Stephanie Gebert: Dem Nationalen Bildungsrat droht das Aus, bevor er überhaupt gestartet ist, weil Bayern und Baden-Württemberg aussteigen. Diese Entwicklung wird Ties Rabe gar nicht gefallen. Hamburgs Schulsenator von der SPD hatte sich für das Gremium stark gemacht. Ich habe mit ihm gesprochen und ihn als Erstes gefragt, wie groß die Enttäuschung bei ihm ist, dass die Idee vom Nationalen Bildungsrat jetzt offenbar endgültig begraben ist.
Ties Rabe: Die Enttäuschung ist eigentlich deshalb groß, nicht weil es jetzt um den konkreten Nationalen Bildungsrat geht, sondern weil wir zwischen den Bundesländern dringend eine Harmonisierung im Schulsystem brauchen und hier doch, sage ich mal, nach Gutsherrenart ziemlich schnodderig einfach der Ausstieg verkündet wurde, und das ist insgesamt eine Haltung, die dahintersteht, die darauf hinweist, dass wir auch in den nächsten Jahren mit anderen Ideen nicht vorankommen werden.
Der Nationale Bildungsrat ist im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD vereinbart. Er soll sich um viel diskutierte Probleme in Deutschland kümmern: Die Unterschiede bei der Bildung zwischen den Bundesländern, die Vergleichbarkeit des Abiturs oder darum, wie ein Umzug von Familien mit Schulkindern von einem Bundesland in ein anderes erleichtert werden kann. Der Nationale Bildungsrat wurde bislang nicht ins Leben gerufen.
Gebert: Über die anderen Ideen würde ich gleich noch mit Ihnen sprechen, vorher aber die Frage: Haben Sie nicht vielleicht viel zu lange auf ein eigentlich schon totgerittenes Pferd gesetzt mit diesem Bildungsrat? Denn die unionsgeführten Länder, aber auch Baden-Württemberg hatten ja schon lange angekündigt, dass sie eigentlich nicht mitmachen wollen und die Macht da mit Kompetenzen nicht abgeben wollen.
Rabe: Es war die CSU selber, die das in den Koalitionsvertrag geschrieben hat, zur Überraschung aller damals. Insofern muss ich ganz offen sagen, was heißt totgerittenes Pferd? Unser Problem ist, dass die CDU hier ständig das Pferd wechselt, mal vorwärts, mal rückwärts reitet. Das kann man kaum noch überschauen. Deswegen, dachte ich "pacta sunt servanda", dass man einen Koalitionsvertrag wenigstens einhält. Das ist schon ein ungewöhnliches Manöver, das jetzt hier gefahren wird, etwas, was auf Wunsch der CSU in den Koalitionsvertrag geschrieben wird, dann plötzlich einfach mal so im Alleingang, auch ohne jede Absprache zu beerdigen. Nein, ich finde, da kann man nicht denjenigen, die vertragstreu sind, den Vorwurf machen, sondern da muss man mal die fragen, die ständig die Verträge brechen, ob das eigentlich das richtige Prinzip für Politik ist.
"Alles vorgeschobene Argumente"
Gebert: Eine der großen Verfechterinnen war Bundesbildungsministerin Anja Karliczek, auch von der CDU. Jetzt sagt die Opposition, sagen die Grünen, sie ist im Grunde genommen auch mit an diesem Versagen schuld, nicht nur die CSU, wie Sie es sagen, weil sie auf ein Vetorecht des Bundes im Nationalen Bildungsrat so sehr bestanden hat. Sehen Sie das ähnlich? Liegt die Schuld auch bei der Bundesbildungsministerin?
Rabe: Nein, das ist absoluter Quatsch. In den Vorgesprächen hatten wir eigentlich einen Konsens darüber erstellt, wie der Nationale Bildungsrat vernünftig arbeiten kann, und diesem Konsens hatte sehr wohl auch Frau Karliczek mit zugestimmt und keineswegs ausgesprochen rabiate Forderungen erhoben. Sie hatte vielmehr gesagt, der Bund dürfe nicht überstimmt werden. Das ist aber eigentlich eine Forderung, die man auch bei genauerer Betrachtung nicht schlimm finden kann. Nein, das sind alles vorgeschobene Argumente. In Wahrheit gibt es hier zwei Mitspieler, nämlich die CSU mit Herrn Söder und den grünen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, die alles getan haben, um das zu hintertreiben. Die suchen jetzt fadenscheinige Argumente, aber die gibt es nicht. Das einzige, was diese beiden Personen bewegt hat, war, dass sie über die nationalen Grenzen ihrer Bundesländer nicht hinwegblicken möchten.
Schwierige Situation durch Eigensinn beider Länder
Gebert: Jetzt schauen wir mal auf die Situation. Der Bildungsrat ist im Grunde genommen Geschichte mit dem heutigen Tag, dann könnte ja eine Möglichkeit sein, um nämlich das, was der Nationale Bildungsrat bringen sollte, die Verbesserung und Transparenz im Bildungssystem beziehungsweise die Vergleichbarkeit könnte ja der Bildungsstaatsvertrag sein, den die CDU-geführten Länder so gerne hätten. Sehen Sie das als Möglichkeit, um den Karren noch aus dem Dreck zu ziehen?
Rabe: Ich glaube, diese Chance ist jetzt viel, viel geringer geworden, denn dass der Nationale Bildungsrat gescheitert ist, liegt nicht daran, dass man dieses Instrument an sich schlecht findet. Er ist daran gescheitert, weil bestimmte Bundesländer sagen, wir wollen uns nicht einigen, wir wollen, dass alle das so machen, wie wir selber. Wenn man sich nicht einigen will, dann kann man auch mit anderen Instrumenten nicht zum Erfolg kommen. Ich finde, der heutige Tag sollte uns alle noch mal nachdenklich machen dahingehend, dass vermutlich auch andere Wege mit dem heutigen Tag dornig oder ganz schwer oder vielleicht sogar nicht mehr gangbar sind, denn die Haltung, die wir brauchen, ist, dass man sich auch mal einigen will und dass man nicht sagt, nur ich zähle mit meinen 100 Prozent. Ehrlicherweise ist diese Haltung mit dem heutigen Tag noch weiter verloren gegangen.
Gebert: Wenn Sie jetzt zum Nachdenken anregen, ist nicht genug Zeit inzwischen verstrichen zum Nachdenken, und muss man nicht auch ehrlicherweise den Eltern, den Lehrkräften, den Schülern sagen, wie es weitergeht? Sie treffen sich nächste Woche in der KMK. Irgendwie muss es ja vorangehen jetzt.
Rabe: Ja, das wäre schön, aber die Frage müssen Sie nicht mir stellen, die Frage müssen Sie in Baden-Württemberg bei Herrn Kretschmann und in Bayern bei Herrn Söder platzieren. Wenn diese Länder jeder Einigung über Gemeinsamkeit, sage ich mal, die Tür zuschlagen, was sollen dann die anderen Länder machen? Ich habe ja gehört, Deutschland besteht aus 16 Bundesländern, da brauchen wir schon alle. Deswegen sage ich Ihnen ganz offen, diese Fragen habe ich auch alle, aber die Adresse bin nicht ich. Diejenigen, die sich ständig der Gemeinsamkeit verweigern, die muss man fragen, wie es weitergehen soll. Ich werde den Teufel tun, jetzt noch ganz viele neue Ideen zu platzieren und dann alle Nase lang nach einem halben Jahr, wenn in Bayern wieder mal eine Wahl ist oder in Baden-Württemberg sich die Verhältnisse ändern, plötzlich dort von einem Ministerpräsidenten zu hören, dieser Weg ist jetzt auch tot. Nein, ich glaube in der Tat, wir haben hier eine ganz, ganz schwierige Situation, die durch den Eigensinn dieser beiden Länder entstanden ist.
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