Diskussionsteilnehmer: "Wir wollen ja nicht die Energiewende torpedieren."
Robert Habeck: "Ihr springt doch jetzt in Eurer Argumentation. Die Planungen sind doch jetzt verändert worden. Sie müssen die Leute auch mitnehmen und ganz viele Leute sind dagegen."
Doktor Jörg Funk und seine Pelzmützen tragenden Mitstreiter denken bei Heimat nicht zuerst an Horst Seehofer oder das neue in Berlin geplante Heimat-Ministerium, sondern diesen Schleswig-Holsteinern geht es um ihr Dorf und um die neue verhasste Stromtrasse. Die macht alles kaputt, sagt Antje Willer, Demonstrantin aus dem Nest Parin in Ostholstein:
"Unsere Heimat ist direkt von dieser Zerstörung betroffen. Wir haben Seeadler, Kraniche, wir haben einen wunderschönen Wald, der zerschnitten und gerodet wird. Und somit geht unsere Heimat kaputt. Und das unter Billigung eines Ministers der grünen Partei."
Der heißt Robert Habeck, ist Landes-Energieminister und will hier an diesem Abend eigentlich über Heimat diskutieren, aber schon draußen auf den Treppenstufen vor dem Veranstaltungssaal wird der Grünenpolitiker umringt von aufgebrachten Bürgern:
"Es geht auch durch Natura-2000-Gebiete. Das sind also unter höchstem europäischen Schutz stehende Gebiete … das kann's nicht sein."
So regt sich Jörg Funk auf mit seinen 78 Jahren.
"Einen Ort finden, an dem man sich wohlfühlt"
Andere mischen sich wieder ein in die Diskussion, und die Themen purzeln wild durcheinander: Es geht um Flucht und Vertreibung, damals und heute, und über das Gefühl, selbst nicht gehört zu werden von Politikern. Antje Willer findet die Idee mit dem geplanten Heimat-Ministerium in der neuen Großen Koalition deshalb ganz gut:
"Weil man sich auch auf Heimat wieder besinnen muss, gerade in der Zeit, in der wir leben, auch einen Ort zu finden, an dem man sich wohlfühlt, wo soziale Netzwerke gebaut werden, wo man Kinder großziehen kann. Ich denke, das ist ganz wichtig."
Auch der Name AfD fällt mehrmals, wobei alle im Grüppchen da gucken, als hätten sie in eine Zitrone gebissen. Jörg Funk, der aufgebrachte Naturschützer, der eigentlich Orthopäde im Ruhestand ist, beruhigt sich erst wieder, als er seine persönliche Heimat-Idee beschreibt:
"Na ja, unsere Buchenwälder, unsere Flüsse."
Das Beste am Norden ist doch, wenn man hier wohnen darf, sagt Jörg Funk plötzlich auf Plattdeutsch und strahlt. Dann wird er ernst und erzählt, wie er als Fünfjähriger mit den Eltern vor den Nazis floh, erst nach Schwerin, dann nach Lübeck.
"Aber den Begriff Heimat dafür brauch ich nicht unbedingt. Ich kenn noch die Leuten, als der GröFaZ sagte, für die Landschaft ist mir keine Autobahn zu schade, oder umgekehrt, nein, also da müssen wir nicht wieder zurück."
Robert Habeck philosophiert fast
Während die Demonstranten draußen kleine weiße Atemwölkchen in die kalte Luft stoßen, steht drinnen im Saal Robert Habeck. All die Themen, über die sie sich draußen schon die Köpfe heiß diskutieren, werden gleich auch bei der Podiumsdiskussion eine Rolle spielen. Und sie beschäftigen auch den Grünen-Parteichef:
"Es ist vielleicht fast schon eine philosophische Frage, ob Begriffe, die vom politischen Mitbewerber versucht werden zu definieren, damit für die Debatte verloren gegangen sind. Das ist ja nicht nur Heimat, das ist Leistung. Oder Freiheit. Oder Deutschland?!"
Die Heimatzeitung "Lübecker Nachrichten" hat eingeladen, ein paar hundert überwiegend ergraute Zuhörer sitzen auf voll besetzten Stuhlreihen, ausgerechnet im Identität stiftenden Hansemuseum – einem symbolträchtigen Ort in der stolzen Kaufmannsstadt Lübeck. Habeck:
"Sprache definiert unsere Wirklichkeit. Und Begriffe sind Fixpunkte für gesellschaftliche Debatten. Deswegen sollte man versuchen, den Kampf um Begriffe auch offensiv zu führen."
Dieser Versuch geht quer durch fast alle Parteien. Die CSU hat mit "HeimatHorst", dem künftigen Heimat-Bundesminister eine neue – freilich eher humorvolle – Wortschöpfung bei Twitter. Die AfD fordert im Bundestag, Deutsch als Landessprache im Grundgesetz zu verankern, und die Gleichstellungsbeauftragte im SPD-geführten Familienministerium möchte die Nationalhymne ändern und lieber "Heimatland" sagen, statt "Vaterland".
"Suche nach Vorstellungen, die Halt oder Geborgenheit geben"
"Wir müssen den Begriff Heimat besetzen, und wir müssen auch wieder Stammtische besetzen", meint Schleswig-Holsteins früherer Regierungschef Peter Harry Carstensen, CDU, der gleich mit auf dem Podium sitzen wird. Gemeinsam mit Robert Habeck, einer Lehrerin, und zwei Moderatoren.
Der Abend changiert zwischen klamaukartigen Wortspielen und ernsten politischen Analysen. Robert Habeck erwähnt Donald Trump und den Brexit:
"Ich will nur beschreiben, dass man gerade spürt und sieht, dass wir in einer Umbruchszeit leben. Das ist wie ein politisches Exil, in das die Menschen gerade gehen. Also suchen sie ganz logischerweise nach den Vorstellungen, die Halt oder Geborgenheit geben."
Die verfehlte Integrationspolitik in Cottbus, die Essener Tafel, die Obergrenze – alles kommt in den folgenden zwei Stunden aufs Tableau. Es geht um Identität, und immer wieder um die Flüchtlingspolitik. Christdemokrat Carstensen erinnert an die Aufnahme der Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg – einige von ihnen sitzen im Publikum:
"Und dann kommt immer einer, der springt auf und sagt: Das waren aber Deutsche! Da hab ich gesagt: Wisst Ihr, wie Ihr mit denen umgegangen seid?! Da habt Ihr nicht gesagt, das sind Deutsche, sondern: Die kommen aus Ostpreußen, und die sind katholisch, und was weiß ich alles."
Geteilte Meinungen über das neue Heimat-Ministerium
Die Flüchtlinge hätten der Heimat nicht geschadet, sondern gut getan, sagt Carstensen, und es folgt eifriges Nicken im Publikum. Richtige Zufriedenheit will sich am Ende des Abends trotzdem nicht einstellen. Eine Rentnerin, die lange in den USA gelebt hat, vermisst in Deutschland den Patriotismus. Auch die Ansichten über das neue Heimat-Ministerium in Berlin bleiben geteilt. In Wahrheit nur ein "Anti-AfD-Ministerium", wie "Die Zeit" neulich schrieb?
"Das braucht es meines Erachtens nicht unbedingt, und schon gar nicht, wenn Herr Seehofer das macht", sagt ein Rentner zum Ende des Abends.
Er ist Lokalpatriot aus dem Norden, deshalb die Volte gegen Horst Seehofer. Die Heimat an sich mag er nämlich sehr gern. Sein Vater kommt hierher, und seine Mutter auch, und irgendwie ist er mit allem hier verwachsen, sagt er auf Plattdeutsch.