrenten häufig unrentabel (dpa/Wolfram Steinberg)
Für die Altersvorsorge habe er alle Register gezogen, sagt Michael Urschbach, früher Maschinenbau-Ingenieur bei Daimler in Wörth. Auch die dringlichen Appelle von Politikern hätten ihn veranlasst, die Eigenverantwortung ernst zu nehmen.
"Ich hab' 1996 eine Direktversicherung abgeschlossen, damals in Höhe - nach heutigem Stand - von 100.000 Euro."
Der Auszahlung aber folgt ein Bescheid der Krankenkasse: Die fordert von diesem Betrag 19.000 Euro Beiträge. Eine Minusrendite, folgert Urschbach.
Rudolf Birkmeyer (links) und Michael Urschbach vom Verein Direktversicherungsgeschädigter kämpfen dagegen, dass ihre Altersvorsorge durch doppelte Kassenbeiträge geschmälert wird. In Landau nahmen die Sprecher der Regionen Pfalz und Karlsruhe/Rastatt das 3.000 Mitglied (in den 2015 gegründeten Verein) auf. 
Rudolf Birkmeyer (links) und Michael Urschbach vom Verein Direktversicherungsgeschädigter, hier mit dem 3.000 Vereinsmitglied (Deutschlandradio / Anke Petermann)
"Das heißt, ich habe mehr eingezahlt, als ich rausbekam. Das ist der Grund, warum wir auf die Barrikaden gehen." Mit "wir" meint Urschbach die 3.000 Mitglieder des "Vereins Direktversicherungsgeschädigter", doch insgesamt sind sechs Millionen Menschen von der sogenannten Doppel-Verbeitragung betroffen.
Viele werden beim Renteneintritt überrascht
Die meisten von ihnen noch berufstätig und ahnungslos. Wie sich das 2004 geänderte Gesundheitsmodernisierungsgesetz auf ihre Altersvorsorge auswirkt, bekommen sie erst bei Renteneintritt mit.
"Die meisten Betroffenen fallen aus allen Wolken, wenn sie diese Direktversicherung, das ist ja eine Kapital-Lebensversicherung, ausbezahlt bekommen. Dann bekommen sie vier Wochen später den Bescheid von ihrer Krankenkasse: 'Bitte zahlen sie auf diesen Auszahlungsbetrag in Monatsraten 19 Prozent Beiträge auf den ausgezahlten Betrag. Und das zehn Jahre lang.'"
"Die Krankenkasse will von mir insgesamt 17.100 Euro, und ich hab ja damals in der Ansparphase für das Geld schon meine Sozialversicherung entrichtet", ergänzt Rudolf Birkmeyer, vormals ebenfalls bei Daimler.
Seit 2012 zieht die Betriebskrankenkasse 143 Euro monatlich ein. Geld, das der Rentner eigentlich in Urlaube und die Unterstützung der Enkel investieren wollte. "Diebstahl" nennt Birkmeyer die sogenannte Doppel-Verbeitragung, die rückwirkend in bestehende Verträge eingreift - wie 2004 von der rot-grünen Bundesregierung Schröder geplant, erinnert sich Michael Urschbach:
"Die Krankenkassen waren ja 2004 in einer ziemlichen Schieflage, da haben - glaube ich - acht Milliarden Euro gefehlt, und man brauchte dringend Geld. Und Rot-Grün, aber auch CDU/CSU als Opposition, fanden diese Idee gut, und sie wurde dann auch beschlossen."
Dagegen konnten auch Widersprüche bis vors Bundesverfassungs- und Bundessozialgericht nichts ausrichten.
Gesetzesänderung unwahrscheinlich
Die Betroffenen sind auf eine erneute Gesetzesänderung angewiesen. Sich für Änderungen stark zu machen, das haben die Zuständigen aller im Bundestag vertretener Fraktionen dem "Verein Direktversicherungsgeschädigter" zugesichert, doch Gesundheitsminister Spahn scheiterte mit einem entsprechenden Vorstoß am Widerspruch von Kanzlerin Merkel. Als die FDP wieder mal die Abschaffung der doppelten Beiträge forderte, sagte die CDU-Politikerin unlängst in einer parlamentarischen Fragestunde:
"Im Übrigen kann ich hier nicht einfach mit einem Ja sagen, dass wir das verändern, diese Praxis mit der Doppel-Verbeitragung. Wir haben unter den prioritären Vorhaben in der Bundesregierung leider keine Finanzen eingeplant für diese Maßnahme."
Rund acht Milliarden Euro wären nötig, um zu beenden, was Direktversicherungsgeschädigte als Enteignung betrachten. Zu welchen Anteilen diese Summe aus Steuermitteln finanziert oder von den Krankenkassen erbracht werden sollte - darüber streiten sich die Bundestagsfraktionen. Und so lange, so fürchten die Betroffenen, ändert sich für sie erstmal nichts.