Seit 1994 beteiligt sich Heidelberg an EPIC. Das ist eine europäische Langzeit-Studie über Krebs und Ernährung. Warum gerade Heidelberg? Weil dort das DKFZ sitzt, das Deutsche Krebsforschungszentrum. Dort arbeitet auch der Mediziner und Epidemiologe Tilman Kühn:
"Die EPIC-Studie in Heidelberg ging los mit 25.000 Heidelbergern. Erwachsene im Alter von 35 bis 65 Jahren, die zu dem Zeitpunkt gesund waren, also keine chronische Erkrankung hatten."
Das blieb aber nicht so. Mehr als 1000 Studienteilnehmer erkrankten in den Folgejahren an Krebs:
"Wenn wir die häufigsten Krebserkrankungen anschauen - Brustkrebs bei Frauen, Prostatakrebs bei Männern - dann kann man sagen: Mitte der 90er-Jahre bis Ende 2006 waren das dann etwa 400 Fälle von Brustkrebs und 400 Fälle von Prostatakrebs."
Bis heute sind Blutproben der EPIC-Teilnehmer vorhanden. Sie wurden damals eingefroren. Diese Proben haben DKFZ-Wissenschaftler jetzt noch einmal genauer untersucht.
Vom Ergebnis war selbst Tilman Kühn überrascht, wie er sagt. Die Forscher entdeckten bemerkenswerte Unterschiede in der Konzentration bestimmter Fettmoleküle im Blut, Lyso-Phosphatidylcholine genannt:
"Der Befund war, dass bei Personen, die gesund geblieben sind, in den Blutproben die Lyso-Phosphatidylcholine und insbesondere der am stärksten im menschlichen Blut vertretene Metabolit höher konzentriert vorlagen als bei Personen, die später Krebs entwickelt haben. Höhere Konzentrationen bei Menschen, die gesund geblieben sind, und niedrigere Konzentrationen bei Menschen, die an Krebs erkrankt sind."
Das gelte übereinstimmend für alle drei untersuchten Krebsarten. Neben Brust- und Prostata- waren das auch noch über 200 Darmkrebs-Fälle aus der EPIC-Studie.
Kühn und seine Kollegen könnten also auf einen Biomarker gestoßen sein, der Hinweise auf eine spätere Krebserkrankung liefert - lange, bevor sie überhaupt ausgebrochen ist:
"Der Abstand zwischen Blutproben-Entnahme und Krankheitsentstehung lag in unserer Studie im Durchschnitt bei etwa sechs bis sieben Jahren."
Die Methode, die die Epidemiologen nutzten, nennt sich Metabolomik. Oder englisch: metabolomics. Dabei versucht man, möglichst viele Stoffwechselprodukte in einer Probe Blut, Urin oder Gewebe zu bestimmen. Es ist eine Art Schrotschuss-Technik. Sie liefert unzählige Treffer. Mit manchen Analyse-Sets lassen sich die Konzentrationen von weit über tausend einzelnen Substanzen ermitteln.
Mögliche Erkenntnisse für die Krebs-Früherkennung
Doch was sagen einem die ganzen Daten? Kritiker monieren, die Metabolomik liefere vor allem eines: Zufallsbefunde! Tilman Kühn kennt diese Einwände, sagt aber mit Blick auf seine Studie:
"Dass wir eigentlich nicht davon ausgehen, dass das Zufall ist. Wir müssen zugeben, dass uns die biologischen Erklärungen für das, was wir da finden, zum Teil noch fehlen, dass da weiter geforscht werden muss. Aber allein die Tatsache, dass das bei drei Krebsarten so stark präsent ist und dass diese Zusammenhänge auch unabhängig sind von anderen Krebsrisikofaktoren, hat uns hier eigentlich sehr positiv gestimmt, dahingehend dass wir denken: Wir sind hier vielleicht wirklich einem biologischen Phänomen auf der Spur, das in der Krebsentwicklung eine Rolle spielt."
Niedrige Konzentrationen der Choline kennt man schon länger im Fall von Krebs - aber erst nach Ausbruch der Erkrankung.
"Wenn der Krebs da ist, wissen wir, dass diese Lyso-Phosphatidylcholine wahrscheinlich eine Rolle spielen in dem Ankurbeln des Wachstums von Tumoren. Was wir noch nicht so ganz verstehen, ist, warum diese Veränderungen schon in einem gesunden Zustand eine Rolle spielen sollten als Risikofaktor für spätere Erkrankungen. Das gilt es sicher in der Zukunft besser aufzuklären."
Sollten die DKFZ-Forscher auf der richtigen Fährte sein, könnte man sich vorstellen, dass die Choline eines Tages bei ganz normalen Blut-Untersuchungen miterfasst werden. Und dass Patienten mit auffälligen Befunden dann regelmäßig zur Krebs-Früherkennung gehen. So weit, sagt Kühn, sei es aber noch lange nicht:
"Man muss fairerweise und ehrlicherweise sagen, dass unsere Analysen alleine auf keinen Fall ausreichen, um die Krebsfrüherkennung zu verbessern. Das wird sich in den nächsten Jahren nur in einer Vielzahl weiterer Studien - wenn überhaupt - ermöglichen lassen. Und das ist noch ein weiter Weg."