"Ich bin der Teufel. Und ich fick Deine ganze Familie." "Kino Kanak" ist, wenn sich Deutsch-Türken prügeln, wenn sie putzen, pöbeln, prollen… Klischee-Türke im Film: "Es gibt da ein paar Roots, die solltest du kennen, weißt du? Das ist so meine Hood, meine Area, meine Straße…" Der deutsche Film und Migranten - eine schwierige Beziehung. Es ist kompliziert. Sema Poyraz: "Ich finde, wir werden immer ganz furchtbar dargestellt…"
"Wenn du es nicht spielst, dann macht es ein Anderer"
Hassan Akkouch: "Du brauchst gar nicht spielen, sei einfach wie du bist, und die Rolle ist: ein Drogendealer."
Schauspieler wie Sema Poyraz, Hassan Akkouch oder Tyron Ricketts berichten in der 3sat-Dokumentation "Kino Kanak" von ihren Erfahrungen und darüber, wie sie vor der Kamera oft ein stereotypes Rollenbild verkörpern müssen und hinter der Kamera manchmal diskriminiert werden. Tyron Ricketts: "Also ich kenne das schon auch, dass man mal mit einem Regisseur zu tun hat, der eine rassistische Sichtweise hat und der auch nachdem man ihn darauf hinweist, nicht davon abweichen möchte. Um einen zu zitieren: 'Das kann schon sein, dass das jetzt rassistisch ist, wenn man es böse betrachtet. Aber wenn du es nicht spielst, dann macht es ein anderer.'"
Filme formen unser Weltbild und damit unsere Realität
So also der Normalzustand in Deutschland, da sind sich eigentlich alle Betroffenen, die in der Doku gezeigt werden, einig. "Warum der deutsche Film Migranten braucht?" - wer hierzu ein paar Denkanstöße sucht, dem sei die Lektüre konstruktivistischer Medientheoretiker empfohlen und mit diesen vereinfacht gesagt: Filme formen unser Weltbild und damit unsere Realität, das heißt, wenn wir im Kino nur prügelnde, pöbelnde, putzende Deutschtürken sehen, dann sehen wir sie plötzlich auch überall auf der Straße - und blenden alle nicht-prügelnden, nicht-pöbelnden, nicht-putzenden Deutschtürken oder Migranten aus. Klar ist: Einer Gesellschaft, einem menschlichen Miteinander kann das nicht gut tun. Oder wie es die Schauspielerin Sheri Hagen formuliert: "Es geht darum, dass wir zu gerne nach Stereotypen greifen, gewisse Abziehbilder präsentieren, die aber nicht menschlich sind, das heißt, die nicht mal die Fingerkuppe von einem Menschen zeigen und ausmachen." Ja, auch Einwanderer sind Ärzte, Geschäftsfrauen, Väter, Mütter, Fußballfans und vielleicht sogar echte Cineasten.
Ursachenforschung eher oberfläch und auch etwas fragwürdig
Nur werden sie ihre Geschichten in deutschen Kinoproduktionen kaum wiederfinden. Die Ursachenforschung warum das so ist, fällt in der Doku eher oberflächlich und teils auch etwas fragwürdig aus, wenn zu plakativ Raubtierkapitalismus oder ehemalige Kolonien als Gründe genannt werden. Sema Poyraz: "Wieso ist es in Frankreich, in England anders? Die haben Kolonien gehabt - so schlimm das auch ist mit den Kolonien -, das heißt aber, sie haben mit fremden Menschen mehr zu tun gehabt als Deutsche."
Eine bessere Antwort liefert die Doku von Memo Jeftic und David Assmann mit einer kleinen Reise durch die deutsche Filmgeschichte und dem impliziten Argument der Kinotradition: von den sehr konservativen Heimatfilmen in den 50er Jahren über das lange vorherrschende und prägende Thema der sogenannten "Gastarbeiter" in den 60er-, 70er- und 80er-Jahren…
Ausschnitt Sprecher: "Die Geschichte dieser Arbeiter folgt für viel Kino-Jahre dem gleichen Muster: Ankunft in Deutschland, Arbeiten im Werk, Kommunikationsprobleme, Stress…"
Mehr Diversität auf den Entscheiderpostionen
Selbst die sozial- und deutschlandkritische Neue Welle im Deutschen Film (Fassbinder, Kluge, Sanders-Brahms) arbeitete ja mit schablonenhaften Figuren, wie nachvollziehbar gezeigt wird. Auf die wichtigste Frage schließlich "Was muss sich ändern?" hat die Doku dann eine klare und plausible Antwort: Mehr Diversität auf den Entscheiderpostionen. "Die wichtigsten Entscheiderposition für Filme und Serien liegen bei den deutschen Filmförderanstalten und öffentlich-rechtlichen Sendern. Ihr Urteil bestimmt, was gedreht wird und was nicht. Zusammengezählt sind das schätzungsweise 350 Redakteurinnen, Vorstandsmitglieder und Fördermitglieder, von diesen 350 Menschen haben gerade einmal 10 einen Migrationshintergrund, das sind nicht einmal drei Prozent."
Die Doku übt also öffentliche-rechtliche Selbstkritik, immerhin im Programm bei 3sat, wenn auch in der Nische und mit 40 Minuten viel zu kurz. Gerne hätte man noch mehr erfahren über junge Filmemacher wie Faraz Shariat, die neue Narrative suchen, über das Veränderungspotenzial der privaten Streaming-Dienste, für die Vielfalt ein Verkaufsargument ist oder - ganz besonders - die angesprochenen "homogen weißen" Entscheidungsträger. Sie kommen nämlich gar nicht zu Wort beziehungsweise können, müssen sich den Vorwürfen nicht stellen. Und das wäre doch dann eine wunderbare Fortsetzung, nach "Kino Kanak" vielleicht: "Kino Konfrontation".