Es war am 11. September 2012, als Saeeda Khaton zusammen mit ihrem Mann ihren einzigen Sohn verlor. Bei dem schwersten Fabrikunfall Pakistans starben über 250 Menschen. In Karatschi, der größten Industriestadt Pakistans, war in der Textilfabrik "Ali Enterprises" ein Feuer ausgebrochen.
Hauptauftraggeber dort: Der deutsche Textilhersteller Kik mit Sitz in Bönen, nahe Dortmund. Normalerweise finden solche Katastrophen nicht den Weg vor deutsche Gerichte, doch diesmal war es anders:
"Wir haben uns zusammengetan. Der Fall ist international geworden. Solche Unfälle müssen überall auf der Welt verhindert werden. Wir kämpfen für unser Recht und unser Ziel ist es, dass es nirgendwo mehr solche Brände geben darf."
Sagt Khaton als eine von vier Vertretern, die von Kik - unterstützt von Vereinigungen - jeweils ein Schmerzensgeld von 30.000 Euro verlangen - und damit im November letztens Jahres juristisches Neuland betraten:
"Zum ersten Mal eine Klage vor deutschen Zivilgerichten gegen eine deutsche Muttergesellschaft für ein Schadensereignis bei einem deutschen Zulieferer. Das ist jetzt hier konkret in der Textil-Branche, aber das ist sozusagen, wenn man so will, eine Art Präzedenzfall für alle Branchen, wie auch zum Beispiel die Rohstoff-Industrie."
Gutachten spielt wichtige Rolle
Bewertet Leonard Hübner vom Institut für internationales und ausländisches Privat- und Wirtschaftsrecht der Universität Heidelberg das Verfahren vor dem Landgericht Dortmund. Er habilitiert zu dem Thema "Unternehmenshaftung für Menschenrechtsverletzungen":
"Dass jetzt, wie im Fall von Kik, pakistanisches Recht vor deutschen Gerichten landet, ist eher selten der Fall, führt aber letztlich zu keinem anderen Ablauf, denn das Gericht muss grundsätzlich das Recht kennen. Aber bei ausländischem Recht gilt die Besonderheit, dass dort das Gericht die Möglichkeit hat Gutachter, also externe Gutachter mit Fachkenntnissen zu ausländischem Recht heranzuziehen."
Eine zentrale Rolle spielt ein Gutachten, welches das Gericht selbst bei einem unabhängigen britischen Rechtsgelehrten in Auftrag gegeben hatte. Dieser kommt zum Schluss, dass die Ansprüche der Kläger verjährt seien.
"Ja, das Gutachten sagt ja klar, ich betone, im pakistanischen Recht, eine Verjährung vorhanden ist. Von daher gehen wir – Stand heute - auch davon aus, dass es gar nicht zu dem Prozess kommt. Ich glaube, von Gewinnen und Verlieren zu reden ist schwierig, aber wir glauben, es kommt gar nicht zu dem Prozess aufgrund der Verjährung im pakistanischen Recht."
Sagt Patrick Zahn, Geschäftsführer von Kik. Er sieht sein Unternehmen zu Unrecht auf der Anklagebank: "Wir glauben, sind davon überzeugt, dass wir alles getan haben, was unserer Verantwortung entspricht."
Missstände sollen abgestellt werden
Sprich: Aus der Sicht von "Kik" kann die Klage daher nur abgewiesen und der Prozess eingestellt werden. Letztendlich sei es ein Brandanschlag gewesen, gegen den man sich - egal unter welchen Umständen - nicht mit dem Brandschutz hätte wappnen können.
Zudem habe das Unternehmen über sechs Millionen Dollar an Schadenersatz geleistet: "Wir sind uns relativ sicher, dass wir Recht bekommen. Wobei da muss man auch unterscheiden, es gibt das juristische, das harte Recht und es gibt natürlich auch ein gefühltes Recht. Ich glaube oder wir glauben fest daran, dass wir eine Verantwortung haben, der wir auch nachgekommen sind."
Dass sehen die Kläger anders. Sollte der Klage stattgegeben werden, müsste das Gericht in die Beweisaufnahme einsteigen. Wenn nicht, könnte diese Klage ein Vorbote sein: Denn anders als früher, so Experten wie der Heidelberger Jurist Hübner, aber auch Professor Heinz-Peter Mansel, Kollege an der Universität zu Köln, gibt es seit einiger Zeit eine neue Entwicklung:
"Ich glaube schon, dass es den Organisationen, die die Kläger unterstützen zum einen um eine Entschädigung der konkreten Kläger geht, zum anderen darum, ein Bewusstsein zu schaffen für die Problematik globalisierten, geteilten Wirtschaftens."
Vor allen Dingen wollen sie die Missstände abstellen. Während früher Fälle bei Unglücksfällen eher außergerichtlich geklärt worden seien, werde es zukünftig wohl verstärkt Gerichtsverfahren geben, auch wenn – wie vielerorts vermutet - die Richter am Landgericht Dortmund heute, die Klage gegen Kik aus Verjährungsgründen abweisen werden.