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Doch wieder Castoren nach Gorleben?

Eigentlich sollte bis zum Jahresende kein Castor mehr im Atommüllzwischenlager Gorleben ankommen dürfen. Das zulässige Soll wurde bereits erreicht, hieß es noch kürzlich. Nun aber führen neue Messungen zu gegensätzlichen Erkenntnissen.

Von Susanne Schrammar |
    Das niedersächsische Umweltministerium hat nachmessen lassen in Gorleben. Im Juni dieses Jahres hatten die für die Messungen zuständigen Landesbehörden Alarm geschlagen: Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Neutronenstrahlung am Außenzaun des atomaren Zwischenlagers den sogenannten Eingreifwert von 0,27 Millisievert erreichen würde, auch eine Überschreitung des Jahresgrenzwertes von 0,3 Millisievert schien möglich – selbst ohne die anstehende Einlagerung elf weiterer Castoren. In diesem Fall hätten keine zusätzlichen Atommüllbehälter ins Zwischenlager gebracht werden dürfen. Doch jetzt hat die Physikalisch-Technische Bundesanstalt – die Messinstitution in Deutschland –nachgeprüft. Helmut Schuhmacher, Fachbereichsleiter Neutronenstrahlung bei der PTB.

    "Bei der Gammastrahlung konnten wir feststellen, dass wir nur Gammastrahlung natürlichen Ursprungs haben, also aus der Umweltradioaktivität, aber keine zusätzliche Komponente vom Brennelementelager. Bei den Neutronen ist das anders. Da ist ein Messwert klar festzustellen. Die Dosis ist – hochgerechnet auf ein Jahr – 0,21 Millisiviert."

    Die Messmethoden der Bundesanstalt seien präziser als die des Landesbetriebes, heißt es angesichts der unterschiedlichen Ergebnisse. Demnach geht vom Atommüllzwischenlager Gorleben derzeit keine unzulässig hohe Strahlenbelastung aus. Allerdings ist noch nicht bekannt, wie sich der Strahlenwert mit den elf weiteren Castoren verändern wird, die vermutlich Ende November aus der Wiederaufbereitungsanlage La Hague nach Gorleben gebracht werden sollen. Eine entsprechende Prognose des TÜVs soll nicht vor Ende Oktober vorliegen. Erst dann will das Umweltministerium über die Genehmigung entscheiden. Trotz fehlender Daten geht Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander, FDP, jedoch davon aus, dass der Castor-Transport wie geplant rollen kann.

    "Eine Prognose kann ich im Augenblick nicht wagen, ich kann nur sagen: nach derzeitigem Kenntnisstand und aufgrund der Erfahrungen der Einlagerung in den letzten Jahren ist davon auszugehen, dass der Jahresmittelwert auch bei den Berechnungen, die wir jetzt anstellen, eingehalten wird und das heißt: Dann haben wir gar keine Möglichkeit, dem Betreiber eine Genehmigung zu versagen."

    Auch der Betreiber des Gorlebener Zwischenlagers, die Gesellschaft für Nuklearservice, eine Tochter der Atomenergieunternehmen, zeigt sich zuversichtlich, dass nicht nur die Ende November erwarteten Castoren problemlos in der Halle im niedersächsischen Wendland untergebracht werden können, Sprecher Jürgen Auer:

    "Wir haben keinen Zweifel, dass alle Behälter, die überhaupt noch zur Einlagerung bei uns anstehen, dass die bei uns eingelagert werden können, ohne, dass eben der Grenzwert erreicht wird."

    Atomkraftgegner und Oppositionspolitiker in Niedersachsen haben hingegen erhebliche Zweifel – trotz der Messwerte der Physikalisch-technischen Bundesanstalt. Die PTB-Ergebnisse passten "vorzüglich ins Konzept der Landesregierung", die die Castoren unbedingt noch in diesem Jahr nach Gorleben bringen wolle, heißt es von der SPD. Die Grünen nannten das Messergebnis "abenteuerlich". Es sei nicht nachvollziehbar, wie die Bundesanstalt zu der Feststellung gelangt sei, dass der hochradioaktive Atommüll in den Castoren keinerlei Gamma-Strahlung aussende. An diesem Punkt stören sich auch die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg und andere Atomkraftgegner und fordern einen Stopp der Castors-Transporte. Tobias Riedl, atompolitischer Sprecher von Greenpeace:

    "Herr Sander handelt gemäß dem Motto: Was nicht passt, wird passend gemacht und es wird dann eben so lang gemessen, bis die gewünschten Ergebnisse herauskommen. Es ist schon verwunderlich, über Jahre wurden immer Gamma-Werte hinzugerechnet und plötzlich spielen diese Werte keine Rolle mehr. Dies ist schon höchst bedenklich."

    Unterdessen hat Niedersachsens Umweltminister Sander vorgeschlagen, dass für den Fall, dass der Salzstock Gorleben als atomares Endlager nicht geeignet sein sollte, den Atommüll rückholbar bis zu 120 Jahre in bombensicheren Bunkern unterzubringen:

    "Entweder in einem ehemaligen Kernkraftwerk oder wegen mir auch auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz und da kommen natürlich insbesondere die Bundesländer infrage, wo die meisten Kernkraftwerke noch stehen und der meiste Müll produziert wird und das ist der Süden."

    Bei der nächsten Konferenz der Umweltminister will Sander diesen Vorschlag mit seinen Länderkollegen diskutieren.

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