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Diskussion um Nationalen Bildungsrat
Holter: Kultusministerkonferenz wird eigenen Vorschlag erarbeiten

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek hat ihre Pläne für einen Nationalen Bildungsrat vorgestellt - und ist damit Kritik gestoßen. Helmut Holter, Bildungsminister in Thüringen, sagte im Dlf, über die Ausgestaltung von Kompetenzen müsse verhandelt werden - die Länder würden hierzu einen eigenen Vorschlag unterbreiten.

Helmut Holter im Gespräch mit Jörg Biesler |
    Der Landtagsabgeordnete der Linken im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, Helmut Holter, fotografiert am 04.07.2017 in Schwerin (Mecklenburg-Vorpommern). Holter übernimmt von der seit Monten erkrankten Thüringer Bildungsministerin Klaubert (Linke) das Amt. Holter, der acht Jahre Regierungserfahrung in Mecklenburg-Vorpommern hat, soll die angekündigten Reformen in der Bildungspolitik umsetzen. Nach Angaben der Staatskanzlei wird Holter in der nächsten Landtagssitzung nach der parlamentarischen Sommerpause - voraussichtlich am 30. August - als Minister für Bildung, Jugend und Sport des Landes Thüringen vereidigt.
    Helmut Holter (Die Linke), Bildungsminister in Thüringen (picture alliance / dpa / Jens Büttner)
    Jörg Biesler: Gestern hat Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe reagiert auf die Vorschläge von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek für einen nationalen Bildungsrat. Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Bildung wird gerade neu verhandelt, und da steht auf der einen Seite eine bessere Vergleichbarkeit beispielsweise der Schulabschlüsse, die hat auch das Bundesverfassungsgericht angemahnt, und auf der anderen das Geld. Der Bund will die Länder besser unterstützen, und das Kooperationsverbot soll fallen.
    - Helmut Holter ist Bildungsminister in Thüringen und Vorsitzender der Kultusministerkonferenz. Guten Tag, Herr Holter!
    Helmut Holter: Guten Tag!
    Biesler: Die Debatte ist eröffnet. Die Bundesbildungsministerin hat ihre Vorstellungen von einem nationalen Bildungsrat konkretisiert. Zwei Gremien, einmal Wissenschaft und einmal Verwaltung, um bundesweit einheitlicher zu werden in der Bildung. Welche Kompetenzen sollte so ein Nationaler Bildungsrat haben?
    Holter: Ich habe gestern mit der Bundesbildungsministerin ausführlich über diese Fragen gesprochen. Sie hat noch mal deutlich gemacht, dass es um ein einheitliches Vorgehen des Bundes und der Länder in der Bildungspolitik geht. Frau Karliczek ist genauso wie mir klar, dass der Bund ohne die Länder die Aufgaben nicht packt, und die Länder ohne den Bund die Aufgaben nicht packen. Und das, was sie vergangene Wochen vorgelegt hat, ist ihr Angebot an die Länder zur Ausgestaltung dieses Nationalen Bildungsrates. Das werden wir prüfen.
    Die Kultusministerkonferenz hat ja im März entschieden, proaktiv sich vorzubereiten, und im Juni wird dann hier in Erfurt über die Ausgestaltung des Bildungsrats konkret gesprochen werden. Wie gesagt, der Vorschlag von Frau Karliczek ist ein Vorschlag. Wir werden einen eigenen Vorschlag erarbeiten.
    Biesler: Wie wird denn das Verhältnis von Nationalem Bildungsrat und Kultusministerkonferenz anschließend sein? Was werden die Zuständigkeiten der Kultusministerkonferenz sein und was die vom Nationalen Bildungsrat?
    Holter: Das ist ja genau die spannende Frage. Wir haben ja faktisch dann drei Player auf dem Spielfeld. Auf der einen Seite die Bundesregierung, auf der anderen Seite die KMK, untersetzt mit der Mannschaft mit 16 Spielerinnen und Spielern, sprich die Landesministerinnen und Landesminister. Und wir haben einen Nationalen Bildungsrat, nach den Vorstellungen von Frau Karliczek sollen es 64 Mitglieder sein, die, wie Sie gesagt haben, sich aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Politik und Verwaltung zusammensetzen sollen. Es gibt Übereinstimmung, dass der Nationale Bildungsrat empfehlenden Charakter haben soll. Er kann uns also nicht verpflichten, etwas umzusetzen. Das ist eine Frage, die auch weiter ausgehandelt werden soll.
    Ich möchte ganz gern, dass im Ergebnis des Prozesses die Kultusministerkonferenz gestärkt wird und sie auch eine aktivere Rolle in diesem Kontext spielt. Denn mit dem Koalitionsvertrag zwischen den Unionsparteien und der SPD ist das Kooperationsverbot gelockert worden. Und ich sehe mit dem Nationalen Bildungsrat tatsächlich die Chance, dass es zu einer Vergleichbarkeit der Bildungsabschlüsse kommt. Aber auch, wenn in der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung mehr Einheitlichkeit hergestellt wird und damit schrittweise das Kooperationsverbot weiter unterhöhlt wird.
    Biesler: Es ist sicherlich sinnvoll, hier zu einer Vergleichbarkeit zu kommen, ich habe es gerade schon gesagt, hat das Bundesverfassungsgericht ja auch angemahnt, dass die Abiturabschlüsse ungefähr gleichwertig sind. Sonst kann halt jemand aus einem Land, in dem das Abitur leichter zu haben ist, auch leichter Medizin studieren, zum Beispiel in den NC-beschränkten Studiengängen. Nun hängen bei der Politik ja Geld und Kompetenz immer zusammen. Also, wenn der Bund mehr Geld für die Bildung ausgibt, und zwar nicht nur in finanzschwachen Kommunen, sondern insgesamt den Ländern unter die Arme greift, dann will er auch mitbestimmen. Ties Rabe, der Bildungssenator Hamburgs, hat hier gestern kritisiert, dass die Länder in einem Bildungsrat, so wie ihn die Bundesbildungsministerin vorsieht, zu wenig Stimmrechte haben, also überstimmt werden können, nicht mehr genug Kompetenzen haben. Sehen Sie die Gefahr für Ihr Land auch?
    "Es sollen die Kompetenzen auf keinen Fall an den Nationalen Bildungsrat abgegeben werden"
    Holter: Ja, die Gefahr sehe ich auch. Das habe ich gestern in dem Gespräch auch sehr deutlich gemacht. Man muss über die Stimmrechte und die Anteile der Stimmen in dem Nationalen Bildungsrat genauso verhandeln wie über Inhalte und Aufgaben. Die Kultusministerkonferenz hat ja eine Arbeitsgruppe gebildet aus Staatssekretären, die genau das vorbereiten. Und wir prüfen ja parallel auch, ob ein Bildungsstaatsvertrag zwischen den Ländern hilfreich sein kann, um diese Vergleichbarkeit tatsächlich zu erreichen. Man kann sich dem Thema ja aus mehreren Richtungen nähern. Das eine ist tatsächlich bezüglich der Abiturientinnen und Abiturienten, dass sie den gleichen Zugang zum Studium in ganz Deutschland haben. Aber noch ein Stück weiter gedacht geht es ja auch darum, den Fachkräftebedarf in der Zukunft abzusichern. Und heute schon wird eine hohe Mobilität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und auch der Freischaffenden eingefordert, sodass also aus familiären Gründen es eigentlich geboten ist, dass in den Schulen doch möglichst ein harmonisches, übereinstimmendes Angebot hergestellt wird. Das ist also der eine Punkt. Der andere Punkt ist, sage ich, ich nähere mich vom Kind her, und ich möchte, dass alle Kinder und damit Jugendliche später dann einen bestmöglichen Schulabschluss erreichen. Deswegen wäre also die Vergleichbarkeit insgesamt nur geboten, und dem müssen wir uns konkret nähern. Die KMK selbst soll für die Länder das Entscheidungsgremium bleiben. Es sollen die Kompetenzen auf keinen Fall an den Nationalen Bildungsrat abgegeben werden.
    Biesler: Ist natürlich ohnehin die Frage, warum die Bundesländer ohne den Bund bislang die Vergleichbarkeit nicht herstellen konnten.
    Holter: Die KMK hat ja einen wichtigen Schritt getan in den entsprechenden Ausschüssen, und die Ministerkonferenz selbst hat auch Entscheidungen getroffen, beispielsweise mit dem Aufgabenpool für die Abiturprüfung sind wir auf einem guten Weg. Wir sind noch lange nicht da, wo wir hin wollen, und ich glaube, mit der Diskussion, die jetzt zum Jahreswechsel auch mit der neuen Bundesregierung angeschoben wurde, hat diese Debatte einen richtigen Schub bekommen. Den müssen wir jetzt nutzen, nicht nur zu diskutieren, sondern auch zu konkreten Verabredungen zu kommen. Wenn der Nationale Bildungsrat dabei hilfreich ist, ist es gut. Wie gesagt, Mitte Juni in Erfurt wird die Kultusministerkonferenz gemeinsam mit der Bundesbildungsministerin darüber beraten, wie der Nationale Bildungsrat zusammengesetzt sein soll, wie er arbeiten soll, welche Aufgaben und welche Kompetenzen er haben wird.
    Biesler: Letztes Thema, Werteunterricht. Die Unionsfraktionsvorsitzenden fordern den für Flüchtlingskinder. Der Lehrerverband hat darauf reagiert und gesagt, das sei doch eigentlich für alle gut. Zwei Fragen dazu: Brauchen wir ihn, den Werteunterricht, und wie soll der dann auch noch an die Stundentafel passen?
    "Wir brauchen mehr Demokratiebildung an den Schulen"
    Holter: Wir brauchen mehr Demokratiebildung an den Schulen. Das ist ja mein Schwerpunkt als Präsident der Kultusministerkonferenz. Was die CDU-Kollegen dort vorschlagen, ist für mich sehr eingeschränkt. Das nur auf die Flüchtlinge zu beschränken, halte ich für falsch. Wir haben insgesamt die Herausforderung, Toleranz, Demokratie und Respekt anderen gegenüber zu vermitteln. Dafür bedarf es keiner neuen Fächer, sondern es muss ein roter Faden in allen Schulen sein und allen Fächern. Das kann im Musikunterricht, im Deutschunterricht, im Sportunterricht genauso erfolgen. Deswegen, glaube ich, ist es eine Herausforderung an alle. Wir haben ja eine Situation zu verzeichnen, dass die Sprache verroht, aber auch die Bereitschaft, Gewalt anzuwenden, auch in Schulen anzuwenden, gesunken ist. Und insgesamt haben wir in der Gesellschaft demokratiefeindliche Tendenzen zu verzeichnen. Es geht wirklich darum, Prinzipien der Demokratie und der Toleranz generell in den Schulen zu vermitteln. Das ist aber eine übergreifende Aufgabe.
    Biesler: Der Lehrerverband sagt, das gibt es nicht zum Nulltarif. Brauchen Sie dafür auch Geld vom Bund?
    Holter: Was heißt, "nicht zum Nulltarif"? Ich bin der Überzeugung, das sollte zum Prinzip im Unterricht gemacht werden. Mir geht es auch nicht um mehr Unterrichtsfächer oder mehr Stunden dafür, sondern es muss Grundprinzip in den Schulen sein, was es ja auch weitgehend ist. Aber es muss natürlich verstärkt werden, und hier ist nach meiner Auffassung von der CDU im Sinne von politischem Aktionismus reagiert worden. Es geht vielmehr darum, die Lehrerinnen und Lehrer zu unterstützen und zu stärken, Wertevermittlung und Demokratie, Bildung in den Schulen ganz aktiv voranzutreiben.
    Biesler: Helmut Holter, der Vorsitzende der Kultusministerkonferenz und Bildungsminister in Thüringen über die künftige Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Bildung und den Werteunterricht. Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.