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Diskussion um Alkoholverbot
Kriminologe: "Feiersüchtige" unzugänglich für Vernunft

Bei der Polizei entstehe im Umgang mit Feiernden Unmut darüber, dass man es mit so vielen sturen und wenig zugänglichen Menschen zu tun habe, sagte der Kriminologe Rafael Behr im Dlf. Ein Alkoholverbot auf bestimmten Plätzen könne die Polizei konsequenter durchsetzen als ein Verkaufsverbot.

Rafael Behr im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
Im Schlosspark Stuttgart am 18.07.2020
Alkohol sei immer ein Beschleuniger für Aggressionen im öffentlichen Raum, so Kriminologe Rafael Behr im Dlf (imago / Max Kovalenko)
Laut einer Umfrage des ZDF nach den Ausschreitungen in Stuttgart und Frankfurt befürworten 66 Prozent der Deutschen ein Alkoholverbot auf bestimmten Plätzen. Allerdings, es gibt auch viele Menschen, die das ablehnen, vor allen Dingen die jüngeren Menschen.
Alkohol sei immer ein Beschleuniger für Aggression im öffentlichen Raum, sagte Rafael Behr, Professor für Polizeiwissenschaften, Kriminologe und Soziologe. "Da kommt die Hitze dazu, dann kommt die Vergemeinschaftung dazu, dann kommt noch Testosteron dazu, aber Alkohol ist eine ganz entscheidende Größe in diesem Bereich." Derzeit kämen viele Menschen hedonistisch und narzisstisch daher, "die eigentlich für die polizeiliche Ansprache, die ja auf Vernunft basiert, unzugänglich sind." Das erzeuge bei der Polizei ein "Motivationsloch". Ein Alkoholverbot auf bestimmten Plätzen sei "zumindest eine konsequentere Maßnahme" als ein Verkaufsverbot. Denn ein Verbot könne die Polizei auch sinnvoll durchsetzen. Beim Verkaufsverbot entstünden unendlich viele Diskussionen. Da "wird es darum gehen, ich habe gar keinen gekauft, ich habe den ja mitgebracht".
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Jürgen Zurheide: Fangen wir mal an mit den Erfahrungen, die Einsatzkräfte in diesen Tagen machen. Sie müssen ja erst mal sich selbst schützen und andere vor sich selbst schützen. Welche Erfahrungen machen die Kolleginnen und Kollegen vor Ort?
Rafael Behr: Nun ja, das ist das große Paradox in der Polizeiarbeit, dass man notwendigerweise Distanzen unterschreiten muss, um Menschen daran zu hindern, Distanzen zu unterschreiten, um die Wiederherstellung von Distanz zu ermöglichen. Und das fällt natürlich schwer, weil man sich selbst auch in Gefahr begibt. Ich glaube, insbesondere entsteht gerade ein Unmut bei der Polizei, dass man es mit so vielen sturen und wenig zugänglichen Menschen, die so hedonistisch und narzisstisch daherkommen, zu tun hat, die eigentlich für die polizeiliche Ansprache, die ja auf Vernunft basiert, unzugänglich sind. Das macht schon ein Motivationsloch und fällt schwer, weil man mit dem geringsten Einsatzmittel Erfolg erzielen muss – und das ist bei Leuten, die extrem selbstbezogen und feiersüchtig sind, das ist sehr schwer.
"Polizisten können sich auf diese Diskussion gar nicht einlassen"
Zurheide: Jetzt haben wir ja zwei Aspekte. Wir haben die Feiersüchtigen, wie Sie sie gerade nennen, die wir in verschiedenen Städten sehen. Und wir haben auf der anderen Seite die Leugner, die wir heute in Berlin sehen. Welche Möglichkeiten haben Sie überhaupt, da reinzugehen, anzusprechen? Staat muss Ordnung herstellen. Ordnung und Gesetze sind nur solange sinnvoll, wie sie auch durchgesetzt werden.
Behr: Genau, das nenne ich die Verpolizeilichung des Coronageschehens, dass jetzt nicht mehr mit Argumenten für die Gesundheit und die Vernunft geredet wird, sondern tatsächlich um polizeiliche Anordnungen und die Nichtbefolgung oder Befolgung polizeilicher Weisungen. Und das verschiebt so ein bisschen den Inhalt, aber auch den Konflikt insgesamt, weil die Polizisten sich auf diese Diskussion gar nicht einlasse können, schon aus Zeitgründen nicht, aus Rollengründen nicht. Ob jetzt das Maskentragen gut ist oder nicht und auf Leugner der Maßnahmen kann man sich argumentativ sowieso nicht einlassen, das heißt, es wird nun darauf hinauslaufen, Sie befolgen jetzt eine polizeiliche Maßnahme oder Weisung oder befolgen Sie nicht. Wenn nicht, sind Sie Störer, dann werden Sie festgenommen. Und dann gerät man in dieses Dilemma, eben wieder als Konfliktpartner und Prellbock dazustehen.
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Mehr Einsicht am Anfang der Pandemie
Zurheide: Sie haben gerade etwas Wichtiges gesagt, das wird verpolizeilicht. Das heißt, am Anfang der Pandemie haben Sie mehr Einsicht beobachtet als jetzt?
Behr: Durchaus! Alle Leute hatten ja große Angst vor dem unbekannten Virus, vor den Folgen. Diese Angst hat im Laufe der Zeit meiner Beobachtung nach nachgelassen, weil immer mehr Leute auch gemerkt haben, ich bin gar nicht betroffen. Und dann entsteht so eine Sogwirkung, dass man sagt, wir haben auf so viel verzichtet, jetzt wollen wir aber auch wieder das tun, was uns lieb geworden ist und vertraut ist, jetzt wollen wir wieder feiern. Und es kommt ja nicht von ungefähr, dass in der Umfrage, die Sie eben zitiert haben, eben die über 60-Jährigen eben zu 80 Prozent dafür waren, dass es solche Verbote gibt, weil die eben diese Gelegenheit überhaupt nicht mehr nutzen, die gehen nicht cornern, wie wir es in Hamburg nennen.
Rafael Behr, Professor für Polizeiwissenschaften
Rafael Behr, Professor für Polizeiwissenschaften, Kriminologe, Soziologe und selbst ehemaliger Polizist (picture alliance / dpa / Ulrich Perrey)
Zurheide: Das müssen wir jetzt erklären, das heißt Stehen auf dem Bürgersteig.
Behr: Genau, Stehen und Alkohol trinken und sich unterhalten und Spaß haben. Und das ist ja das, was das Problem macht. Ich halte es auch nicht für richtig, zu sagen, das ist eine beabsichtigte Gewalt gegen die Polizei. Die Polizei kommt in diesen Situationen sozusagen hinzu als zusätzlicher Konfliktgegner, weil im Zuge dieses Feierns immer Dinge passieren, die dann auch Schäden erzeugen. Und das wird dann auch zugespitzt zu einem polizeilichen Konflikt.
"Alkohol ist immer ein Beschleuniger für Aggression"
Zurheide: Jetzt helfen Sie uns, wie kommen wir da raus? Sie sind auch Soziologe, können wir das auflösen? Der eine oder andere sagt Alkoholverbot. Da können wir jetzt über unterschiedliche Stufen diskutieren, ich will nur mal über das Prinzip nachdenken, gemeinsam allerdings auch erinnern, was im Fußballstadion passiert im Zusammenhang mit Alkohol. Ich weiß nicht, ob es da Parallelen gibt oder ist das zu weit hergeholt, denn wir alle wissen, da, wo es immer Krawalle gegeben hat, war Alkohol meist mit im Spiel. Und seit man das verbietet, wird es etwas besser.
Behr: Genau. Es wäre zumindest eine konsequentere Maßnahme, den Konsum zu verbieten und nicht nur den Verkauf. Da erwarte ich an diesem Wochenende in Hamburg zum Beispiel auch unzählig viele Konflikte, weil dort der Verkauf verboten ist, aber nicht das Konsumieren. Das Konsumieren wäre wenigstens eine Maßnahme, die eine Polizei auch sinnvoll durchsetzen kann, das kann man beobachten, da kann man dann sagen, du konsumierst oder du konsumierst nicht. Aber jetzt wird es darum gehen, ich habe gar keinen gekauft, ich habe den ja mitgebracht. Das sind unendlich viele Diskussionen, die entstehen, und tatsächlich wissen wir, dass Alkohol immer ein Beschleuniger für Aggression im öffentlichen Raum ist. Da kommt die Hitze dazu, dann kommt die Vergemeinschaftung dazu, dann kommt noch Testosteron dazu, aber Alkohol ist eine ganz entscheidende Größe in diesem Bereich. Es ist aber auch eine ökonomische Größe. Man könnte natürlich Kieze und Innenstadtbereiche sofort beruhigen, wenn man sämtlichen Alkohol verbannen würde. Das hat aber Konsequenzen, die die Wirtschaft und die Eventbranche auch nicht will.
Betretungsverbot als letztes Mittel
Zurheide: Aber noch mal: Sie haben gesagt, der Zusammenhang ist eindeutig, ich hatte vorhin die Analogie zum Fußball gezogen. Das heißt, Alkohol ist einfach der Beschleuniger für Aggression?
Behr: Durchaus – und zwar der, der unkontrolliert zu sich genommen wird. Beim Fußball ist es noch ein bisschen anders, da haben wir ein gemeinsames Thema, das ist der Sport. Bei diesen spontanen Feiern, bei diesen Spontanfeiern im Freien ist es ein bisschen anders, da weiß man nicht genau, in welche Richtung sich das entwickelt. Das kann durchaus sein, dass es an diesem Wochenende auch wieder in irgendeiner Innenstadt auch wieder zu Randale kommt, zu Konflikten. Es kann aber auch sein, dass das ausbleibt, das ist ganz schwer einzuschätzen. Auf jeden Fall müssen wir davon ausgehen, wo Alkohol im Spiel ist, herrscht eine gewisse Unklarheit oder Unbeherrschbarkeit der Situation.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Zurheide: Sie haben gesagt, Verkaufsverbot ist einigermaßen schwierig zu kontrollieren, dann Konsumverbot. Und die dritte, die härteste Stufe, ist dann das Betretungsverbot, was wir auf dem Opernplatz in Frankfurt haben. Darf man das durchsetzen, muss da vorher erst etwas passiert sein, bevor man das durchsetzt? Da haben wir ja auch rechtlich schwierige Fragen oder?
Behr: Das ist wahr. Und die Polizei ist ja immer gehalten, das jeweils mildeste Mittel anzuwenden. Deswegen diese Stufenform. Das Betretungsverbot ist die schärfste Maßnahme und kann dann auch temporär und für bestimmte Örtlichkeiten durchgesetzt werden, sonst würden wir tatsächlich ja Menschen einschließen müssen beziehungsweise an der freien Bewegung hindern müssen. Das geht eigentlich großflächig nicht, aber für kleine Räume geht das schon mal, vor allem, wenn die Gefahr groß ist. Das wird sich allerdings wieder. Ich glaube, zu diesem letzten Mittel wird die Polizei nicht ständig greifen, es könnte aber durchaus sein, dass man sich entschließt, wenn das nicht hilft mit dem Verkaufsverbot, dass man dann doch den Konsum verbietet. Und dann wird es zahlreiche Festnahmen geben, weil Alkohol im Freien getrunken wird. Ob das erfolgreich ist, kann ich im Moment nicht abschätzen, aber es wäre zumindest eine konsequente Maßnahme.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.