Archiv

Diskussion über Verantwortung für Eskalation
G20-Proteste: Krawalle, Festnahmen und viele Verletzte

Am Abend vor dem G20-Gipfel ist es in Hamburg zu schweren Ausschreitungen gekommen. Die von Linksautonomen organisierte Demonstration unter dem Motto "Welcome to Hell" - Willkommen in der Hölle - ist am Abend eskaliert, die Polizei griff hart durch. Auf beiden Seiten gab es Verletzte. Polizei und Veranstalter geben sich gegenseitig die Schuld. Seit dem frühen Morgen gibt es neue Demonstrationen.

    Polizisten laufen in Hamburg im Schanzenviertel an einer brennenden Barrikade vor der Roten Flora entlang.
    Polizisten vor der Roten Flora im Hamburger Schanzenviertel (Axel Heimken/dpa)
    Gegen 16 Uhr hatte die Kundgebung auf dem Hamburger Fischmarkt begonnen, rund 12.000 Menschen protestierten friedlich gegen die Politik der G20. Als sich der Demostrantionszug gegen 19 Uhr wie geplant Richtung Messehallen in Bewegung setzte, wurde er nach rund 100 Metern von der Polizei gestoppt. Sie setzte Pfefferspray und Wasserwerfer ein und trieb die Menge auseinander. Nach ihren Angaben hatten sich etwa 1.000 Vermummte unter die Demonstranten gemischt. Nach Darstellung unseres Korrespondenten war die Demonstration bis dahin friedlich.
    Gegenseitige Schuldzuweisungen
    Polizei und Veranstalter machen sich gegenseitig für die Eskalation der Lage verantwortlich. Für die Polizei war der Auftritt der Vermummten der Grund für das harte Duchgreifen. Ein Polizeisprecher sagte, eine Vermummung in einem Aufzug sei ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz und werde nicht geduldet. Die Polizei hat nach eigener Darstellung versucht, den "Schwarzen Block" der Linksautonomen von den friedlichen Demonstranten zu trennen - dann hätte die Kundgebung fortgesetzt werden können. Dies sei aber nicht gelungen.
    Nach eigenen Angaben wurde sie mit Steinen, Flaschen und Feuerwerkskörpern sowie mit Latten angegriffen. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Malchow, hat das Vorgehen der Beamten bei den G20-Protesten in Hamburg gegen Kritik verteidigt. Es sei richtig gewesen, Vermummte von anderen Demonstranten zu trennen, sagte Malochow im Deutschlandfunk. Gerade aus der Anonymität heraus würden häufig Straftaten begangen. Er räumte allerdings ein, dass es schwierig zu bewerten sei, ob die Polizei adäquat vorgegangen sei.
    Die Veranstalter von "Welcome to Hell" warfen der Polizei ein unverhältnismäßiges Vorgehen vor. Noch während man Demonstranten aufgefordert habe, ihre Vermummung abzulegen, sei die Polizei bereits massiv gegen Protestierende vorgegangen.
    Das bestätigt auch unser Landeskorrespondent Axel Schröder. Er habe mitbekommen, wie die Demonstrationsleitung mit dem Schwarzen Block darüber verhandelte, dass sich die Teilnehmer wieder "entmummen". Viele hätten das auch bereits getan. Offenbar ging der Polizei das aber nicht schnell genug. Die Beamten seien daraufhin mit Pfefferspray in die Menge gegangen. Schröder berichtete im Deutschlandfunk, nach allem, was er wisse, sei die Gewalt von der Polizei ausgegangen. Sie habe die Demonstration ohne Grund attackiert. Es sei zuvor keine Gewalt von den Teilnehmern ausgegangen.
    Erinnerungen an die Loveparade-Katastrophe
    Schröder sagte, er habe am eigenen Leibe erfahren, wie die Polizei mit einem "irren Tempo" auch Unbeteiligte zur Seite geschoben habe. Er habe sich gerade in der Hafenstraße mit den Mauern an die Loveparade-Katastrophe in Duisburg im Jahr 2010 erinnert gefühlt.
    Schröder betonte, man möge den Linken unterstellen, dass sie immer nach einem Anlass suchten, um sich mit der Polizei anzulegen. Diesen Anlass hätten sie heute aber "nicht wirklich" geliefert. Ähnlich schildert das auch der NDR. Die globalisierungskritische Initiative Attac sprach von einer "Eskalation mit Ansage", für die die Sicherheitskräfte verantwortlich seien.
    Krawalle bis tief in die Nacht
    Nach dem Ende der Demo kam es bis tief in die Nacht in der Innenstadt immer wieder zu Straßenschlachten, Schaufenster wurden zerstört, Autos angezündet, Barrikaden errichtet, Verkehrsschilder aus ihrer Verankerung gerissen. Auf beiden Seiten ist von etlichen Verletzten die Rede. Erst nach Mitternacht beruhigte sich die Lage.
    Am frühen Morgen waren im Hamburger Schanzenviertel überall Spuren der Verwüstung zu sehen: ausgebrannte Autos und demolierte Bankautomaten, ganze Straßenzüge waren mit Glasscherben und herausgerissenen Pflastersteinen bedeckt. Seit den Morgenstunden ist die Stadtreinigung mit den Aufräumarbeiten beschäftigt. "Es hätte schlimmer kommen können", so die Bilanz eines Feuerwehrsprechers.
    Bundesregierung sieht keine Rechtfertigung für Gewalt
    Regierungssprecher Steffen Seibert machte deutlich, dass es keine Rechtfertigung für gewalttätigen Protest gebe. Er twitterte am späten Abend ein Zitat von Kanzlerin Angela Merkel aus einem Interview mit der "Zeit" und kritisierte damit die gewalttätigen Demonstrationen:
    Seit 6 Uhr bis Samstagnachmittag 17.00 Uhr gilt in Teilen der Innenstadt ein Versammlungsverbot. Dann soll das G20-Treffen enden. Bis dahin sind noch zahlreiche Protestaktionen geplant, einige davon mit Gewaltpotenzial. Am Morgen versammelten sich wieder hunderte Demonstranten an den Landungsbrücken und am Berliner Tor. Es kam zu vereinzelten Rangeleien mit der Polizei.
    Eine Gruppe namens "Block G20 - Colour the red zone" hat angekündigt, in die engste Hochsicherheitszone vordringen zu wollen, am Abend ist eine "Revolutionäre Anti-G20-Demo" angemeldet. Gipfelgegner wollen im Laufe des Tages zudem mehrere Anfahrtsrouten lahmlegen, auch eine Blockade der Hafen-Logistik ist geplant. Insgesamt wurden für den Gipfel-Zeitraum rund 30 Kundgebungen bei den Behörden angemeldet. Mindestens 19.000 Polizisten sollen das internationale Spitzentreffen der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer sichern.
    (rm/mw)