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Doku "Leaving Neverland"
Vorwürfe gegen verstorbenen Popstar Michael Jackson

Die beiden Betroffenen, die dem verstorbenen Pop-Star Michael Jackson in dem US-Dokumentarfilm "Leaving Neverland" Missbrauch vorwerfen, hätten sehr glaubwürdig gewirkt, sagte die Journalistin Kerstin Zilm im Dlf. Die Dokumentation sorgt in den USA für Kontroversen.

Kerstin Zilm im Gespräch mit Adalbert Siniawski |
Michael Jackson 1993 auf einem Konzert.
Regisseur Dan Reed porträtiert in "Leaving Neverland" zwei Männer, die als Kinder vor Gericht die Vorwürfe an Popstar Michael Jackson (im Bild) dementierten, sie aber heute erneuern (dpa / picture-alliance)
Adalbert Siniawski: "Leaving Neverland", so heißt eine zweiteilige Michael-Jackson-Dokumentation von Regisseur Dan Reed im US-Sender HBO, die auf dem Sundance Festival gezeigt wurde und gestern im US-Fernsehen lief, begleitet von heftigen Kontroversen. Im Mittelpunkt stehen zwei Männer, die als Kinder und Jugendliche viel Zeit mit Michael Jackson auf seiner Neverland Ranch verbracht haben. Sie klagen Jackson an, dass er sie jahrelang sexuell missbraucht hat. Vor Gericht hatten sie 2005 noch das Gegenteil behauptet. Der King of Pop wurde in allen Anklagepunkten freigesprochen.
Den Prozess damals begleitet und den ersten Teil der Doku gesehen hat Kerstin Zilm, die wir vor der Sendung erreicht haben. Hallo nach Los Angeles.
"Jede Nacht gab es Missbrauch"
Kerstin Zilm: Hallo.
Siniawski: Welche Neuigkeiten bringt Dan Reed in seiner Doku "Leaving Neverland"?
Zilm: Also, es werden einfach viel mehr Details dieser Anklagen, die Wade Robson und James Safechuck auch schon in Klagen geäußert haben, jetzt öffentlich bekannt. In teilweise auch wirklich sehr schwer erträglichem Detail wird beschrieben, was sie sagen, wie Michael Jackson sie missbraucht hat in der Neverland Ranch. Das ging los mit Masturbieren bis zu Zungenküssen, oralem Sex, analem Sex, und die beiden waren ... also Safechuck, als das losging, war zehn Jahre alt und Robson war sieben Jahre alt. Und Wade Robson beschreibt dann in dieser Dokumentation eben auch, was passiert ist.
Wade Robson sagte, dass jede Nacht, die er bei Michael Jackson war, gab es Missbrauch, während seine Mutter oft im Zimmer nebenan war. Und er sagte, dass Michael Jackson ihm immer sagte, wie sehr er ihn liebt und dass das, was sie da tun, Ausdruck ihrer Liebe sei und dass die anderen, die das nicht verstehen, ignorant sind und dumm.
Siniawski: Ich hatte es ja schon gesagt, beide Männer hatten Jackson vor Gericht noch verteidigt und unter Eid vom Pädophilie-Verdacht reingewaschen. Wie glaubwürdig sind die beiden denn?
Zilm: Ich muss sagen, sie haben auf mich sehr glaubwürdig gewirkt. Ich fand, man hat beiden den Schmerz angesehen, der da aufkam, als sie sich erinnert haben, dass sie immer noch gespalten waren zwischen Loyalität und Ärger über das, was Michael Jackson mit ihnen gemacht hat. Und ich habe den Prozess ja in 2005 als Korrespondentin sehr genau verfolgt. Und diese Männer haben damals ausgesagt, dass Michael Jackson sie nicht missbraucht habe - und jetzt sagen sie, ja das war eben diese Manipulation. Er hat ihnen so eingetrichtert, dass sie niemandem davon erzählen dürfen, "sonst landen wir alle im Gefängnis", hat Michael Jackson gesagt, sonst sei sein Leben zerstört und eben auch das Leben der Jungs. Und das hätten sie so verinnerlicht. Jetzt aber, da sie selber Kinder haben, möchten sie, dass die Wahrheit ans Licht komme. Und auf mich haben sie zumindest sehr glaubwürdig gewirkt.
Siniawski: Problematisch ist allerdings doch, dass die Doku nur die Seite der Männer und ihrer Familien zeigt. Die Familie des 2009 verstorbenen Musikers kommt nicht zu Wort. Stimmt das?
Zilm: Genau, es kommt Michael Jackson in Rückblenden zu Wort, aber sonst sind es wirklich nur die zwei Männer und ihre Familien. Der Regisseur Dan Reed hat dazu gesagt: "Es ist ein Film über Robson und Safechuck, über sexuellen Missbrauch Minderjähriger, über wie auch die Familien da reingezogen werden und über Verschleierung."
Jackson-Familie: "Dieser Dokumentarfilm erzählt nicht die Wahrheit"
Siniawski: Und jetzt wird heftig über den Inhalt gestritten.
Zilm: Genau, und die Kritiker sagen, ja, also die Männer haben eben ihre Position geändert, sind nicht glaubwürdig, denn Reed hätte eben die andere Seite zu Wort kommen lassen müssen oder zumindest andere Jungs, die weiterhin sagen, sie waren viel mit Michael Jackson zusammen, wurden aber nie belästigt. Michael Jackson kann nicht mehr für sich selber sprechen. Und da sagte zum Beispiel von der Jackson-Familie der Bruder Marlon: Regisseur Dan Reed hat einfach alles geglaubt, ohne nachzufragen, hat vertraut, das sei okay. Aber man müsse diese Anschuldigungen eben besser überprüfen, ob es nicht Lügen sind. Und die Jackson-Familie sagt, dieser Dokumentarfilm erzählt nicht die Wahrheit.
"Man muss den Künstler von der Kunst trennen"
Siniawski: Die Frage ist, warum kommt diese Doku jetzt? Hängt das vielleicht auch mit dieser #MeToo-Debatte zusammen, dass die Beteiligten die höhere Sensibilisierung für Missbrauchsfälle für ihre Sache nutzen wollen?
Zilm: Der Ausgang für diese Dokumentation war vor der Bewegung, #MeToo ging dann ein bisschen später los. Aber es ist eindeutig so, dass diese Dokumentation jetzt in dieser Zeit ganz auf andere Reaktionen stößt. Man hört im Moment viel mehr diese Menschen an, die Prominenten sexuellen Missbrauch vorwerfen. Da wird nicht mehr soviel unter den Teppich gekehrt. Es gibt echte Konsequenzen wie man sieht bei Harvey Weinstein, dem Filmproduzenten, oder jetzt auch Musiker R. Kelly.
Siniawski: Fragt sich nun, was machen wir mit der Kunst, wenn man den Anschuldigungen der vermeintlichen Opfer Glauben schenkt. Der Sender BBC 2 hat Jackson-Songs aus dem Programm genommen. Ist das unter den Bedingungen legitim, Musik von Michael Jackson zu hören?
Zilm: Da streiten sich jetzt auch die Gemüter, und ich muss zumindest jetzt erst mal sagen. Nachdem ich das jetzt gerade gesehen habe, werde ich die Musik von Michael Jackson ganz anders hören. Viele sagen natürlich auch, man muss den Künstler von der Kunst trennen. Das wird eine lange Debatte sein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.