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Doch keine Zensur für Virenpublikation?

Biosicherheit. - Zwei Studien über genetisch veränderte Vogelgrippeviren des Typs H5N1 sorgen für Grundsatzdiskussionen innerhalb der Wissenschaftlergemeinde. Zwei Arbeitsgruppen hatten über veränderte H5N1-Viren berichtet, die die Übertragung zwischen Säugetieren ermöglichen. Der beratende Ausschuss für Biosicherheit der US-Regierung NSABB hatte empfohlen, die beiden Studien nicht komplett zu veröffentlichen, um den Missbrauch der Erkenntnisse zu verhindern. Widersprochen hatte dem die Weltgesundheitsorganisation WHO, und jetzt scheint das US-Gremium zumindest seine Position zu überdenken. So klang es auf einer Podiumsdiskussion, die jetzt in Washington stattfand, durch. Die Wissenschaftsjournalistin Marieke Degen berichtet im Gespräch mit Uli Blumenthal.

Marieke Degen im Gespräch mit Uli Blumenthal |
    Blumenthal: Frau Degen, Sie haben die Diskussion verfolgt. Woher kommt dieser Sinneswandel?

    Degen: Ja, offenbar war da wirklich das Treffen bei der Weltgesundheitsorganisation in Genf ausschlaggebend vor drei Wochen, wo die Grippeexperten eben zu dem Schluss gekommen sind, anders als die NSABB, dass die Studien vollständig veröffentlicht werden sollten. Erstens weil niemand weiß, wie so eine abgespeckte Version dieser Studien überhaupt aussehen könnte. Und zweitens weil die Studiendetails für Grippeforscher einfach sehr, sehr wichtig sind. Weil sie eben zeigen, wie sich das Vogelgrippevirus verändern muss, damit es auch von Säugetier zu Säugetier springen kann. Und bei dem Treffen in Genf waren auch Mitglieder des NSABB. Jetzt wollen die eben ihre Entscheidung noch einmal überdenken.

    Blumenthal: Das US-amerikanische Gremium für Biosicherheit NSABB hatte ja argumentiert, dass es zu gefährlich sei, die Details öffentlich zu machen. Warum jetzt so eine, ja, ein bisschen verhaltene Kehrtwende?

    Degen: Entscheidend war wohl, dass die Forscher, die diese Studie gemacht haben, neue Daten vorgelegt haben bei diesen WHO-Treffen. Und dass sie auch ihre älteren Daten ein bisschen besser eingeordnet haben. Also, es gibt jetzt quasi zwei neue Versionen von den Studien. Und die will sich das NSABB noch einmal ganz genau anschauen.

    Blumenthal: Das hört sich jetzt ein bisschen geheimnisumwittert an. Weiß man etwas, welche Daten da in Genf neu vorgelegt wurden, die jetzt zu dieser Diskussion auch in Washington geführt haben?

    Degen: Offenbar hat vor allem einer der betroffenen Forscher Ron Fouchier aus Rotterdam, der hat mal ein paar Dinge einfach klargestellt. Also gerade über die Studie von Ron Fouchier sind unheimlich viele Horrorgeschichten kursiert. Er habe das schlimmste Virus aller Zeiten geschaffen und dergleichen. Und Ron Fouchier sagt jetzt: Das stimmt so nicht. Das Virus, das er im Labor geschaffen hat, das sei längst nicht so gefährlich, wie alle denken.

    Blumenthal: Aber es hieß ja auch, dass das Virus, mit dem Ron Fouchier bei den Versuchen gearbeitet hat, möglicherweise sich relativ gut von Mensch zu Mensch ausbreiten kann. Stehen jetzt diese Ergebnisse zur Diskussion?

    Degen: Also, was Ron Fouchier bei den Versuchen gezeigt hat ist, dass sich das Virus zwischen Frettchen ausbreiten kann. Und das bedeutet auch, dass es sich auch unter Menschen möglicherweise ausbreiten könnte. In der Presse gingen aber noch ein paar andere Dinge herum. Da hieß es, das Virus würde sich in Windeseile ausbreiten, und jedes zweite Frettchen wird an diesem Virus sterben. Und da sagt Ron Fouchier: Nein, das stimmt nicht. Das Ganze ist ein bisschen vertrackt. Die Studien liegen ja nach wie vor unter Verschluss, das heißt, der Forscher darf eigentlich nicht darüber sprechen. Er darf auch nicht darüber sprechen, wie gefährlich, wie tödlich sein H5N1-Virus ist. Aber bevor diese ganze Debatte losgebrochen ist, da hat Ron Fouchier die Studie schon auf Konferenzen vorgestellt. Da waren andere Forscher dabei, da waren noch Journalisten dabei. Und alle Informationen, die wir bisher hatten über diese Studie, die stammen eben von diesen Konferenzen, von diesen Teilnehmern. Und da wurde eben immer berichtet: Die Frettchen haben sich gegenseitig mit dem Virus angesteckt, 60 bis 70 Prozent der Frettchen sind daraufhin quasi tot umgefallen, also unheimlich viele. Und Ron Fouchier ist eben jetzt in die Offensive gegangen und hat gesagt: Nein, das stimmt nicht. Die Frettchen haben sich zwar gegenseitig angesteckt, aber die meisten sind noch nicht einmal krank geworden. Und sie sind auch erst recht nicht gestorben. Die Frettchen sind erst dann gestorben, wenn die Forscher ihnen wirklich riesige Mengen von diesem Virus direkt in die Lunge gegeben haben, und das ist ja kein normaler Ansteckungsweg. Außerdem sagt Ron Fouchier, das Virus sei zwar ansteckend, aber wahrscheinlich nicht so hoch ansteckend, wie zum Beispiel die Schweinegrippe.

    Blumenthal: Das heißt, dass man einem Phantom oder einer Seifenblase hinterher jagt, dass wir, die Medien, oder auch die Forscher, die ganze Gemeinschaft, das aufgebauscht haben. Kann man dazu schon irgendeine Position einnehmen?

    Degen: Ich habe ja gerade schon gesagt, es war die ganze Zeit sehr, sehr schwierig, an Informationen über diese Studien heranzukommen. Insofern musste man sich ein bisschen darauf verlassen, was andere Forscher berichtet haben. Was man natürlich auf keinen Fall sagen kann im Moment ist, dass dieses veränderte H5N1-Virus total harmlos ist. Denn Tatsache ist, Frettchen können sich mit dem Virus gegenseitig anstecken, höchstwahrscheinlich können sich auch Menschen mit dem Virus gegenseitig anstecken. Also H5N1 hat generell das Zeug dazu, beim Menschen eine Pandemie auszulösen. Das haben ja viele immer bezweifelt, und das hat Ron Fouchier jetzt definitiv gezeigt. Wie gefährlich dieses Laborvirus für Menschen ist, das kann man im Moment nicht sagen. Also generell ist es ja heute so: wenn sich Menschen mit H5N1 infizieren, zum Beispiel über Hühner, dann stirbt jeder zweite, schätzt man. Ob das bei diesem veränderten Virus, bei diesem ansteckenden Virus von Ron Fouchier auch so ist, das weiß keiner. Das kann man ja schlecht an Menschen testen. Aber selbst, wenn dieses Virus nur eine Sterblichkeit von fünf Prozent hätte, dann wäre es immer noch extrem gefährlich, dann wäre es schlimmer als die Spanische Grippe von 1918. Und deshalb will das NSABB das Ganze auch noch einmal sehr, sehr sorgfältig prüfen.
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