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Fast unbekannte Sternwarte
Die documenta und die Himmels-Kunst in Kassel

Noch bis Mitte September macht die documenta Kassel zur Welthauptstadt der zeitgenössischen Kunst. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zählte Kassel zu den Weltzentren der Astronomie.

Von Dirk Lorenzen | 20.07.2022
Exponate der einst wichtigsten Sternwarte Europas: das astronomisch-physikalische Kabinett in der Orangerie in Kassel
Exponate der einst wichtigsten Sternwarte Europas: das astronomisch-physikalische Kabinett in der Orangerie in Kassel (Arno Hennsmanns, MHK)
Wilhelm IV., Landgraf von Hessen-Kassel, errichtete 1560 das erste größere Observatorium Europas. Von balkonartigen Anbauten am Schloss ließ sich der Lauf der Gestirne am Himmel bestens verfolgen. Landgraf Wilhelm war ein exzellenter Astronom. Er erkannte, dass bessere Beobachtungsdaten nötig waren, um den Kosmos zu verstehen. Das Universum war damals mindestens so rätselhaft wie heute manches Kunstobjekt.
Wilhelm unterstützte die Lehre des Kopernikus, nach der die Sonne in der Mitte der Welt stand und die Erde nur ein Planet von vielen war. Für den Landgrafen arbeiteten unter anderem Jost Bürgi und Christoph Rothmann, die zu den besten Astronomen jener Zeit gehörten.
Zehn Tage lang besuchte der adlige Däne Tycho Brahe die Sternwarte in Kassel und ließ sich über moderne Beobachtungsverfahren unterrichten. Landgraf Wilhelm wies den dänischen König Frederik II. auf die große Begabung Brahes hin. Daraufhin bekam dieser die Möglichkeit, selbst eine große Sternwarte zu errichten.
Leider hatten Wilhelms Nachkommen kein Interesse an der Astronomie. So blühte dieses Zentrum der Himmelsforschung nur für gut vier Jahrzehnte. Das Museum in der Orangerie des Kasseler Schlosses in der Karlsaue präsentiert kunstvoll die große Zeit der Astronomie in Nordhessen – und das nicht nur zur documenta.