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documenta in Kabul

Mit einer Reihe von Zweigstellen außerhalb Deutschlands will die Kasseler Kunstausstellung documenta neue Perspektiven aufzeigen. Eine dieser Dependancen wurde diese Woche in Kabul eröffnet. Neben Werken renommierter Künstler gab es auch die junge Szene vor Ort zu entdecken.

Martin Gerner im Gespräch mit Christoph Schmitz |
    Christoph Schmitz: Die aktuelle documenta Nr. 13 unter der künstlerischen Leitung von Carolyn Christov-Bakargiev - den neuen Blick will sie einüben, noch intensiver, als es die Kunst von sich aus ja schon immer tut. Weg will Bakargiev vom anthropozentrischen Blick und andere Perspektiven einnehmen. Grüner ist diese 13. Ausgabe, weiblicher, wie es heißt, und sie steht unter dem Motto Zusammenbruch und Wiederaufbau - ein weites Feld in der Kunst wie in Geschichte und Gegenwart. So schweift diese documenta auch aus. Dependancen gibt es unter anderem in Ägypten, in Kairo und Alexandria, und auch eine in Afghanistan, in Kabul, wo Zusammenbruch und Wiederaufbau miteinander seit Jahren ringen. Gestern wurde die Kabul-Dependance der documenta eröffnet, Martin Gerner war dabei. Welche waren Ihre markantesten Eindrücke, habe ich ihn gefragt.

    Martin Gerner: Na ja, der Eindruck gestern Abend zur offiziellen Eröffnung - erst ab heute hat ja die Kabuler Bevölkerung Zugang - war der einer dieser typischen Großveranstaltungen in Kabul, wo sich etwa 500 überwiegend der internationalen Gemeinschaft der Geberländer zusammentreffen mit der Hautevolee der afghanischen Kulturszene, dazwischen immer wieder Sicherheitskräfte, Bundeswehrsoldaten, bewaffnet, man darf Kunstwerke an einer Wand fotografieren und wird im nächsten Moment heftig gebeten, doch nicht die Sicherheitskräfte in die Linse zu nehmen.

    Schmitz: Welche documenta-Kunst haben Sie denn gesehen, was wird gezeigt?

    Gerner: Es wird im Grunde eine Ergänzung dessen gezeigt, was 27 exilafghanische und internationale Künstler, die über verschiedene Wochen in Afghanistan waren, in Kassel zum Teil gezeigt haben, und die Werke ergänzen sich hier zum Teil. Das ist etwa der große und durchaus eindrucksvolle Wandteppich der Polin Goshka Macuga. Auf der anderen Seite gibt es Werke, die ursprünglicher, würde ich sagen, noch mit der Wirklichkeit, mit der Kriegswirklichkeit in Kabul zusammenhängen, von ganz jungen Afghanen, die hier in einem durchaus merkwürdigen Auswahlverfahren ohne persönliche Treffen ausgewählt worden sind, die alle Seminare, die die documenta seit Februar hier abgehalten hat, mitgemacht haben, die natürlich hier eine wunderbare Plattform finden - und das kann man natürlich auch infrage stellen und damit auch den einen oder anderen Ansatz dieses Kabuler documenta-Projektes -, die natürlich als blutige Anfänger auf diese internationale Bühne projiziert werden, wo man sich fragt, ist das wirklich ein Fortschritt für diese jungen Künstler oder muss man sie eher bemitleiden, weil natürlich Verhältnismäßigkeiten in einem Koordinatensystem, das es hier in Kabul international nicht gibt, erst gefunden werden müssen für diese jungen Leute.

    Schmitz: Das heißt, es gibt eigentlich gar keine relevante Kunstszene in Kabul, auf die die documenta reagiert hätte beziehungsweise die auf die documenta reagiert?

    Gerner: Ja gewisse Abgehobenheiten, um das mal so zu sagen, hat man in Kassel schon gespürt. Da gab es eine dreistündige Diskussion schon vorwegnehmend auf den Fokus Kabul. Hier hat sich das ein bisschen bestätigt und ich hatte den Eindruck - ich kenne ja nun über die Jahre einige aus der Kabuler Künstlerszene -, dass sowohl die Exilafghanen, die zum Teil ja durchaus Anklänge in Nostalgie in ihren Kunstwerken haben - und das ist ganz wertfrei gesagt, denn natürlich finden sie hier gewisse Identitäten, die sie im Westen nicht finden -, aber vor allen Dingen die internationalen Künstler doch in ihren Egoismen und individuellen Ansätzen stehen geblieben sind. Ich sage das deshalb, weil ich glaube, dass mehr hätte sein können mit diesem Kabuler documenta-Ansatz, etwa, dass man Künstlerpaare hätte, bilden können und sehen können auch psychologisch, was kommt heraus.

    Von den sieben Seminaren, die es hier gab, gab es viele Friktionen, häufiger hat man hinter den Kulissen gehört, es wäre mehr dotiert gewesen, als wünschenswert wäre. Der Anspruch war, sich auf gleiche Augenhöhe zu begeben, und das hat insbesondere wohl ein Seminar geleistet, das vom Berliner Institut für inkongruente Übersetzung - so heißt das -, und da gab es heute nach der offiziellen Eröffnung gestern eine durchaus sehenswerte Schau, die eigentlich auch qualitativ und emotional mich deutlich mehr angesprochen hat als die doch sehr kühlen Räume des Babor Gardens und des königlichen Palastes.

    Schmitz: Martin Gerner, weit weg in Afghanistan, berichtete über die documenta-Dependance in Kabul.