Änne Seidel: Athen, die Hauptstadt Griechenlands, ist in vielerlei Hinsicht ein Symbol. Die Wiege der Demokratie, der Ort, an dem die westliche Kunst ihre Wurzeln hat und heute auch ein Symbol für die Krise – die Finanzkrise, die Flüchtlingskrise, die Krise der Europäischen Union.
Ein reicher symbolischer Fundus also, an dem sich die Künstler der diesjährigen documenta nach Lust und Laune bedienen können. Was genau in Athen zu sehen sein wird, das ist allerdings nach wie vor ein gut gehütetes Geheimnis, das erst zur Eröffnung am 8. April gelüftet wird. Und da wollte auch die Direktorin des Athener Museums für zeitgenössische Kunst, Katerina Koskina, partout nichts verraten – ihr Museum, das EMST, ist der wichtigste Kooperationspartner der documenta in Athen. Ich habe sie diese Woche in Kassel getroffen und mit ihr über die Bedeutung der documenta für ihre Stadt gesprochen.
Meine erste Frage an Katerina Koskina: Was waren die größten Herausforderungen bei der Vorbereitung der documenta?
Katerina Koskina: Hier ist eigentlich alles eine Herausforderung, jeden Tag gibt's Probleme, für die ich Lösungen finden muss. Glauben Sie mir, die documenta war da nicht die größte Herausforderung. Natürlich gab’s da auch ein paar Schwierigkeiten: Wird das EMST überhaupt rechtzeitig fertig, um die documenta zu empfangen? Bislang können wir ja noch nicht mal unsere eigene Dauerausstellung zeigen. Unsere Räume für die Sonderausstellungen haben wir erst im vergangenen November eröffnet. Es beginnt gerade also wirklich eine neue Ära für unser Museum. Unter diesen Bedingungen war es natürlich nicht einfach, mit der documenta eine wirkliche Partnerschaft aufzubauen. Umso mehr freuen wir uns, dass es geklappt hat.
"Werke griechischer Künstler zeigen, die im Ausland völlig unbekannt sind"
Änne Seidel: Haben Sie denn Hoffnung, dass die documenta an dieser schwierigen Situation, in der sich Ihr Museum zurzeit befindet, dass die documenta daran etwas ändern wird?
Katerina Koskina: Das kann ich nicht sagen, aber was ich sagen kann, ist, dass die documenta bereits jetzt eine Menge verändert hat. Die documenta ist eine sehr renommierte Institution. Und allein die Tatsache, dass wir mit dem documenta-Team zusammenarbeiten, ist sehr wichtig für uns. Wir werden Werke aus unserer Sammlung im Kasseler Fridericianum zeigen. Werke griechischer Künstler, von denen die meisten im Ausland leider völlig unbekannt sind. Und sie verdienen, dass sich das ändert, denn es sind großartige Künstler.
Änne Seidel: Viele Griechen, viele Athener kämpfen zurzeit mit existenziellen Problemen: Wie soll ich meine Miete bezahlen? Wie den nächsten Arztbesuch? Ist da in den Köpfen der Menschen überhaupt noch Platz für die Kunst?
Katerina Koskina: Ja, ich denke, die Kunst, die Kultur, ist ihnen wichtiger als je zuvor. In Athen zum Beispiel waren die Kinos, die Theater, die Ausstellungen noch nie so gut besucht wie jetzt. Die Menschen müssen atmen, gerade wenn die Umstände so einengend sind. Die Kultur, die Kunst – das ist der einzige Ort, an dem die Menschen wirklich frei sein können. Und selbst wenn kein Geld da ist, finden die Menschen trotzdem immer einen Weg, um Kunst zu erschaffen und präsent zu sein.
Kritik auf "nach der Ausstellungseröffnung" verschieben
Änne Seidel: Nun gibt es in Athen aber durchaus auch kritische Stimmen zur documenta. So nach dem Motto: Was wollen uns die Deutschen jetzt auch noch erklären, was Kunst ist? Was entgegnen Sie diesen Kritikern?
Katerina Koskina: Wissen Sie, die Griechen mögen die Diskussion, die Dialektik. Und ja, vielleicht gibt es da manchmal Spannungen, wegen der schwierigen Situation, in der sich Griechenland innerhalb der Europäischen Union zurzeit befindet und der wichtigen Rolle, die Deutschland in all dem spielt. Aber ich denke, wir sollten die Ausstellungen in Athen und Kassel erst mal abwarten und erst dann mit der kritischen Bewertung beginnen.
Änne Seidel: Adam Sczymczyk, der künstlerische Leiter der documenta, betont gerne, dass die documenta nicht wie ein "UFO" in Athen landen soll, sondern die Vorbereitungen zur Ausstellung ein gemeinsamer Prozess sein sollten. Haben Sie den Eindruck, dass das gelingt?
"Zeitgenössische Kunstszene in Griechenland ist noch sehr jung"
Katerina Koskina: Ich sehe das genauso wie Adam Sczymczyk, aber wissen Sie: Manchmal sprechen wir eben zwei verschiedene Sprachen. Die zeitgenössische Kunstszene in Griechenland ist noch sehr jung. Die Szene hat erst in den letzten 15, maximal 20 Jahren eigene Strukturen aufgebaut, mit Ausstellungen, Messen, öffentlichen Museen und privaten Galerien. In Griechenland ging es lange nur um die Vergangenheit: das antike Griechenland, Archäologie, Ausgrabungen. Und so treffen manchmal zwei verschiedene Geschwindigkeiten aufeinander: Menschen, die viel gereist sind, die schon seit langem in der internationalen Kunstszene arbeiten, treffen auf Menschen, die weniger Erfahrung haben. Aber ich denke, es ist eine historische Entscheidung, die documenta in Athen stattfinden zu lassen. Es ist eine große Herausforderung, die viele Diskussionen auslösen wird, und die uns vielleicht dazu bringen wird, Dinge anders zu begreifen.
"Das internationale Publikum wird dazulernen"
Änne Seidel: Und wenn Sie sich hier in Kassel umschauen: Was meinen Sie – wird auch Kassel von der Kooperation mit Athen profitieren?
Katerina Koskina: Ja, ich denke Kassel, und auch das internationale Publikum wird dazulernen: Die Besucher werden griechische Kunst aus den letzten 50, 60 Jahren zu sehen bekommen. Die Leute wissen viel über Griechenland: über das Klima, die Geschichte, die instabile Lage heute. Aber kaum jemand kennt die künstlerischen Realitäten in unserem Land. Das wird sich mit der documenta ändern. Und ich denke, das Publikum wird staunen!