Ulli Blumenthal: Die EU-Kommission hat der ECHA sogar gewissermaßen das letzte Wort zugesprochen bei der Entscheidung, ob Glyphosat als krebserregend gilt oder nicht. Genau darum geht es auch im Deutschlandfunk-Gespräch mit dem Landwirtschaftsexperten Lucian Haas, der die Diskussionen um Glyphosat seit Langem verfolgt.
Warum kommt plötzlich die ECHA als neue Behörde ins Spiel?
Lucian Haas: Das ist im Grunde ein ganz normaler Vorgang. Für Chemikalien gibt es in der EU verschiedene Instanzen, die Stoffe mit unterschiedlichen Brillen betrachten. Glyphosat ist ein Pflanzenschutzmittel, das gemäß der Pflanzenschutzmittelverordnung zugelassen werden muss. Glyphosat als Wirkstoff ist aber auch einfach "nur" eine Chemikalie.
Und für jede Chemikalie, die in der EU gehandelt wird, ist vorgeschrieben, dass ihre Gefährlichkeit eingeschätzt und wenn nötig entsprechend gekennzeichnet werden muss. Das geschieht im Rahmen der Chemikalienkennzeichnungsverordnung (CLP). Hierfür ist die Chemikalienagentur ECHA zuständig. Und die ECHA wurde im Zuge der Diskussionen um Glyphosat offiziell aufgefordert, ihrerseits eine neue Einstufung von Glyphosat zu liefern.
Ein Urteil mit großem Gewicht
Blumenthal: Warum wird die ECHA dann derzeit von der EU-Kommission quasi als eine Art letzte Instanz gehandelt?
Haas: Das Urteil der ECHA hat im Fall von Glyphosat ein großes Gewicht, weil die Chemikalien-Kennzeichnungsverordnung und die Pflanzenschutzmittelverordnung an einem Punkt eng miteinander verzahnt sind. In der Pflanzenschutzmittelverordnung steht explizit drin, dass alle Stoffe, die offiziell als für Menschen als krebsauslösend oder erbgutverändernd gekennzeichnet werden müssen, per se nicht zugelassen werden können. Würde die ECHA zu dem Schluss kommen, Glyphosat ist krebsauslösend, dann wäre sein Einsatz als Pflanzenschutzmittel automatisch verboten.
ECHA folgt eigenen Kriterien
Blumenthal: Macht die ECHA denn jetzt selbst neue Studien, um die Krebsgefahr von Glyphosat einzuschätzen?
Haas: Nein. In dem Bewertungsprozess werten die Experten der ECHA nur ein weiteres Mal alle schon vorhandenen Studien und Informationen aus. Allerdings folgt sie dabei eigenen Kriterien, immer mit der Frage im Blick, ob eine Chemikalie als gefährlich gekennzeichnet werden muss oder nicht.
Keine nachgewiesene Krebsgefahr
Blumenthal: Für wie wahrscheinlich halten Sie es denn, dass die ECHA Glyphosat aus ihrer Sicht als krebsauslösend einstufen könnte?
Haas: Aktuell ist das eher unwahrscheinlich. Es gibt schon eine Art Vorgutachten, das als Bewertungsvorschlag für die ECHA dient. Es stammt von der deutschen Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Und laut deren Vorschlag sollen Glyphosat in Zukunft drei Gefahrenklassen zugeordnet werden: Zum einen gilt es als stark augenreizend und als gefährlich für Wasserorganismen. Diese Einstufung gibt es schon seit Jahren. Künftig soll – und das wäre neu – für Glyphosat auch noch angeführt werden, dass es bei anhaltender oder wiederholter Exposition zu Organschäden kommen kann.
Eine nachgewiesene Krebsgefahr oder mögliche Erbgutschäden werden in dem Bewertungsvorschlag allerdings verneint.
Blumenthal: Könnte sich die ECHA nicht über diesen Vorschlag hinweg setzen?
Haas: Doch, das könnte sie. Aktuell und noch bis zum 18. Juli darf die Öffentlichkeit, also alle Interessierten, Kommentare und Einwände zu dem Vorschlag der Glyphosat-Einstufung auf der Webseite der ECHA hinterlassen. Diese werden dann im weiteren Prozess von den Experten gesichtet und auf Relevanz hin geprüft. Ob sich darunter allerdings etwas findet, das von der ECHA als Beweis für die Krebsgefahr von Glyphosat gewertet werden könnte, ist derzeit noch nicht absehbar. Nach aktuellem Stand würde ich in diesem Punkt eher mit einem Freispruch von Glyphosat durch die ECHA rechnen.