Es gibt keine "Menschen-Rassen" und ebenso wenig eine Grundlage, Menschen rassistisch zu diskriminieren. Daher fordern viele, den Begriff Rasse aus dem Grundgesetz zu streichen - dort heißt es im Artikel 3, dass niemand benachteiligt werden darf aufgrund seiner Rasse. Ihr Argument: Wenn es keine Rassen gibt, dann sollte dieser Begriff auch nicht mehr verwendet werden. Kritiker befürchten jedoch, damit werde verdeckt, dass es in Gesellschaften trotzdem Vorstellungen von Rasse gibt und zu rassistischer Diskriminierung führen.
Emilia Roig, Direktorin und Gründerin des Center for Intersectional Justice, hält es für falsch, den Begriff zu streichen. Seine Verwendung bedeute nicht, dass man die Existenz von Rassen bestätige. Vielmehr erkenne man damit an, dass diese soziale Kategorie nach wie vor Diskriminierung produziere.
Nicht die Identitäten, sondern die Systeme beleuchten
Intersektionalität beschäftigt sich mit der Verschränkung von unterschiedlichen Diskriminierungsformen, von unterschiedlichen Unterdrückungssystemen. "Und es ist wichtig zu betonen, dass wir uns nicht vorrangig mit den Identitäten beschäftigen, sondern mit den Systemen, die diese Identitäten produziert. Wir werden nicht als schwarz, weiß, männlich, weiblich, behindert, nicht behindert, geboren - obwohl das für viele kontraintuitiv klingen mag. Sondern wir werden Frau, Mann, weiß, schwarz, behindert von den Systemen gemacht", sagt die Rassismusexpertin.
Alle soziale Kategorien seien konstruiert. Und das Argument, Rasse sei ein Konstrukt, also als Begriff zu löschen greife nicht – genauso könnten wir andere Kategorien löschen: "Die sind alle konstruiert, das ist ein Fakt."
"Rassismus hat sich durch Hitler materialisiert"
Der Begriff Rasse werde mit der Nazivergangenheit in Verbindung gebracht und erzeuge ein Unbehagen. Der Diskurs um den Begriff und seine Streichung diene nun vor allem dazu, dieses Unbehagen zu beseitigen. Das würde aber Rassismus nicht bekämpfen sondern im Gegenteil dazu führen, dass "eine rechtliche, soziopolitische Kategorie fehlt, die in den wichtigen internationalen Rechtsdokumenten wie etwa der UN-Anti-Rassismuskonvention, der Anti-Rassismusrichtlinie der EU oder der Eu-Menschenrechtskonvention verwendet wird".
Es müsse nun viel Arbeit geleistet werden in Bezug auf kollektive Heilung. Wichtig dafür sei vor allem die Erkenntnis, dass der Nationalsozialismus nicht der Ursprung von Rassismus und dieser damit ein "Unfall in der Geschichte" sei. Vielmehr stehe ein viel älteres System dahinter, das bis heute existiere und mit dem es sich zu konfrontieren gelte.
"Absicht ist nicht relevant"
Sie nehme immer diese Angst wahr, selbst auch als Teil des Systems gesehen zu werden, so Emilia Roig. "Aber es ist unmöglich zu entkommen. Niemand kann behaupten, von Rassismus nicht betroffen zu sein - sowohl passiv als auch aktiv."
Wir fokussierten uns aber auf die Seite der Betroffenen, die nach ihren Rassismuserfahrungen gefragt würden. Doch man könne genauso gut fragen: Wann haben Sie sich zuletzt rassisitisch geäußert oder wann haben Sie zuletzt Rassismus perpetuiert - auch unbewusst? "Absicht ist nicht relevant. Wir machen das auch täglich, ich auch. Wir sind so geprägt von diesen Vorstellungen, von den Darstellungen und von der Hierarchie, dass es uns allen passiert und das müssen wir erst mal akzeptieren."
Emilia Roig spricht sich dafür aus, Diskriminierung aus einer multidimensionalen Perspektive anzugehen, also nicht nur die Perspektive der Betroffenenen beleuchten, sondern auch die Perspektive der Menschen, die von System privilegiert sind. Sie begrüßt die Diskussionen über Polizeigewalt, über strukturellen und systemischen Rassismus und sieht aktuell die Bereitschaft, "ein bisschen tiefer in die Thematik reinzugehen und zu akzeptieren und ihre Egos ein bisschen zu dezentrieren. Und das ist nötig, wenn wir Rassismus angehen wollen als Gesellschaft und einheitlich".