"Ich heiße Rafael Kubelik, ausgesprochen "Kubeliek", aus Böhmen, aus der Tschechoslowakei, bin Sohn des Geigers Jan Kubelik, bin geboren in einer Zeit, wo eben der Erste Weltkrieg ausgebrochen ist, wo eigentlich eine ganz neue Welt kam."
Nicht zufällig beginnt der Pianist, Komponist, vor allem aber Dirigent die Beschreibung seiner Herkunft mit der Erwähnung des Vaters, eines durch Plattenaufnahmen schon vor 1914 berühmt gewordenen Starviolinisten.
Klavier- und Geigenspiel sind selbstverständlich
Rafael Kubelik wird am 29.6.1914 in eine musikalisch geprägte, aufgrund der aristokratischen Herkunft der Mutter und der Erfolge des Vaters auch materiell wohlsituierte Familie geboren. Musik gilt hier alles. Das Klavier- und Geigenspiel sind für Rafael und seine fünf älteren Schwestern eine Selbstverständlichkeit, mit vier Jahren beginnt der Unterricht, und schon als Neunjähriger probiert er sich als Komponist - eine Tätigkeit, die ihm der Vater zunächst streng verbietet.
"Er war schon damals in seinem Herzen und seinem Wesen ein Künstler, der gewusst hat dass man suchen muss, die Qualität, und dass ein Fortschritt des inneren Wachstums nur durch Hingabe und Konzentration und durch fast philosophische Einstellung in diesem humanistischen Geist erzwingen muss wenn er überhaupt ein Mensch sein soll der einmal glücklich sein könnte."
Dirigieren als sinnvolle Ergänzung
Der Vater verlangt vom Sohn ein gründliches akademisches Studium, und Rafael Kubelik akzeptiert die väterliche Autorität. Er studiert in Prag und legt mit dem Vortrag einer eigenen Komposition für Violine sein Examen ab. In den Dreißigerjahren begleitet er den Vater am Klavier auf ausgedehnten Tourneen und erwirbt sich erste Erfahrungen als Dirigent. Im Gegensatz zu berühmten Kollegen wie Gustav Mahler, Wilhelm Furtwängler oder Leonhard Bernstein ist für ihn Dirigieren, Musizieren und Komponieren kein innerer Widerspruch, sondern eine sinnvolle Ergänzung.
"Ich habe es immer so verstanden dass es meine private Sprache ist, dass ich damit nicht herausgehen soll, (..) ich habe nicht komponiert, um zu komponieren, ich habe komponiert um das auszusprechen was ich empfinde, was ich fühle, was ich erlebt habe,(..) öffentlich bin ich mehr als Dirigent tätig aber ohne komponieren könnte ich nicht leben, ich könnte auch nicht dirigieren, wenn ich nicht komponieren würde."
International gefragter Dirigent
Mit 22 Jahren dirigiert er das berühmte Orchester der tschechischen Philharmonie, als dessen künstlerischer Leiter übersteht er die schwierigen Jahre der deutschen Besatzung, kann aber die nach dem Krieg entstehende neuerliche Unfreiheit 1948 nicht mehr akzeptieren. Er verlässt seine Heimat und wird schnell ein international gefragter Dirigent. Eine tiefe, in der Tradition des legendären böhmischen Musikantentums verwurzelte Musizierfreude, die Liebe zu einem eher weichen Klangbild und eine Herzlichkeit, die mitunter mit Naivität verwechselt wird, zeichnen seine Musik wie seine Persönlichkeit aus.
Chefdirigent des Bayerischen Rundfunks
Er setzt sich für Gustav Mahler, vor allem aber für Leos Janacek ein und stößt damit nicht immer auf offene Ohren. So lassen den kompromisslosen Widerständen an verschiedenen Orten nach kurzer Zeit resignieren: Als Leiter des Chicago Symphony Orchestra, des Covent Garden Opera House und der New Yorker Met scheitert er nach mitunter kurzer Zeit. Erst beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks findet er 1961 die Bedingungen, die er braucht - und bleibt dem Orchester bis zu seinem krankheitsbedingten Rückzug 1979 als Chefdirigent verbunden.
1968, nachdem die Truppen des Warschauer Paktes in Prag einmarschiert sind, veranlasst Kubelik eine Protestresolution, der viele internationale Musiker beitreten. Immer glaubt er daran, eines Tages doch noch ein freies Prag erleben zu können. Als nach dem Fall der Mauer der ehemalige Dissident und nunmehrige Präsident Vaclav Havel ihn darum bittet, kehrt er nach 42 Jahren zurück und dirigiert - fünf Jahre vor seinem Tod 1995 - das emotional wohl bewegendste Konzert der tschechischen Musikgeschichte: "Mein Vaterland" von Bedrich Smetana.