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Diskriminierung in Polen
Regierungsgelder für Anti-LGBT-Gemeinden

In Polen erhalten Kommunen, die sich zur "LGBT-freien Zone" erklärt haben, Geld aus dem Staatshaushalt. Eine Kompensation für gestrichene EU-Gelder, sagt die PiS-Regierung. Kritiker sehen darin eine Belohnung homophober Politik.

Von Florian Kellermann |
Proteste in Warschau der LGBT Community
Proteste der LGBT-Community in der polnischen Hauptstadt Warschau (imago-images.de/Eastnews)
Michal ist 19 Jahre alt, wohnt in Tuchow und ist homosexuell. In der südpolnischen Stadt kennt er keinen anderen Schwulen. Homosexualität existiert in Tuchow mit seinen 6.500 Einwohnern nicht in der Öffentlichkeit. Und auch Michal gibt sich lieber nicht zu erkennen:
"Solange ich kein Regenbogen-Symbol trage, habe ich kein Problem. Aber mit einem Regenbogen-Anstecker müsste ich schon vorsichtiger sein. Die Leute erkennen den Regenbogen – und sofort gibt es schiefe Blicke."
Selbst in der nächstgrößeren Stadt mit etwa 100.000 Einwohnern kennt Michal nur eine Handvoll Menschen mit seiner sexuellen Orientierung. Auch dort bleiben Schwule lieber verborgen.
Stadtratsbeschluss gegen "LGBT-Ideologie"
Das öffentliche Leben in der Region könnte also konservativer kaum sein – und trotzdem hat der Stadtrat von Tuchow vor über einem Jahr einen Beschluss gefasst, der sich gegen die LGBT-Community richtet, also gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans-Menschen. Die Stadt müsse frei bleiben von der "LGBT-Ideologie", denn – so wörtlich – Radikale strebten eine kulturelle Revolution an, die die Meinungsfreiheit bedrohe und die sexuelle Unschuld der Kinder.
Was bedeutet LGBT(IQ*)?
LGBT/LSBT steht für lesbisch, schwul, bisexuell und transgender. Die Bezeichnung dient als Sammelbegriff für ein diverses Feld von (Geschlechter-)Identitäten. Manchmal wird IQ (oder IQ*) ergänzt, um auch queere, intersexuelle (und weitere Identitäten) einzubeziehen. Mehr Informationen bietet etwa das LSBTIQ-Lexikon der Bundeszentrale für politische Bildung.
Das blieb auch im Ausland nicht unbemerkt. Die französische Gemeinde Saint-Jean-de-Braye setzte die Städtepartnerschaft, die 26 Jahre gehalten hatte, aus. Der Vorsitzende des Stadtrats von Tuchow, Stanislaw Obrzut von der Regierungspartei PiS, zeigte sich im nationalkatholischen Radio Maryja unbeeindruckt: "Wir werden uns keinem Druck beugen. Wir werden den Beschluss, der die 'LGBT-Ideologie' aufhalten soll, nicht zurückziehen."
Mit der so genannten LGBT-Ideologie verbindet Stanislaw Obrzut zum Beispiel Schulunterricht, der über verschiedene sexuelle Orientierungen aufklärt. Auch Vertrauenspersonen an Schulen, an die sich homosexuelle Jugendliche wenden können, darf es für ihn nicht geben.
Zunächst schien es, als habe die Hartnäckigkeit der Lokalpolitiker unangenehme Konsequenzen. Die EU-Kommission strich Tuchow – wie auch anderen Gemeinden – Fördergelder im Rahmen von Städtepartnerschaftsprogrammen, umgerechnet knapp 20.000 Euro. Die Begründung: Die Beschlüsse verletzten fundamentale Bürgerrechte.
Belohnt die Regierung homophobe Politik?
Doch dann meldete sich Justizminister Zbigniew Ziobro zu Wort. Er versprach eine Kompensation für die betroffenen Gemeinden: "Wir unterstützen hier eine Gemeinde, die gut funktionierende Familien fördert und die sich einer Ideologie widersetzt, die mit der polnischen Tradition und dem polnischen Recht unvereinbar ist. Der polnische Staat lässt nicht zu, dass so eine Gemeinde von der EU-Kommission unter Druck gesetzt wird."
Aktivistin klebt Aufkleber an ein Verkehrsschild
Als Lesbe in der "LGBT-freien-Zone"Die polnische Schülerin Alicja wird in ihrem Dorf beleidigt und ausgegrenzt, weil sie lesbisch ist. Homophobe Einstellungen führten in vielen polnischen Kommunen sogar zu Gesetzen. Viele Homosexuelle verlassen das Land, doch Alicja lässt sich dadurch von ihrem Kampf für LGBT-Rechte nicht abhalten.
Tuchow bekommt aus dem polnischen Haushalt nun mehr als das Dreifache dessen, was vorher aus Brüssel fließen sollte. Das Geld ist für die freiwillige Feuerwehr bestimmt. Damit habe Ziobro den Stadtoberen aus der Klemme geholfen, meint Michal enttäuscht:
"Es gab schon die Hoffnung, dass die Lokalpolitiker ihre Beschlüsse revidieren. Aber jetzt sehen sie, dass das, was sie machen, ihnen nicht nur Pluspunkte bei der PiS-Zentrale in Warschau bringt, sondern dass sie sogar noch mehr Geld bekommen als vorher. Damit gibt es gar keine Chance mehr, dass sie das überdenken könnten, was sie getan haben."
Geld aus Fonds für Opfer von Gewaltverbrechen
Die Mittel, die nun an die Stadt fließen, stammen aus dem sogenannten Gerechtigkeits-Fonds. Er soll eigentlich den Opfern von Gewaltverbrechen helfen. Justizminister Ziobro benutze diesen Fonds immer öfter, um seine politische Agenda zu verfolgen, sagte Aleksandra Redisz von der Denkfabrik "Polityka Insight" im Radiosender TOK FM:
"Das Problem mit diesem Fonds ist, dass der Minister das Geld nach völlig unklaren Kriterien vergeben kann. Deswegen geht das Geld auch an Stiftungen von Personen, die mit Ziobros Partei 'Solidarisches Polen' verbunden sind oder an kirchliche Einrichtungen."
Die Abgeordneten von "Solidarisches Polen" gehören im Parlament der Fraktion der Regierungspartei PiS an. Von der PiS kommt zwar häufig Kritik an Ziobro, nicht aber an der Unterstützung der Anti-LGBT-Gemeinden.
Der 19-jährige Michal wünscht sich indes, dass die Partnerstädte von polnischen Kommunen weiterhin darauf drängen, dass dort niemand diskriminiert wird.