Archiv

Diversität
"Zartsprechen" als Waffe

Kritik an politischer Korrektheit von links: Die Gesellschaft müsse sich wieder auf Solidarität besinnen, statt immer neue Schlachtfelder für Beleidigte zu eröffnen, sagte der Philosoph Robert Pfaller im Dlf. Nur so könne wirklich Gleichheit hergestellt werden.

Robert Pfaller im Gespräch mit Anja Reinhardt |
    Der Philosoph Robert Pfaller auf der phil.cologne in Köln
    Der Philosoph Robert Pfaller auf der phil.cologne in Köln (picture alliance / dpa / Horst Galuschka)
    Ungefähr bis 1980 habe es eine Wirtschaftspolitik gegeben, die es den westlichen Gesellschaften ermöglicht habe, nach dem Zweiten Weltkrieg zu materiellem Wohlstand und damit auch zu Gleichheit geführt, meint Robert Pfaller, Philosoph und Kulturtheoretiker. "Seither erleben wir eine neoliberale Wirtschaftspolitik, die für zunehmende Ungleichheit in der Gesellschaft sorgt. Unter diesen Voraussetzungen taucht aber plötzlich eine Kulturpolitik auf, die so tut, als könnte sie diese wachsende Ungleichheiten irgendwie auf der kulturellen Ebene beheben oder kompensieren." Diese postmoderne Kulturpolitik habe aber letztendlich nur zu einer massiven Entsolidarisierung geführt, weil es zunehmend schwieriger werde, vernünftig miteinander zu reden, weil sich jeder auf persönliche Empfindlichkeiten beriefe.
    "Wer keine Zukunft hat, braucht Herkunft"
    "Wenn die Menschen in der Lage sind, besser zu leben, als sie gestern gelebt haben, dann geben sie doch einen großen Teil ihrer kulturellen Herkunft, religiösen Hintergründe, sexuellen Vorlieben auch gerne auf oder halten das im Hintergrund, weil sie merken, dass es für sie um noch etwas viel Entscheidenderes geht. Wenn sie keine Zukunftsperspektive haben, dann blicken sie plötzlich nach hinten. Also: Wer keine Zukunft hat, braucht Herkunft." Identität werde plötzlich zu einem alles bestimmenden Faktor, egal in welchem Milieu. Der Blick auf das große Ganze gehe verloren. Dabei habe doch gerade die Linke eine lange Tradition des "frechen Sprechens", so Pfaller, der an Bertolt Brecht erinnert.
    Symbolisches Kapital als moralische Waffe
    "Die Empfindlichkeitspropaganda ist natürlich eine Agenda oberer Mittelschichten. Das spielt sich nicht dort ab, wo Menschen Angst um ihren Arbeitsplatz haben oder nicht wissen, wie sie ihren Kindern die Zahnspange zahlen sollen." Vorwiegend spiele sich das an Universitäten und da auch in den sogenannten Luxusstudiengängen ab: Kulturwissenschaften, Kunst, Philosophie. Dort würden Studierende plötzlich Gedichte oder Texte entdecken, die ihre Gefühle und ihre Identität verletzten. Man überbiete sich mit symbolischem Kapital und könne damit andere in die Schranken weisen, sagt Pfaller und verweist auf Bourdieus Schrift "Die feinen Unterschiede": Distinktion, oder wie es Pfaller formuliert: "Zartsprechen" als Waffe. "Moralisierung tritt immer da auf, wo Politisierung verschwindet." Pfaller dagegen plädiert für eine erwachsene Sprache und für einen öffentlichen Raum, in dem die eigene Identität hintangestellt werde.