Maja Ellemreich: Eine Buchmesse ist eine Buchmesse ist eine Buchmesse - doch nur um Bücher geht es dort schon lange nicht mehr. In diesem Jahr, nächsten Mittwoch geht’s ja los in Frankfurt, wird die Buchmesse eine Liaison mit der Kunstbranche eingehen – unter der Überschrift: "The Arts+" – "Die Künste plus". Namhaftester Partner ist da sicher die Documenta 14, die Anfang April ja in Athen, Mitte Juli dann in Kassel beginnen wird – und die auf der Buchmesse mit den Vorbereitungen für ein Großprojekt beginnen wird. Und zwar für eine Installation der argentinischen Künstlerin Marta Minujín.
In Frankfurt werden Bücher gesammelt, die verboten waren und jetzt wieder verlegt werden oder die noch immer irgendwo auf dieser Welt verboten sind. Marta Minujín wird aus diesen Büchern auf dem Kasseler Friedrichsplatz dann einen so genannten "Parthenon der Bücher" bauen, also aus schätzungsweise 100.000 Büchern eine Replik des Tempels auf der Athener Akropolis nachbilden. So schon einmal geschehen 1983 im argentinischen Buenos Aires.
Adam Szymczyk ist der künstlerische Leiter der documenta 14, deren Medienpartner ja der Deutschlandfunk ist. Mit ihm habe ich über diese Installation gesprochen, die ein Zeichen gegen das Verbot von Texten und die Verfolgung ihrer Verfasser sein soll. Adam Szymczyk, ich habe gerade von "Vorbereitungen" gesprochen. Ist das überhaupt richtig? Oder ist der Aufruf zu den Bücherspenden nicht schon der Anfang der künstlerischen Arbeit?
"Sie macht historische und politische Umstände sichtbar"
Adam Szymczyk: Ja, Sie haben Recht. Der Prozess der Entstehung ist bereits Teil der Arbeit. Denn es geht uns nicht nur um ein Bauwerk, das aus verbotenen Büchern besteht. Es geht uns auch um die Resonanz aus der Öffentlichkeit. Der Spendenaufruf ist also der erste Schritt auf dem Weg zur fertigen künstlerischen Arbeit.
Ellmenreich: Wer ist also der eigentliche Urheber dieses Kunstwerkes? Marta Minujín? Oder diejenigen, die die Bücher bringen? Oder alle zusammen?
Szymczyk: In diesem Fall würde ich sagen, dass die Künstlerin historische und politische Umstände sichtbar macht. Diese Arbeit existiert schlussendlich, weil Bücher in unterschiedlichen Kontexten verboten waren oder es noch immer sind. Man könnte also sagen, dass Marta Minujín die Autorin der Arbeit ist. Und diejenigen, die die Bücher spenden oder zu ihrer Verbreitung beitragen, sie drucken oder binden, sie alle sind an der Entstehungsgeschichte beteiligt.
Ellmenreich: Als Marta Minujín den ersten "Parthenon der Bücher" schuf – 1983 in Buenos Aires – da bestand er natürlich hauptsächlich aus Büchern, die die argentinische Militärjunta verboten hatte. Was meinen Sie, Adam Szymczyk – woher werden die Bücher kommen, die Sie ab nächster Woche auf der Frankfurter Buchmesse sammeln? Aus welchen Ländern? Aus welchen Zeiten?
"Auf dem Friedrichsplatz in Kassel wurden 1933 Bücher verbrannt"
Szymczyk: Ich hoffe, aus allen Ländern und aus allen Zeiten. 1983 hatte der "Parthenon" in Argentinien einen starken lokalen Bezug: Er war eine direkte Reaktion auf die damals nicht lange zurückliegende Diktatur, in der nicht nur Bücher verboten, sondern auch Menschen getötet wurden. Dieses Mal, in Kassel, wird das Werk wieder an die örtlichen Bedingungen angepasst. Auf dem Friedrichsplatz in Kassel wurden 1933 Bücher verbrannt. Und das Fridericianum war früher eine Bibliothek, die während eines Bombenangriffs der Alliierten im Zweiten Weltkrieg brannte. Marta Minujín erschafft mit dem "Parthenon" ein Monument, das theoretisch jeden Menschen überall auf dieser Welt anspricht – natürlich besonders an Orten, wo Bücher verbrannt wurden.
Ellmenreich: Da es 1983 schon einmal einen "Parthenon der Bücher" in Buenos Aires gegeben hat, ist die Idee also nicht wirklich neu - wir haben es nicht mit einem neuen Kunstwerk zu tun, oder?
Szymczyk: Es ist die Arbeit einer zeitgenössischen Künstlerin. Und es ist die erneute Realisierung ihrer Arbeit – aber unter anderen Umständen und in einer anderen Form: Dieses Mal planen wir eine Replik des Parthenons in Originalgröße. Und natürlich gilt es auch zu bedenken, dass die Documenta 14 sowohl in Athen als auch in Kassel stattfindet.
Ellmenreich: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann verbindet diese Arbeit also gleich mehrere Elemente, die die Documenta 14 ausmachen werden? Kassel und Athen, Demokratie und Diktatur…
Szymczyk: Ja, und dazu kommt noch die Funktion der Architektur. Der Friedrichsplatz in Kassel hat ja im Laufe der Zeit einen enormen Funktionswandel durchlebt: Ursprünglich ist er für die Residenzstadt des Landgrafen entstanden. Dann haben die Nationalsozialisten später darauf ihre Paraden abgehalten. Und nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Friedrichsplatz durch eine stark befahrene Straße geteilt - als Zeichen Maßnahme die Monumentalität. Es gibt viel Interessantes auf diesem Platz: Zum Beispiel ein Denkmal von Friedrich II., direkt gegenüber dem Fridericianum.
Ellmenreich: Was passiert mit der Installation nach Documenta-Tagen in Kassel? Der Friedrichsplatz wird ja sicher wieder zu seinem ursprünglichen Aussehen zurückkehren sollen und seine Funktion als Kasseler Akropolis wieder verlieren…
Szymczyk: [Lacht] Ich finde es interessant, dass Sie es Akropolis nennen. Ich weiß nicht, was passieren wird. Das ist eher eine Frage für den nächsten Bürgermeister.
Ellmenreich: Sie möchten, dass der Parthenon auf dem Friedrichsplatz stehen bleibt?
Denkanstoß für zukünftige Funktion und Bedeutung des Friedrichsplatzes
Szymczyk: Arnold Bode, der Documenta-Begründer, wollte den Friedrichsplatz einst in ein Forum verwandeln. Er wünschte sich einen Ort der Begegnungen mit kulturellen Funktionen: so etwas wie ein Forum für Kassel. Ich denke, dass der Parthenon ein Denkanstoß sein könnte für die zukünftige Funktion oder Bedeutung des Friedrichsplatzes im Stadtleben in Kassel.
Ellmenreich: In Argentinien, in Buenos Aires, wurde der Parthenon gekippt, und die Bücher fielen auseinander, sodass jeder ein Buch mit nach Hause nehmen konnte.
Szymczyk: Das Umkippen des Parthenons war damals Teil des Werkes. Es war die Idee von Marta Minujín, die das auch für andere Monumente vorgeschlagen hat, zum Beispiel die Freiheitsstatue, die sie gekippt haben wollte. Das Kippen ist im Grunde genommen eine Negierung der Senkrechten eines Monuments oder eines Bauwerkes als Zeichen für Autorität und Macht. Es geht darum, die absolute Autorität bestimmter Gebäude und Monumente infrage zu stellen. Auch den Machtbegriff, den wir häufig einfach übernehmen, aber nicht hinterfragen. Die Bücher im "Parthenon der Bücher" in Argentinien wurden den Menschen zurückgegeben, jeder durfte sie mitnehmen.
Ellmenreich: Also werden die Bücher in Kassel auch wieder den Menschen zurückgegeben ...?
Szymczyk: Ja, auch sie werden zurückgegeben. Aber zur Zeit diskutieren wir noch darüber, wie. Wir haben viele Ideen, und vielleicht können wir schon nächste Woche in Frankfurt Genaueres sagen.
Ellmenreich: 1983 sagte Marta Minujín, dass sie den Parthenon gebaut habe, um die Demokratie zu feiern. Wenn wir nun auf Kassel im Jahr 2016 blicken - was meinen Sie, ist es immer noch ein gleichzeitiges Feiern und Warnen? Ist es eine Hommage an Athen und die Geschichte der Demokratie?
Szymczyk: Naja, ich finde nicht, dass es eine Hommage ist. Es ist der Versuch, uns die institutionelle Form vor Augen zu führen, die zum Zeichen der Demokratie geworden ist. Und vielleicht ist es eine Gelegenheit, den Begriff Demokratie zu diskutieren und über die Lage der Demokratie zu reflektieren.
Ellmenreich: Adam Szymczyk, der künstlerische Leiter der Documenta 14, über den "Parthenon der Bücher" – eine Installation der argentinischen Künstlerin Marta Minujín. Bücherspenden sind möglich auf der Buchmesse in Frankfurt nächste Woche. Näheres finden Sie auch auf der Website www.documenta14.de.
Wie das documenta-Team uns per Mail wissen lässt, sind die Bücherspenden auch noch nach der Buchmesse in Kassel und Athen möglich.