"Wenn wir uns auf eine Definition des Begriffs "Frieden" einigen könnten, wäre so manches Problem in der Welt gelöst. Aber das schaffen wir nicht, denn der Mensch ist ein kriegerisches Wesen, er organisiert sich um ideologische Anschauungen herum, zum Beispiel eine religiöse Überzeugung, die von Natur aus Gräben aufreißt, innerhalb der Gesellschaft und gegenüber anderen Gesellschaften."
Boualem Sansal machte den Zuhörern im gut besetzten Saal der Leipziger Stadtbibliothek nicht viel Hoffnung. Sansal, ehemals ein hoher Beamter in der algerischen Staatsverwaltung, wurde bereits vor Jahren seines Postens enthoben, nachdem er in einen Roman die Zerstörung gesellschaftlicher und staatlicher Strukturen durch eine islamistische Unterwanderung kritisierte. Seit Langem erscheinen Sansals Werke nicht mehr in seiner Heimat, und sein aktueller Essayband "Allahs Narren" hat ihm gar erneute Morddrohungen eingebracht. Auch der neueste Roman der israelischen Autorin Lizzie Doron mit dem verunglückten Titel "Who the fuck is Kafka" findet in Israel keinen Verleger. Die 1953 in Tel Aviv geborene Autorin berichtet darin sehr persönlich über ihre Freundschaft zu einem palästinensischen Journalisten, dessen Familie in Ost-Jerusalem lebt und an der israelischen Siedlungs- und Sicherheitspolitik fast zerbricht.
"Wenn wir über Freiheit sprechen, suchen wir dabei nach großen politischen Konzepten. Aber für die Freiheit zu kämpfen bedeutet für mich nicht, für ein Konzept zu kämpfen. Ich kämpfe für die Freiheit eines Freundes. Ich habe jemanden kennengelernt, der wegen meines Volkes lebt wie in einem Gefängnis. Ich denke, das ist der wichtige Moment, nicht nur für Schriftsteller, sondern für jeden Menschen. Jemanden kennenzulernen, ist der erste Schritt zum Verständnis und zur Akzeptanz der Andersartigkeit."
Streit um die Macht der Begegnung
Nadim, das ist der Name des Journalisten aus Ost-Jerusalem, den Lizzie Doron auf einer der zahlreichen, bis jetzt ergebnislosen Friedenskonferenzen zum Nah-Ost-Konflikt kennenlernte. Die Israelin und der Palästinenser beschließen ihre Freundschaft in einem Film zu erzählen, doch der Plan scheitert an Straßensperren, Bombendrohungen, und dem mangelnden Vertrauen von Institutionen und Geldgebern. Immerhin: Lizzie Doron veröffentlichte ihr intimes und auch selbstkritisches Buch über die Begegnung mit ihrem palästinensischen Freund, über das falsche Gut-Böse-Schema und die Dramatik des Nah-Ost Konflikts in persönlichen Lebenswelten.
"Mein Buch habe ich für mein Volk geschrieben. Ich wollte, dass die Israelis ihre Nachbarn kennenlernen. Aber der einzige Ort, an dem mein Buch nicht gelesen wurde, ist Israel. Ich war mir immer sicher, dass Literatur keine Grenzen kennt, aber die erste Grenze habe ich dann in meiner Heimat gefunden. Wenn wir also über die Freiheit reden, müssen wir auch über die Freiheit der Literatur sprechen. Was müssen wir tun, damit Literatur zu einem Werkzeug wird, mit dem man Empathie für die Themen erzeugt, über die Boualem Sansal und ich schreiben?"
Wo Lizzie Doron an die Macht der persönlichen Begegnung glaubt und davon in ihren Büchern berichtet, ist der Algerier Boualem Sansal weniger optimistisch. Schon in der Dankesrede zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels sprach er 2011 von einer "leider sehr realen dschihadistischen Internationale", die keinen Frieden, sondern nur den gewaltsamen Sieg kenne. Kurz zuvor war Sansal als erster algerischer Schriftsteller nach Israel gereist, was ihm erneut eine Morddrohung einbrachte, dieses Mal seitens der palästinensischen Terrorgruppe Hamas. Ein Schriftsteller, der wegen seiner Werke mit dem Tod bedroht wird und sich dennoch nicht einschüchtern lässt – vielleicht ist das ein perfider Beweis für die Macht der Literatur. In all seinen Büchern beschäftige ihn die Frage, was neben unserer Biologie das universelle Merkmal sei, das alle Menschen auf der Erde verbinde, sagt Sansal. Womöglich ist es eine der wichtigsten Aufgaben der Literatur, genau das herauszufinden.