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Diskussion um Armutsmigration
Swoboda: EU-Länder haben versagt

Um bei Armutsmigration Abhilfe zu schaffen, müssten die europäischen Länder die vorhandenen Mittel aus den EU-Sozialfonds abrufen, fordert der sozialdemokratische Europapolitiker Hannes Swoboda im DLF. Die Länder trügen dafür die Hauptverantwortung.

Hannes Swoboda im Gespräch mit Bettina Klein | 14.01.2014
    Bettina Klein: Im Streit um Sozialleistungen für arbeitslose Einwanderer aus der Europäischen Union ist die EU-Kommission um Klarstellung bemüht. Sie hat die Debatte gestern zu entschärfen versucht durch einige präzisierte Kriterien für die Vergabe von Sozialleistungen in der EU.
    Am Telefon begrüße ich den österreichischen Sozialdemokraten Hannes Swoboda. Er ist Vorsitzender seiner Fraktion im Europaparlament. Guten Morgen!
    Hannes Swoboda: Schönen guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: War die Klarstellung gestern der EU-Kommission ausreichend?
    Swoboda: Ich hoffe, dass es ausreichend war. Es ist natürlich immer eine konkrete Praxis und vor allem liegt es an den Ländern, jetzt die Bedingungen klarzumachen und allen Verwaltungseinheiten in den Gemeinden etc. auch zu vermitteln und klarzustellen, dass es keine unbegrenzte Möglichkeit gibt, hier Sozialfonds oder Sozialmittel anzuzapfen.
    Klein: Sie äußern Hoffnung, aber sicher sind Sie sich nicht?
    Swoboda: Es liegt an den Ländern. Wir haben viele Länder, wo es überhaupt kein Problem gegeben hat. Das ist doch mehr ein politisches Problem. Und wenn ich mir die Zahlen anschaue: Der Europäische Sozialfonds wurde in den letzten Jahren zu 50 Prozent nur genutzt, von Deutschland auch nur zu 63 Prozent. Man hätte daher bei der Armutswanderung, die es in einige Städte gegeben hat – und das hat es gegeben, auch nicht im großen Ausmaß, aber immerhin -, diese Sozialmittel abrufen können, um dort Abhilfe zu schaffen.
    Klein: Wie steht Deutschland denn insgesamt in der ganzen Diskussion da? Ist denn die Debatte, die in der EU und jetzt auch bei der EU-Kommission noch einmal erneut für Aufmerksamkeit gesorgt hat, ist das ein spezifisch deutsches Problem nach Ihrer Meinung?
    "Nur Europa kann die Lösung bringen"
    Swoboda: Nicht ein spezifisch deutsches Problem. Es gibt einige Länder, die das groß aufgebracht haben, es gibt andere Länder, wo das überhaupt kein Problem darstellt. Aber entscheidend ist, dass nur Europa die Lösung bringen kann. Wenn Rumänien und Bulgarien und die anderen Länder ihre Sozialfonds-Mittel abrufen und mehr tun für die Integration zum Beispiel der Roma und Sinti, wenn auf der anderen Seite auch Deutschland, Großbritannien und so weiter die Mittel abrufen, die ihnen zur Verfügung stehen von der Europäischen Union und die Mittel dort einsetzen, wo es notwendig ist, dann hätten wir das Problem nicht. Aber jeder schaut nur auf sich, jeder macht ein großes Bohei, anstatt dass man die Mittel, die am Tisch liegen, verwendet, um die ärmeren Menschen in unserem Kontinent zu integrieren.
    Klein: Ist die Lage, die wir jetzt haben, Herr Swoboda, eigentlich unvermeidlich gewesen?
    Swoboda: Absolut nicht, wenn man seit Jahren darauf geschaut hätte, dass die Integration funktioniert. Und es gibt viele gute Beispiele, ich habe die selber besucht, wo die Integration funktioniert. Es gibt andere Regionen, wo sie aber nicht funktioniert, wo die Mittel nicht abgerufen werden, wo der politische Wille fehlt für die Integration. Dann hätte man das Problem längst lösen können, zumindest in dem Ausmaß, dass es kein politisches Problem geworden wäre.
    Klein: Herr Swoboda, die Rechtslage ist doch aber weiterhin offen. Wir haben europäisches Recht und wir haben das Recht in den nationalen Mitgliedsstaaten, und erst wenn auf europäischer Ebene der erwartete Gerichtsbeschluss fallen wird, dann wird es Klarheit geben. So lange also müssen wir mit einer Hängepartie rechnen?
    Swoboda: Es entscheiden immer die Gerichte zuletzt. Aber ich glaube, wir haben viele Länder, die überhaupt kein Problem haben, die die Mittel verwendet haben, wo die Integration funktioniert, wo man aber auch klar und deutlich gesagt hat – und das muss auch weiter so bleiben -, es kann nicht sein, dass jemand nur aus den Gründen, um Sozialmittel zu empfangen, in ein anderes Land geht. Das ist durchaus möglich, das zu verhindern und diese Dinge klarzustellen.
    Klein: Wir können jetzt lesen, dass sich Deutschland in gewisser Weise selbst in diese Lage, die jetzt von einigen beklagt wird, gebracht hat, indem nämlich die Leistung Hartz IV in Europa als Arbeitsmarktinstrument deklariert wurde, nicht als Sozialleistung, und Arbeitsmarktinstrumente müssen in einigen der umstrittenen Fälle gewährt werden, Sozialleistungen nicht. Ein Teil der Unsicherheit und des Problems hat die Bundesregierung auch nach Ihrer Ansicht selbst verursacht?
    Swoboda: Es ist in den meisten Fällen so, dass die Länder selber die Regelung so getroffen haben, dass sie zweifelhaft sind, und das gilt auch in diesem Fall für die Bundesregierung. Das muss man halt in Deutschland klarstellen, man muss vielleicht eine Änderung herbeiführen.
    Klein: Das wäre noch möglich?
    Swoboda: Das ist sicherlich möglich, absolut! Es gibt überhaupt keinen Grund, warum das nicht möglich wäre.
    Mitgliedsstaaten müssen Lösung der Probleme "aus Europa herausholen"
    Klein: Herr Swoboda, Sie haben die Städte und Gemeinden angesprochen und auch die Sorgen und Nöte, die dort artikuliert werden, wegen des Finanzmangels. Sie haben angesprochen, dass bestimmte EU-Gelder noch gar nicht abgerufen wurden. Wenn wir noch mal auf die Debatte schauen und vielleicht auch von Ihnen aus mit einem Politiker aus Österreich auf die deutsche Debatte schauen: Ist es nicht wichtig, auch die Sorgen und Nöte dort ernst zu nehmen, wie das Ihr Parteikollege Martin Schulz, der Präsident des Europaparlaments, gesagt hat?
    Swoboda: Natürlich muss man sie ernst nehmen. Ich war einer der ersten Europapolitiker, der auch in Duisburg war, der sich das vor Ort angeschaut hat, auch mit den Leuten gesprochen hat, auch mit den besorgten Bürgern rundherum. Nur frage ich mich: Warum hat die deutsche Bundesregierung damals, als das Problem begonnen hat, nicht die Gemeinden und die Städte unterstützt, wo es diese Probleme gegeben hat? Denn es ist ja nicht so: Die Armen wandern ja nicht zu in die reichen Regionen, sondern die Armen wandern in ärmere Regionen zu, wie das zum Beispiel in diesem Fall der Fall ist.
    Warum hat die deutsche Bundesregierung oder die zuständigen Stellen nicht die europäischen Sozialfonds-Mittel abgerufen, um dort in dieser Region zu helfen? Es sind immer die Länder, aber es ist nicht nur Deutschland, auch andere Länder. Es sind immer die Länder, die die Hauptverantwortung tragen, und allzu leicht ist es dasselbe Spiel: Brüssel ist schuld. Die europäische Einigung muss man sich anders vorstellen, als sie jetzt da ist. Die einzelnen Mitgliedsländer müssen das aus Europa herausholen, finanziell, aber auch natürlich inhaltlich, was zu einer Lösung der Probleme führt. Das gilt für Deutschland und für Rumänien, für Bulgarien, für die Slowakei, für Österreich, für all die Länder. Alle haben hier zu einem großen Teil versagt.
    Klein: In der Kritik steht nun allerdings tatsächlich die EU-Kommission auch deswegen, weil sie, abgestimmt oder nicht, missverständlich oder nicht, vergangene Woche angedeutet hat, dass die Art und Weise, in der in Deutschland verfahren wird, nicht mit EU-Recht wahrscheinlich kompatibel sei. Da ist man ein bisschen zurückgerudert und hat wiederum auf die nationalen Interessen dann verwiesen. Aber können Sie verstehen, dass das auch zu Unmut hier geführt hat?
    Swoboda: Das kann ich verstehen. Die EU-Kommission hat ja auch wie in vielen Fällen einfach vom grünen Tisch oder am grünen Tisch eine Erklärung abgegeben. Man muss sich die Dinge anschauen. Ich hätte mir gewünscht - Kommissar Andor kommt ja jetzt auch in die deutschen Städte -, das hätte man schon längst gemacht, um auch den Dialog zu führen. Wir müssen auch mit den besorgten Bürgern den Dialog führen.
    Das hat keinen Sinn, nur auf Paragrafen zu verweisen und Grundsätze und Prinzipien. Wir müssen mit allen den Dialog führen, mit den Roma genauso wie mit denen, die Angst haben, dass ihr Quartier, ihre Region, wo sie wohnen, übervölkert wird jetzt plötzlich durch einen Zuzug von massenhaften Bürgern aus anderen Ländern. Dieser Dialog muss geführt werden, sonst kann Europa nicht funktionieren.
    Mit besorgten Bürgern und Zuwanderern Dialog führen
    Klein: Die teils in Deutschland sehr scharfen Töne, die wir gehört haben in der Debatte in den vergangenen Wochen, wurden auch zurückgeführt auf Befürchtungen, bei der bevorstehenden Europawahl im kommenden Mai könnten populistische, rechtspopulistische Parteien wie auch immer viele, viele Stimmen auf sich ziehen wegen dieser unklaren Lage und wegen einiger Befürchtungen. Können Sie vor dem Hintergrund verstehen, dass man den Ton anzieht und versucht, auch Wähler an den Rändern zu binden?
    Swoboda: Nein, absolut nicht, weil die Leute gehen immer dann zu den extremen Parteien, wenn diese Probleme so aufgeworfen werden. Das nutzt nichts, Stimmung zu machen durch extremistische Aussagen, durch Aussagen, die absolut nicht mit der Realität stattfinden. Wenn man sieht, wie viele Leute aus Rumänien und Bulgarien nach Deutschland gekommen sind, dann ist das im Verhältnis zur Bevölkerung viel geringer als in vielen anderen Ländern, und in Bayern schon gar.
    Das heißt, ich halte überhaupt nichts davon, Stimmung anzuheizen, sondern man sollte die Dinge lösen, und das hätte man schon vor Jahren können, denn das Problem – ich habe ja im Deutschen Städtetag referiert – ist ja nicht neu. Das Problem liegt ja schon seit zumindest zwei Jahren auf dem Tisch. Es ist besser, die Dinge rechtzeitig zu lösen und Änderungen herbeizuführen, die notwendig sind, als laut aufzuschreien mit extremistischen Tönen, die eigentlich nur die Stimmung anheizen, ohne eine Lösung zu bringen.
    Klein: Der sozialdemokratische Europapolitiker Hannes Swoboda heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen für das Interview, Herr Swoboda.
    Swoboda: Bitte sehr! Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.