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Diskussion um Intendant Lilienthal
Münchner Kammerspiele in der Krise?

Der Intendant der Münchner Kammerspiele, Matthias Lilienthal, spaltet die Gemüter. Er hat in dem renommierten Haus für große Veränderungen gesorgt, die Kritikern ein Dorn im Auge sind. Gestern Abend traf Lilienthal Pressevertreter, Schauspieler und Theaterliebhaber zu einer Diskussionsrunde.

Von Sven Ricklefs |
    Matthias Lilienthal, aufgenommen, am 16.09.2013 in München (Bayern).
    Matthias Lilienthal will sein Theaterexperiment zu Ende führen. (picture alliance / dpa / Tobias Hase)
    "Theater sollte schon auch Theater machen."
    Vielleicht bringt dieser fast naiv klingende Satz der renommierten Theaterkritikerin der Süddeutschen Zeitung Christine Dössel die ganze Diskussion auf den Punkt: Immer wieder forderte sie von Matthias Lilienthal ein Konzept für seine Münchner Kammerspiele und ließ seine nicht nur durch sein bisheriges Programm, sondern auch durch seine Ausführungen im ersten Ansatz skizzierte Vision nicht gelten, von einem Theater im Spannungsfeld zwischen Schauspielertheater und Performance und zwischen Stadttheater, freier Szene und internationalen Künstlern.
    "Wer hat eigentlich gesagt, dass die Auseinandersetzung mit Werken, mit Sprache, mit Stücken nicht mehr gewünscht wird, dass das spießig ist?"
    Vorauseilende Selbstverteidigung
    Da spürte man dann auch gleich zu Beginn der Diskussionsrunde eine Art vorauseilende Selbstverteidigung. Nach ihrer fast ausschließlich gnadenlosen Kritik an den Arbeiten der ersten Spielzeit, die vor zehn Tagen in der ganzseitigen Auseinandersetzung in der Süddeutschen Zeitung mit diesem Theater nur noch einmal kulminierte, sah sich Christine Dössel in den vergangenen Tagen selbst der Kritik ausgesetzt, ihr fehle die notwendige Offenheit für das Neue.
    "Ich bin gar nicht gegen Performancetheater und Projekte. Die Sache ist nur, dass das, was da zu sehen ist, und das war auch eines meiner Hauptargumente, ist eine komplette Unterforderung und da habe ich eben geschrieben, dass nicht nur der Zuschauer, sondern auch der Schauspieler. Und ich würde mir dann eher wünschen, das muss dann wirklich was Neues sein. Ich wäre lieber herausgefordert, überfordert ich würde lieber auf die Barrikaden steigen oder mal nachdenken oder das schon wieder an der Garderobe vergessen haben."
    Hitzige Diskussion
    Zugleich beklagte die Kritikerin in ihrem Rundumschlag sowohl eine mangelnde Fürsorge dem Ensemble gegenüber als auch eine ebensolche mangelhafte Sorgfalt in der dramaturgischen und konzeptionellen Arbeit unter Mathias Lilienthal. Beweise allerdings für diese Behauptungen blieb sie schuldig und fing sich dafür den Kommentar des Regisseurs Nicolas Stemann ein, nun sei man also auch hier im vielzitierten postfaktischen Zeitalter angekommen, wo doch auch die Medien eine Fürsorgepflicht hätten dafür, wie eine Debatte zu führen ist?. In dieser durchaus immer auch hitzigen Diskussion, versuchte derjenige, um den es in der Hauptsache ging, Matthias Lilienthal, immer wieder vor allem eins: seinen Standpunkt transparent zu machen und für ein Durchhaltevermögen des Publikums zu werben
    "Ich habe gesagt, das ist ein Theaterexperiment, das wir über drei Jahre machen müssen und ich rücke weder von Schauspielern noch von Regisseuren ab, weil eine Arbeit mal schwieriger geworden ist, sondern versuche, es durchzuhalten und versuche Sie, liebes Publikum, zu umwerben, dass Sie diesen Versuch mit uns gehen."
    Weiter mit Experiment auseinandersetzen
    Und so ließ sich die Frage: "Welches Theater München denn nun brauche" in seinen altehrwürdigen Münchner Kammerspielen gestern Abend naturgemäß nicht beantworten. Es ist zu früh, das gerade erst angelaufene Experiment schon abschließend beurteilen zu wollen, das verschiedene Theaterformen und –kulturen verschmelzen und ein neues Ensemble formen will, um es mit neuen Regiehandschriften zu konfrontieren. Da mag die Sehnsucht nach Althergebrachtem oder Gewohntem auch noch so groß sein, mit diesem Experiment wird sich das Münchner Publikum erst einmal weiter auseinandersetzen müssen. Vielleicht findet es sich dabei ja, wie sich das neue Ensemble wohl schon gefunden hat, glaubt man der Schauspielerin Anette Paulmann:
    "Wir innerhalb des Ensembles machen überhaupt keine Unterscheidung zwischen Sänger, Tänzer, Performer und Schauspieler. Wir sind eine Truppe, so empfinden wir uns und so arbeiten wir miteinander. Und ich habe das nie erlebt, dass ein Satz kam wie: 'Du bist doch die alte Schauspielerin oder: Tanz doch.' Also so. Das unterscheiden wir nicht. Wir sind die Truppe."