Archiv

documenta 14-Kritikergespräch
So funktioniert die Zwillings-documenta

Die Kritiker Ingo Arend und Carsten Probst sind sich einig: Der documenta 14 in Kassel fehlt eine zugespitzte These, insbesondere eine ästhetische. Vom gesellschaftspolitischen Wert des Raubkunstprojekts in der Neuen Galerie und der aktuellen Athener Sammlung im Fridericianum sind die beiden dennoch überzeugt.

Ingo Arend und Carsten Probst im Gespäch mit Änne Seidel |
    Ein Werbeplakat zur documenta in Athen und Kassel hängt am 09.05.2017 am Eingang des Fridericianum in Kassel (Hessen). (zu dpa «Blutige Mühlen und verbotene Bücher: Kassel rüstet sich für documenta» vom 12.05.2017) Foto: Swen Pförtner/dpa | Verwendung weltweit
    Hat sich die Werbung gelohnt? Ein Plakat zur Zwillings-documenta in Athen und Kassel hängt am 09.05.2017 am Eingang des Fridericianum in Kassel. (dpa/ Swen Pförtner)
    Für Carsten Probst ist der Raubkunstschwerpunkt in der Neuen Galerie kein bloßer Ersatz dafür, dass es der documenta nicht gelungen ist, den Nachlass des NS-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt zu zeigen. Das war ursprünglich geplant. Die Künstlerin Maria Eichhorn etwa habe das Thema "sehr schön aufgearbeitet". Es sei klar, dass die documenta das Thema Raubkunst nicht erschöpfend bearbeiten könne. Für Ingo Arend zählt bei der Auseinandersetzung mit Raubkunst, dass sie "eine Funktion in die Öffentlichkeit hinein" entwickle. Das sei wichtig, weil das Thema sonst oft im Bereich der Wissenschaft verschwinde.
    Wichtig, dass die Athener Sammlung in Kassel ist
    Die Sammlung des Athener Museums für Zeitgenössische Kunst, die im Fridericianum zu sehen ist, überzeugt Carsten Probst. Man müsse sich vielleicht nicht in jedes einzelne Werk hineinfühlen, sondern es zähle, dass "die Sammlung überhaupt hier" in Kassel besucht werden könne. Die Schau verstehe sich "als Kommentar zur Situation im heutigen Griechenland, aber auch in einem Kontext zum Weltgeschehen".
    Kulturkritiker Ingo Arend und Carsten Probst mit Moderatorin Änne Seidel, "Kultur heute" Deutschlandfunk auf der documenta 14 in Kassel am 8. Juni 2017
    Die Kritiker Ingo Arend und Carsten Probst mit Moderatorin Änne Seidel. "Kultur heute" sendete am 08.06.2017 live von der documenta 14 in Kassel. (Deutschlandradio/ Karsten Socher)
    Was das Konzept der zwei Orte Athen und Kassel für die documenta 14 angeht, so meint Ingo Arend, dass die Kasseler Schau die Fehler von Athen wiederhole. Das betreffe vor allem ein fehlendes Motto, so Arend. Zu sehen sei eine Palette an "kapitalismuskritischen Nadelstichen". Das kulminiere aber nicht in eine These.
    Probst: "Ich vermisse eine ästhetische Vision"
    Carsten Probst sieht eine inhaltliche Grundthese der documenta: Sie wolle wieder ein Ort des Lernens und der Erziehung sein. Das sei sie schon 1955 gewesen. Doch sie "überfordert sich mit diesem Anspruch", so Probst. Die Welt von 1955 sei nicht mehr die von heute, die Situation sei ein völlig andere. "Ich glaube, die documenta vernachlässigt diese eigene Mission ein bisschen auf der ästhetischen Seite." Probst: "Die ästhetische Vison, die ein bisschen weiter in die Zukunft denken lassen könnte, die vermisse ich hier ein bisschen vor lauter museumspädagogischen, wertvollen Ansätzen."