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Diskussion um Manfred Stolpe

Heinlein: Bis zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Ost und West sind die Herausforderungen immer noch groß. So steht es einleitend im Kapitel 'Aufbau Ost' des Koalitionsvertrages. An diesem Wochenende wurde er von Rot und Grün gleichermaßen abgesegnet. Diesen großen Herausforderungen muss sich ein Mann stellen, der eigentlich seinen politischen Ruhestand genießen wollte. Doch die Jüngeren haben bekanntlich abgesagt. Mit 66 Jahren beginnt deshalb für Manfred Stolpe in dieser Woche das Leben als Minister für Verkehr, Bau und Aufbau Ost. Doch der Start ist nicht ungetrübt. 'IM Sekretär' - die Stasi-Vorwürfe gegen Manfred Stolpe sind an diesem Wochenende erneut zum Thema geworden. Verursacher ist pikanterweise ein Mitglied der eigenen Partei. Stefan Hilsberg, der bisherige SPD-Staatssekretär im Verkehrsministerium will nicht mit seinem neuen Chef zusammenarbeiten. Gestern gab es dann auf dem SPD-Sonderparteitag Rückdeckung für Manfred Stolpe. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse verteidigte den neuen Mann im Kabinett. Am Telefon ist jetzt der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzek von der SPD, guten Morgen.

    Platzek: Guten Morgen, Herr Heinlein.

    Heinlein: Herr Platzek, hat Manfred Stolpe auch Ihr Vertrauen ohne wenn und aber?

    Platzek: Manfred Stolpe hat mein Vertrauen ohne wenn und aber und das nicht erst seit heute. Er hat dies die ganze Zeit über gehabt. Was da jetzt durch eine einzelne Person, so muss man das sagen, ausgelöst wird, ist zutiefst ärgerlich. Alle Landesverbände Ostdeutschlands haben gestern früh vor dem Parteitag zusammengesessen, und da ist deutlich geworden, dass Hilsberg vollkommen isoliert ist. Die Ursache kann niemand mehr nachvollziehen, denn um noch mal einen Fakt zu nennen: Derselbe Mann, Stefan Hilsberg, hat überhaupt nichts dagegen gehabt, dass Manfred Stolpe in den Monaten vor der Bundestagswahl an vorderster Stelle auch für ihn als Kandidatenname im Wahlkampf mitmachte und ihm zu einem guten Stimmergebnis verhilft. Es ist nicht nur unerfreulich, sondern es ist auch eine Sache, wo wir froh waren und froh sind, dass Manfred Stolpe für diese für ganz Ostdeutschland wichtige Funktion gewonnen werden konnte. Dann kommt so eine Reaktion des Staatssekretärs im selben Ministerium. Das ist eine Sache, die wir uns alle gerne erspart hätten, aber man steckt nicht in jeder Person drin.

    Heinlein: Sie sagen, Stefan Hilsberg sei innerhalb der Ost-SPD isoliert. Dennoch kritisieren andere ehemalige DDR-Bürgerrechtler wie Bärbel Bohley, Joachim Gauck oder Konrad Weiß ebenfalls offen die Nominierung von Manfred Stolpe. Können Sie diese Kritik von DDR-Bürgerrechtlern einfach beiseite wischen?

    Platzek: Wir haben über Jahre hinweg Anfang der 90er Jahre einen Untersuchungsausschuss gehabt. Dieser Untersuchungsausschuss ist zu eindeutigen Ergebnissen gekommen. Und dann muss man irgendwann einmal, selbst wenn man eine eigene Sicht auf diese Dinge hat, diese Ergebnisse akzeptieren. So etwas gehört sich in einer Demokratie. Dazu sind aber scheinbar manche nicht in der Lage. Das ist das Bedauerliche. Ich kann nur sagen, dass sich in dieser Zeit als der Untersuchungsausschuss gearbeitet hat, was ja nun fast ein Jahrzehnt zurückliegt, niemand gemeldet hat, der sich in irgendeiner Form durch Manfred Stolpe geschädigt fühlte. Sondern es haben sich unzählige Menschen gemeldet, die gesagt haben, dass ohne Manfred Stolpe ihr Leben ganz anders, nämlich viel schlimmer verlaufen wäre. Das heißt, anders als von manchen vermutet, hat es das Ergebnis gegeben, dass viele gesagt haben, dieser Mann habe ihnen in schwierigsten Situationen geholfen. Das war das Prägende für Manfred Stolpes Leben in der DDR.

    Heinlein: Also es liegt ein Mantel des Schweigens über der Stasi und die Kontakte von Manfred Stolpe. Er hat jedoch diese Kontakte offen eingeräumt und erklärt. Muss es denn nicht möglich sein, offen über dieses Thema zu reden oder muss tatsächlich der Mantel des Schweigens ausgebreitet werden, um den neuen Minister nicht zu beschädigen?

    Platzek: Das hat überhaupt nichts mit schweigen zu tun. Man soll schon sagen, wie es war und was überhaupt war. Darum geht es, und da ist der große Unterschied, der zwischen den Kollegen und Stefan Hilsberg besteht. Es hat gar nichts mit schweigen zu tun. Man kann da offen drüber reden. Manfred Stolpes Rolle in der DDR war als Konsistorialpräsident ein singuläre. Er hat Dinge machen müssen, weil dies in diesem System nun einmal so war. Andere waren froh, dass sie diese Dinge nicht machen mussten. Natürlich hat er sich auch in Grauzonen bewegt. Das ist völlig klar, und darüber ist ja auch Jahre lang gesprochen worden. Deshalb ist der Mantel des Schweigens das völlig falsche Bild. Aber ich finde, wenn jahrelang das Leben des Manfred Stolpe bis in den letzten Winkel ausgeleuchtet wurde, dann ist für mich irgendwann der Punkt erreicht, wo man sagen muss, jetzt lasst uns arbeiten, denn es ist alles schon ausgeleuchtet worden. Das meinte ich damit.

    Heinlein: War denn der Bundeskanzler gut beraten, Manfred Stolpe unter diesen Umständen in sein Kabinett zu holen?

    Platzek: Manfred Stolpe ist der mit Abstand beliebteste, anerkannteste und respektierteste Sozialdemokrat in Ostdeutschland. Das haben Sie während der Wahlveranstaltungen zwischen Rostock und Suhl erleben können. Er ist ein sehr kompetenter Mann, der sich im Osten fast in jedem Winkel auskennt. Außerdem hat er zwölf Jahre lang, was ja für so eine Funktion auch wichtig ist, eine große Verwaltung, eine ganze Landesregierung geführt. Also das sind allesamt Gründe, die mehr als nur dafür sprechen, dass er genau der richtige Mann für diese große Aufgabe ist, die da jetzt vor ihm steht.

    Heinlein: Eine große Aufgabe ist im Koalitionsvertrag, ich habe ihn zitiert, vorgesehen. Der Vertrag ist jetzt abgesegnet. Es geht um den Aufbau Ost, nun soll es an die Arbeit gehen. Sind Sie denn zufrieden mit dem, was sich die Bundesregierung für den Aufbau Ost vorgenommen hat?

    Platzek: Wir sind zufrieden mit dem, was da jetzt drinsteht und was man sich auch vorgenommen hat. Wir sind auch zufrieden mit diesem Ministerium, weil Politik nun einmal auch von Symbolen lebt. Wir haben immer gesagt, dass der Osten dringend ein Trio von Voraussetzungen braucht. Dazu gehören die Schließung der Infrastrukturlücke, die Förderung von Wissenschaft und Forschung als Basis in der wirtschaftlichen Entwicklung und der Stadtumbau, um die Städte, die größtenteils in ihrer Einwohnerzahl zurückgehen, trotzdem lebenswert zu halten. Zwei dieser drei Grundvoraussetzungen für die Entwicklung in Ostdeutschland liegen jetzt bei Manfred Stolpe. Insgesamt sind wir zufrieden. Es liegen dennoch große Aufgaben vor uns und da heißt es jetzt einfach arbeiten.

    Heinlein: Wie realistisch ist denn noch die Vorstellung, man könne den Osten in absehbarer Zeit flächendeckend auf Westniveau bringen?

    Platzek: Wissen Sie, das mit dem Westniveau und flächendeckend ist so eine Sache. Ich glaube, dass das - wie ja auch in Westdeutschland selber auch - nie erreicht wird. Zum Beispiel herrschen ja zwischen Schleswig Holstein und Bayern auch nicht überall adäquate Bedingungen. Aber wir wollen Entwicklungen haben, die wirklich davon gekennzeichnet sind, dass es zu einer selbsttragenden Wirtschaft kommt. Das ist doch der Punkt. Dass es dabei weiterhin regionale Unterschiede geben wird und dass vielleicht in Vorpommern die Welt ein bisschen anders aussieht als in Leipzig oder Dresden, ist etwas fast Naturgegebenes. Da strebt nun niemand danach, einhundert Prozent Westverhältnisse zu bekommen. Wir sagen sowieso, dass der Nachbau West nicht mehr das alleinige Thema ist. Wir wollen auch neue Qualitäten entwickeln.

    Heinlein: Es herrschen schwere Zeiten, es gibt große Aufgaben, Sie haben es gesagt. Was können denn die Neuen Länder tun, um der Bundesregierung beim Sparen zu helfen?

    Platzek: Wir machen es ja schon, und zwar nicht erst seit heute. Das Land Brandenburg ist zum Beispiel intensiv dabei, das ganze Thema Personalkosten zu bearbeiten. Und zwar will es das Thema so bearbeiten, dass es über 8.000 Männer und Frauen in den verschiedenen Sphären der Landesverwaltung abbaut. Das sind dann erhebliche Sparbeiträge, aber wir wissen, dass damit die Aufgabe noch nicht beendet ist und dass wir weiter machen müssen. Der Hauptpunkt, den man beitragen kann, besteht darin, das vorhandene Geld so sinnvoll wie möglich einzusetzen. Man muss das Geld dazu bringen zu arbeiten, so dass es letztlich zur Wertschöpfung führt. Das ist der beste Beitrag, den man zum Sparen leisten kann.

    Heinlein: Und wie groß ist vor diesem Hintergrund, den Sie gerade geschildert haben, der Spielraum für die Forderung nach der Angleichung der Ostgehälter an das Westniveau?

    Platzek: Das wird ein ganz schwieriges Thema werden. Das wird seit vielen Jahren letztlich vor uns hergeschoben. Wir stellen aber fest, dass es immer mehr ein Problem wird, was tief in die Mentalität hineingeht. Die Menschen sagen, sie hätten dreizehn Jahre nach der Wende immer noch diese Spreizung. Das kann es nicht sein. Das zweite ist, dass wir ja richtig qualitativ und damit ja letztlich im Wertschöpfungsprozess Nachteile haben, wenn Sie den Wettbewerb beispielsweise im Forschungssektor sehen. Da geht natürlich ein guter Mann, den wir eigentlich dringend hier bräuchten, dahin, wo es das Geld gibt. Also wir haben davon richtige Nachteile, das muss man auch sehen und deshalb müssen wir diese Schere jetzt schließen.