Miles Davis (gesprochen von Carl Lumbly): "Music has always been like a curse with me. That´s all I live for."
"Musik war schon immer wie ein Fluch für mich. Sie ist das Wichtigste in meinem Leben", schrieb Miles Davis in seiner Autobiographie. Der Schauspieler Carl Lumbly liest die Zitate daraus im Film, und dazu hört man dann die Erinnerungen von Verwandten, Ex-Ehefrauen, Musikhistorikern und musikalischen Weggefährten wie Wayne Shorter, Herbie Hancock oder Quincey Jones:
"Miles was considered a genius. But he was also considered – I guess – weird."
"Miles Davis galt als Genie, aber", meint Quincey Jones, "ich vermute, er galt auch als …", so, und jetzt kommt´s: Denn "weird", das Wort, das Quincey Jones benutzt, hat viele Bedeutungen. Von "eigenartig" über "seltsam" bis "bizarr", ja, auch das muss wohl noch dazu: "übernatürlich".
Soundtrack in nur einer Nacht eingespielt
"Transzendent" findet sich nicht als Übersetzung im Wörterbuch, aber wenn man nur als eines von unzähligen Beispielen aus dem Werk dieses Jazz-Musikers den 1958 in nur einer Nacht in Paris eingespielten Soundtrack zu Louis Malles Film "Fahrstuhl zum Schafott" nimmt, könnte man schon ein "transzendent" hinzufügen. Aber was bedeutet das "weird" für die anderen, das Umfeld? Auch darum geht es in "Miles Davis - Birth of the Cool", Stanley Nelsons Doku, und man könnte die Frage natürlich auch formulieren wie Frances Taylor:
"How can someone come out with such beautiful music, when he can have the other side."
"Wie kann einer solch wunderschöne Musik spielen, wenn er gleichzeitig diese andere Seite hat?" Die dunkle, die "weird side", von der Frances Taylor spricht, die erste Ehefrau von Miles Davis, die ihn verließ, weil er sie immer wieder verprügelte. "Er war nicht interessiert an Leuten, er war wütend, er war antisozial", meint jemand im Film. Auch das. Aber die Musik. Das zusammen kriegen in einem Bild, das ist das Ziel dieser Doku.
Stanley Nelson erzählt chronologisch vom Trompeter, Bandleader, dem musikalischen Innovator, dem schlagenden Ehemann, dem Drogensüchtigen, dem immer wieder auf die Beine Kommenden. Er erzählt von einem, der musikalisch immer wieder Grenzen überschritt.
Miles Davis (gesprochen von Carl Lumbly): "If anybody keep about creating … about change."
Die Doku hat eine konventionelle Form mit Musikeinspielungen, dazu kurze Interview-Statements, manchmal nur ein, zwei Sätze, so, wie inzwischen in vielen US-Dokus üblich. Das ist manchmal sehr nervig. Trotzdem wird "Miles Davis – Birth of the Cool" zu einer aufschlussreichen Dokumentation, weil spürbar ist, wie sich Filmemacher Nelson an dem Mythos Miles Davis abarbeitet. Und dabei die Geschichte eines afroamerikanischen Künstlers erzählt, die geschrieben ist auch vor dem Hintergrund des Rassismus´. Der Saxophonist Wayne Shorter, der in den 1960er-Jahren im Miles-Davis-Quintett spielte, erzählt im Film eine Geschichte aus Davis´ Schulzeit:
"Eine Lehrerin meinte, der Blues sei Ausdruck für die Leidensgeschichte der baumwollpflückenden Sklaven. Daraufhin stand Miles auf", erzählt Wayne Shorter, "fuhr sie an ´Sie sind eine Lügnerin!´ und verließ die Klasse."
Diese Anekdote steht für Miles Davis´ Versuch, jenseits des Rassismus´ Künstler zu sein. Und dann erzählt Stanley Nelson in seiner Doku noch diese andere, die Gegen-Geschichte von 1959, wo der Musiker auf dem Höhepunkt seiner Berühmtheit beim Luftschnappen vor dem Eingang des "Birdland", dem angesagtesten New Yorker Jazzclub, von einem Polizisten verprügelt wird, weil er schwarz ist. Egal, wie reich, wie berühmt ein Afroamerikaner ist, der Rassismus prägt sein Leben, auch das eines Miles Davis. Und eben dies machte ihn wiederum für die Afroamerikaner zur Personifizierung des "Cool". Und zum Mythos.
Abstürze in die Drogensucht
"Er wurde unser schwarzer Superheld", meint die Musikwissenschaftlerin Tammy L. Kernodle in "Birth of the Cool". Was allerdings als Frage bleibt: Was bedeutet dieses titelgebende "Cool"? Jenseits der Übersetzungsvarianten des englischen Begriffes à la "kühl", "locker" oder "kaltblütig". Jenseits der Abstürze in die Drogensucht – Heroin, Kokain, Alkohol, Schmerzmittel. Miles Davis in seiner Autobiographie:
Miles Davis (gesprochen von Carl Lumbly): "I was just cold to mostly everyone. That was the way I protected myself. Not letting anyone inside in my feelings and emotions. And for a long time it worked for me."
"Als Schutz, niemanden an mich herankommen zu lassen, funktionierte dies Kühle für ihn eine lange Zeit", schrieb Miles Davis.
In der Doku "Birth of the Cool" forscht Stanley Nelson die Spannbreite aus zwischen Selbstschutz, der präsentierten Arroganz – Miles Davis spielte fast immer mit dem Rücken zum Publikum – und diesem Großen dahinter. Und zur im Augenblick sehr aktuellen Frage, wie wir das Verhältnis zwischen dem Künstler, der Künstlerin, und der Kunst abwägen wollen, bietet diese filmische Miles-Davis-Biographie die Möglichkeit einer extrem komplexen Antwort.