Manchmal kommen Wissenschaftler beiläufig auf neue Forschungsideen. Bei der Virologin Marie Toppinen gab der öffentliche Vortrag eines Humangenetikers den Anstoß.
"Ich hörte einen Vortrag darüber, wie Neandertaler anhand von fossiler DNA aus Knochenfunden untersucht wurden. Da schoss es mir durch den Kopf: Was wäre, wenn wir auch Viren beziehungsweise das Genom dieser Krankheitserreger in alten Knochen finden könnten. Dann könnten wir zurückblicken und erforschen, wie sich die Viren in der Vergangenheit entwickelt haben."
Der Geistesblitz kam Marie Toppinen nicht von ungefähr. Sie forscht an der Universität Helsinki in der Arbeitsgruppe des Virologen Klaus Hedman. Dieser hatte Ende der 1990er-Jahre erstmals nachgewiesen, dass bei Menschen, die in jungen Jahren an vergleichsweise harmlosen Ringelröteln erkrankten, auch im hohen Alter noch die intakte DNA von Parvoviren, den Erregern dieser Krankheit, gefunden werden kann.
"Wir haben herausgefunden, dass die DNA der Parvoviren ein Leben lang in den meisten Weichgeweben erhalten bleibt. Wir schauen in die Organe und finden dort gewissermaßen die Fingerabdrücke der Erreger. Das heißt, wir können bei alten Menschen sagen, welchen Viren sie vor 70, 80 Jahren in der Kindheit ausgesetzt waren. Allerdings haben wir nicht erwartet, dass wir diese Spuren auch in Knochen finden könnten. Viele Menschen sehen Knochen ja eher als hartes und sozusagen totes Gewebe an."
Erste Ergebnisse bei der DNA-Analyse
Marie Toppinen und Klaus Hedman machten sich daran, diese These zu überprüfen. Als Kooperationspartner gewannen sie Experten vom Institut für forensische Medizin der Universität Helsinki. Dort läuft seit Jahren ein Projekt, um die knöchernen Überreste von finnischen Soldaten, die während des Zweiten Weltkriegs in den Wäldern Kareliens auf heute russischem Territorium gefallen waren, nach Finnland zurückzuführen. Bevor sie dort feierlich begraben werden, versuchen die Forensiker, die Identität der Toten zu bestimmen, und zwar anhand von DNA-Analysen aus den Knochen. Mit den gleichen Verfahren machten sie sich auf die Suche nach Virus-DNA, erzählt Marie Toppinen.
"Die eingesetzten Methoden zur DNA-Extraktion zielten ursprünglich nicht darauf, Virus-DNA zu finden. Es ging um Gene von menschlichen Mytochondrien oder vom männlichen Y-Chromosom. Dennoch konnten wir auch Virus-DNA aufspüren. Man muss dafür die Knochen aufbohren und zermahlen, um an die DNA heranzukommen. Die Methoden zur Extraktion der DNA, egal, ob humanen und viralen Ursprungs, sind prinzipiell die gleichen."
Für die Studie untersuchten die Forscher Knochenproben von 106 Gefallenen. Spuren der DNA von Parvoviren fanden sich in fast der Hälfte der Fälle. Interessanterweise gehörten die gefundenen Parvoviren zu genetischen Varianten, die in der heutigen finnischen Bevölkerung nicht mehr verbreitet sind. In zwei Fällen wurden sogar Viren nachgewiesen, deren Typ bis heute in nordischen Ländern gar nicht vorkommt. Für die Forensik-Experten war das besonders interessant, denn zusammen mit den Analysen der humanen DNA bestätigten sie die Vermutung, dass diese zwei Toten eher Soldaten der Roten Armee gewesen waren.
Womöglich Rückblick in frühere Jahrhunderte möglich
Klaus Hedman interessiert sich als Virologe aber mehr für andere Fragestellungen. Seitdem er weiß, dass Virus-DNA in alten Knochen Jahrzehnte, vielleicht sogar Jahrhunderte erhalten bleiben kann, hat er ein neues Ziel: Er hofft, in Zukunft anhand der Analyse der fossilen Erbgutspuren die Evolutionsgeschichte wichtiger Krankheitserreger der Menschheit studieren zu können.
"Humangenetiker haben schon erfolgreich die DNA von Neandertalern aus zehntausende Jahre alten Knochen analysiert. Es ist möglich, dass wir eines Tages Virus-DNA untersuchen, die vielleicht noch in ägyptischen Mumien zu finden ist oder in den Knochen von den Ureinwohnern Amerikas aus der Zeit vor Kolumbus. Unsere Forschung steht vor einer aufregenden Phase."
Als ersten Schritt haben die Forscher damit begonnen, in 200 bis 300 Jahre alten Knochen nicht nur nach Parvoviren, sondern nach der DNA anderer persistenter Viren zu suchen. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass auch Gene von Herpes- und Papillomaviren in der menschlichen Knochensubstanz erhalten bleiben.