Eine mögliche Legalisierung von Cannabis führt rund um die Sondierungsgespräche einer Ampelkoalition zwischen SPD, Grüne und FDP zu Diskussionen. Grüne und FDP plädieren für die Freigabe und den Verkauf über staatlich lizenzierte Fachgeschäfte. Die SPD bevorzugt bislang Modellprojekte mit Präventions- und Beratungsangeboten. Polizeigewerkschaften warnen hingegen vor dem Schritt.
SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sagte der "Rheinischen Post", mit einer kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene ließe sich dem Handel mit verunreinigtem Haschisch ein Riegel vorschieben. Dieser Meinung ist auch Sebastian Fiedler, ehemaliger Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter und jetzt SPD-Bundestagsabgeordneter. Er sagte im Dlf, mit diesem Schritt würden Ressourcen bei der Strafverfolgung frei, die besser in die Bekämpfung der organisierten Kriminalität gelenkt werden könnten.
Statt Konsumentinnen und Konsumenten strafrechtlich zu verfolgen, müsse man sich besser um sie kümmern, dann gerieten auch weniger in die Abhängigkeit.
Drogendiskussion nicht nur auf Cannabis lenken
Gleichzeitig warnte Fiedler davor, eine rein auf Cannabis verengte Drogendiskussion zu führen. "Wir dürfen aber nicht aus dem Blick lassen, dass wir bei viel schlimmeren Substanzen viel größere Probleme haben." Die Kokainmärkte würden explodieren, man sei immer wieder mit neuen synthetischen Substanzen konfrontiert."
Das Interview im Wortlaut:
Jürgen Zurheide: Eine
liberalere Drogenpolitik in Portugal
und was wir daraus lernen können, wollen wir jetzt besprechen. Sucht als Krankheit, fangen wir damit an: Nicht Gefängnis, sondern Therapie – was sagt der immer noch im Herzen Kriminaler?
Sebastian Fiedler: Ja, genau das und genau in dieser Rolle habe ich mich ja auch beim Bund Deutscher Kriminalbeamter schon seit 2014 – da haben wir schon ein großes Symposium veranstaltet und genau mit diesen Fragen beschäftigt. Deswegen werbe ich schon seit vielen Jahren genau für den Blick nach Portugal, finde es außerordentlich gut, dass Sie das in dem Beitrag noch mal zum Ausdruck gebracht haben. Im Prinzip gibt’s kaum mehr Erklärungsbedarf, Ihr Beitrag hat alle Argumente auf den Tisch gebracht, die wir uns auch in Deutschland zu eigen machen sollten."
"Sich mehr um Konsumierende kümmern"
Zurheide: Die entscheidende Frage ist aber, das heißt ja nicht Freigabe, sondern es heißt etwas ganz anderes: Die Voraussetzungen für diesen, nennen wir es portugiesischen Weg sind ja bemerkenswert, und da müsste man was eigentlich tun? Ich glaube, das ist noch mal wichtig festzuhalten.
Fiedler: Man müsste bei den Konsumentinnen und Konsumenten eine andere Brille aufsetzen, so will ich’s mal formulieren. Das ist nicht mehr die Brille des Strafrechts, weil der Gedanke, dass wir mit der Polizei oder mit der Justiz bei Konsumierenden irgendwas Positives bewirken könnten, den müssen wir vielleicht mal etwas abstreifen, und wir müssen eine gesundheitspolitische Brille aufsetzen. Das ist das, was die Portugiesen machen, sie investieren viel mehr in den Bereich der Gesundheit, kümmern sich mehr um Konsumierende. Und die Ressourcen, die dadurch bei Justiz und bei Strafverfolgung frei werden, die sollten wir besser in die Bekämpfung der organisierten Kriminalität lenken, denn da sind sie richtig aufgehoben.
Zurheide: Wir reden gleich noch weiter über Therapie und die notwendigen Angebote, aber Ihr Gebiet ist natürlich auch in dem Job und mit Ihrer Herkunft die organisierte Kriminalität gewesen. Die spannende Frage wird natürlich sein, wenn es da eine Veränderung gibt und die Märkte kleiner werden – und die werden kleiner, wenn der Staat, in welcher Form auch immer, sich beteiligt daran, Drogen abzugeben –, wie wird dann die organisierte Kriminalität reagieren. Die wird das ja nicht einfach hinnehmen, oder?
Fiedler: Das ist eine der wichtigsten Fragen, die ich mir auch stelle, und übrigens einer der Gründe dafür, warum ich dringend für den Vorschlag im SPD-Programm werbe, da sagen wir nämlich, dass wir zunächst einmal Modellprojekte anstoßen sollten. Und die Zeit könnten wir nutzen, um genau diese Frage aufzuwerfen und zu erforschen. Ich will das vielleicht mal etwas einkreisen und mich dann der Antwort nähern. Was man jedenfalls sagen kann, ist, dass wir ausschließen können, dass die organisierte Kriminalität dann anschließend einer legalen Beschäftigung nachgeht, wenn jetzt milliardenschwere Märkte im Bereich Cannabis jetzt wegfallen. Es spricht also alles dafür, dass sie sich entweder auf andere schon existierende illegale Märkte bewegen – das könnte zum Beispiel einfach schlicht und ergreifend der Kokainmarkt sein – oder dass sie sich neue Märkte erschließen. Beides kann nicht in unserem Interesse sein, insbesondere dann, wenn Streitigkeiten um enge Märkte entstehen – das wissen wir aus den Niederlanden –, dann werden die mit gewalttätigen Mitteln ausgetragen, und das wollen wir hier nun alle nicht.
Niederlande - "Europas Drogenküche direkt vor der Haustür"
Zurheide: Gerade wo Sie die Niederlande ansprechen, das hab ich hier auch bei mir auf dem Zettel, das ist ja nicht unbedingt erfolgreich, denn ich glaube, wir beide haben auch schon mehr als einmal darüber gesprochen, was dort passiert, sind Bandenkriege, die zum Teil mit äußerster Brutalität ausgetragen werden.
Fiedler: Ja, richtig. Das liegt ein Stück weit daran, dass die Niederlande natürlich ein ganz anderes Liberalisierungsmodell gefahren haben, seit vielen Jahren, und auf der anderen Seite, auch was die Strafverfolgung angeht, viel zu lange eben so einen Laissez-faire-Stil gefahren haben. Das führt jetzt dazu, dass dort in der Zwischenzeit Journalisten, Kronzeugen, Anwälte ermordet worden sind, dass man untereinander mit Kriegswaffen aufeinander losgeht und dass wir in den Niederlanden im Prinzip Europas Drogenküche direkt vor der Haustür haben.
"Prävention hochfahren"
Zurheide: Was sagen Sie denn der Mutter zum Beispiel in Berlin, die auf einen Spielplatz geht und die dort dann alle möglichen Menschen trifft, die sie dort nicht treffen möchte und die ein schlechtes Beispiel für die Kinder sind, weil eben Drogensüchtige sich dort spritzen und so weiter und so weiter? Was würde das in Ihrem Konzept bedeuten, würden die weiter da sein?
Fiedler: Das würde vor allen Dingen erst mal bedeuten, dass wenn wir uns mehr um die Konsumenten kümmern – und Sie haben in Ihrem Beitrag ja ein Beispiel von vielen genannt –, dass wir hoffentlich dann weniger Abhängige von wirklich schlimmen Substanzen haben, die sich an diesen Stellen genau rumtreiben, und dass wir uns natürlich intensiver noch als jetzt um die Leute kümmern müssen. Das ist im Prinzip das zweite Argument für Modellprojekte, wir müssen zuerst, bevor wir solche Dinge angehen, zunächst müssen wir die Prävention hochfahren. Das heißt, wir brauchen mehr Beschäftigte in diesem Bereich, wir müssen die Strukturen wirklich ganz, ganz stark auffrischen, und dann können wir den zweiten Schritt gehen. Aber der Unterschied zur aktuellen Debatte – es wird ja gerade häufig nur über Cannabis diskutiert, das ist auch gut und richtig so –, wir dürfen nicht aus dem Blick lassen, dass wir bei viel schlimmeren Substanzen viel größere Probleme haben. Die Kokainmärkte scheinen zu explodieren geradezu, wir haben es immer wieder mit neuen synthetischen Substanzen zu tun, und eine rein auf Cannabis verengte Drogendiskussion führt uns da natürlich den Problemen nicht näher. Deswegen ist der Blick nach Portugal genau der richtige, und der Zeitpunkt, an dem wir darüber diskutieren, ist exzellent.
Zurheide: Auf der anderen Seite, das ist klar, Drogen schädigen, im Zweifel auch Cannabis, da haben Sie keinen Dissens. Das sehen Sie auch so?
Fiedler: Nein, das ist definitiv so, und zu Recht weisen natürlich viele Ärztinnen und Ärzte darauf hin. Es gibt eine interessante Antwort auf eine große Anfrage der SPD-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen, da konnte man nämlich genau diese Zahlen an den Statistiken ablesen. Es gibt eine Vervielfachung von Patienten im Bereich der stationären Behandlung, der ambulanten Behandlung, der Reha-Behandlung, auch beim Thema Cannabis. Das hat ein Stück weit auch damit zu tun, mein Kollege Lauterbach hat vor einigen Tagen noch darauf hingewiesen, dass Cannabis zwar nicht mit Heroin, aber mit anderen synthetischen Substanzen verunreinigt ist und dadurch natürlich es in keiner Weise derzeit kontrolliert werden kann, was für ein Zeug da gerade so unterwegs ist. Sie erkennen auch an dieser Darstellung schon, wir brauchen eben nicht nur diese eine Antwort, nicht dieses eine Konzept, sondern wir müssen ganz, ganz viel tun, aber all das muss sich an der Gesundheit der Menschen orientieren.
Ressourcen in die Bekämpfung der organisierten Kriminalität stecken
Zurheide: Was rufen Sie denn Ihren – und jetzt nehme ich Sie noch mal in die Haftung für den Job, den Sie bis vor Kurzem hatten als BDK-Vorsitzender –, was rufen Sie denn Ihren Kollegen in den anderen Verbänden, bei der GdP und so weiter, vor, die in diesen Tagen noch mal dringend gewarnt haben, da irgendetwas zu liberalisieren oder in die Nähe von den Begriffen "frei geben" zu kommen? Die warnen ja strikt davor und sagen, dann können wir es nicht mehr beherrschen.
Fiedler: Ja, denen würde ich sagen, dass wir uns gerne noch mal zusammensetzen sollten, und dann könnten wir noch einmal genauer in den Blick nehmen, dass auch die Polizei, die Sicherheitsbehörden insgesamt und die Justiz doch einen viel größeren Erfolg zu erzielen haben, wenn sie die Ressourcen für die Tausenden von Konsumentenverfahren in die Bekämpfung der organisierten Kriminalität stecken. Und auch meine Kollegen bei der GdP und anderen Gewerkschaften sagen natürlich zu Recht, dass wir viel zu wenig Personal haben und das dringend in anderen Bereichen brauchen, aber wir brauchen es ernsthaft wirklich nicht, um Konsumierende zu verfolgen.
Zurheide: Und die organisierte Kriminalität gezielter anzugehen, das halten Sie für erfolgversprechend?
Fiedler: Definitiv. Das müssen wir vor allen Dingen an den Stellen tun, wo es ums Geld geht. Wir müssen viel mehr Ressourcen darin investieren, die jetzt aktuell wirklich ganz guten Möglichkeiten, die wir rechtlich haben, auch auszunutzen, um der organisierten Kriminalität ihr Vermögen wieder abzunehmen. Das gelingt uns nur ganz leidlich. Wir gehen davon aus, dass hundert Milliarden Euro pro Jahr in Deutschland kriminell erwirtschaftet werden …
Gesetzesänderungen auch anwenden
Zurheide: Ja, aber da geh ich mal jetzt dazwischen, da hat sich Olaf Scholz nicht besonders hervorgetan, die Debatten haben wir gerade noch geführt. Da muss sich ja dringend was ändern.
Fiedler: Das tut es auch, und ich bin auch tatsächlich dazu mit ihm im Gespräch, und es gibt sehr, sehr gute Konzepte, die Einheit beim Zoll, die sich mit Geldwäsche beschäftigt, tatsächlich auch noch einmal unter Einbeziehung der Länder vielleicht noch mal weiterzuentwickeln. Da hab ich einen ganz guten Eindruck davon, dass da sich vieles tun wird. Das Thema, was ich allerdings gerade anspreche, ist nicht von Olaf Scholz, sondern 2017 von Heiko Maas und jetzt im letzten Jahr von Christine Lambrecht noch mal verbessert worden. Wir haben bessere gesetzliche Möglichkeiten, auf kriminelles Vermögen zuzugreifen. Was wir jetzt brauchen aber, sind Finanzermittler und Staatsanwälte und Richter in den Ländern, die das auch anwenden. Und dann kriegen wir auch tatsächlich größere Erfolge hin.
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