Archiv

Diskussionsveranstaltung in Berlin
Vom Umgang mit dem deutschen Genozid an den Herero

Verübte General von Trotha in deutschem Auftrag zu Beginn des 20.Jahrhunderts, zehn Jahre vor dem Ersten Weltkrieg, einen Genozid in Deutsch Südwestafrika, dem zigtausend Menschen zum Opfer fielen? Und wenn ja, muss man das auch so nennen und anerkennen? Auf einer Veranstaltung in Berlin wurde das Thema diskutiert.

Von Christoph Reimann |
    Ester Utjua Muinjangue steht auf dem Podium in der Berliner Werkstatt der Kulturen, sie zeigt Fotos aus den Jahren 1904 bis 1908, aufgenommen in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Zu sehen sind angekettete Mitglieder der Volksgruppen Herero und Nama, Männer und Frauen erhängt an Bäumen, abgetrennte Köpfe.
    "Wir alle kennen die Geschichte der Schädel. Meine Leute wurden enthauptet. Ihre Schädel wurden nach Deutschland gebracht, um zu beweisen, dass sie den Weißen unterlegen seien. Das hier sind die Schädel, fertiggepackt zum Transport nach Deutschland, zu Forschungszwecken."
    Muinjangue gehört zu den Vertretern der Herero und Nama, die in dieser Woche nach Berlin gekommen sind. Ihre Forderung: Die systematischen Morde an den Herero und Nama zwischen den Jahren 1904 und 1908 müssen als Genozid anerkannt werden. In dem Kolonialkrieg wurden rund 90.000 Menschen von deutschen Truppen getötet. 80 Prozent der Herero kamen so ums Leben, und rund 50 Prozent der Nama. Am Montag haben die Delegierten dem Bundespräsidenten deshalb eine entsprechende Petition übergeben.
    Man könnte sagen: mal wieder. Denn Initiativen dieser Art sind nicht neu. Aktuell hat die Opposition im Bundestag entsprechende Anträge eingereicht.
    Aber die Bundesregierung spricht bisher offiziell nicht von einem Völkermord. Stattdessen verweist sie in einer aktuellen Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen darauf, dass sie sich seit 2014 mit der namibischen Regierung in einem gemeinsamen Dialog befinde, der, Zitat, "erstmals auch die Suche nach einer gemeinsamen Haltung und einer gemeinsamen Sprache in Bezug auf den grausamen Kolonialkrieg (...) umfasst".
    Unumstritten: es war Mord
    Jürgen Zimmerer ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität Hamburg. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit der deutschen Kolonialzeit. Dass es sich bei den Morden an den Herero und Nama um einen Genozid handele, sei unter Historikern unumstritten, sagt er, und zeigt Parallelen zu den Nazi-Verbrechen auf:
    "Sowohl im Kolonialismus als auch im Ostkrieg des "Dritten Reiches" geht es eigentlich um die Gewinnung von Raum für deutsche Siedler. Und über die Strukturierung von Raum über das Prinzip der Rasse. Also in beiden Fällen haben Sie auch den Versuch., einen Rassen-Staat zu errichten, im Grunde also eine Gesellschaftsordnung auf einer rassistischen Utopie."
    Den Holocaust hat Deutschland weitgehend aufgearbeitet. Beim Kolonialkrieg am Anfang des 20. Jahrhunderts sieht es anders aus – obwohl an den Universitäten viel geforscht werde, sagt Zimmerer:
    "Im Grunde haben wir immer noch mit den Auswirkungen einer kolonialen Amnesie zu kämpfen. Das heißt, die gesamte deutsche Kolonialgeschichte wurde nach 1945 verdrängt und auch in den Hintergrund gedrängt durch die Verbrechen des Dritten Reiches. Wir haben noch keinen öffentlichen Diskurs über den Umgang mit diesen Verbrechen. Und das ist hochproblematisch. Weil das im Grunde, dadurch, dass wir eine zutiefst rassistische Phase der deutschen Geschichte aus unserem kollektiven Gedächtnis ausblenden, das Problem des Rassismus in der deutschen Geschichte auch in der Gegenwart nicht wirklich in den Griff bekommen."
    Der Holocaust, die Verbrechen der Nationalsozialisten - sie hätten die Beschäftigung mit der deutschen Kolonialzeit überlagert. Und die Haltung der Bundesregierung? Man habe Angst vor Reparationsforderungen, sagt Zimmerer. Aber zuletzt ist Bewegung in die Sache gekommen. Schon mehrfach hat die Berliner Charité Gebeine von ermordeten Herero und Nama zurückgegeben. Im April hatte Bundespräsident Gauck das Armenienmassaker als Genozid bezeichnet – auch das erhöht den Druck auf die Bundesregierung, ihre Position in der Namibia-Frage zu überdenken. Und heute heißt es aus einer Vorabmeldung der Wochenzeitung "Die Zeit", dass Bundestagspräsident Norbert Lammert in einem Gastbeitrag die Kolonialverbrechen im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika verurteile - und als Genozid bezeichne. 100 Jahre nach dem Ende der deutschen Kolonie könnte also doch eingeleitet werden, was die Vertreter der Herero und Nama gestern während der Podiumsdiskussion selbst forderten: die Anerkennung der Morde als Genozid, eine Entschuldigung und schließlich: Wiedergutmachung.