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Doku "The Dissident" zum Fall Kashoggi
Journalistenmord als Machtdemonstration

Die Dokumentation "The Dissident" rollt die Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Kashoggi auf. Der Film zeigt, wie die Machthaber in Saudi-Arabien die Pressefreiheit unterdrücken – und auch versuchen, die öffentliche Meinung im Ausland zu beeinflussen.

Von Michael Meyer |
Jamal Kashoggi (r.) und Mohammed bin Salman, Bild einer Szene aus dem Film "The Dissident"
Der Journalist Jamal Kashoggi (r.), lang eine Art Berater für den saudischen Staat, hier mit Kronprinz Mohammed bin Salman (picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Uncredited)
"Ich wollte zunächst nicht glauben, was man mit Jamal gemacht hat. Ja, ich wusste, was ich tue, ist gefährlich. Aber ich ahnte nicht, dass es so viele das Leben kosten würde", sagt Omar Abdulaziz, ein 27-jähriger Video-Blogger, der mittlerweile im Exil in Kanada lebt. Er ist der "Kronzeuge" in der Dokumentation "The Dissident" und schildert die Gründe, wie es zum Mord an Jamal Kashoggi kam.
"The Dissident" von Bryan Fogel ist die wohl umfassendste Rekonstruktion und Analyse des Falls. Der zwei Stunden lange Film widmet sich in der ersten Hälfte akribisch dem Tathergang im Konsulat in Istanbul und lässt die türkischen Ermittler zu Wort kommen. Im zweiten Teil dringt der Regisseur tief in die inneren Machtstrukturen des saudischen Regimes ein. Fogel befragte Journalisten und Oppositionelle im Exil, Experten, die Verlobte Kashoggis Hatice Cengiz und auch den ehemaligen CIA-Direktor John Brennan. In Saudi-Arabien selbst konnte Fogel nicht drehen.

Kommunikation vor allem über Twitter

Der Journalist Kashoggi, der dreißig Jahre lang eine Art Berater für den saudischen Staat war, gab sich anfangs durchaus optimistisch, als der neue Kronprinz Mohammed bin Salman, kurz MBS, an die Macht kam. Der neue Machthaber in Riad entwarf eine "Vision 2030", mit mehr wirtschaftlichen und politischen Freiheiten. Die Meinungs- und Pressefreiheit gehörte allerdings nicht dazu, wie Kashoggi in Interviews auf Nachrichtenkanälen immer wieder kritisierte: "Mohammed bin Salman verspricht, den Extremismus in Saudi-Arabien zu bekämpfen. Was unerlässlich ist. Und er will die Korruption eindämmen, auch das tut dringend Not. Doch er fördert all diese positiven Entwicklungen, während er gleichzeitig die Meinungen anderer zum Schweigen bringt."
"Zwölf Wochen in Riad"
Die saudi-arabische Führung modernisiert ihr Land, dennoch wird das Königreich nach wie vor autoritär regiert. Ein Scheitern dieses Systems wäre jedoch fatal, findet die Journalistin Susanne Koelbl - und nimmt auch den Fall Kashoggi in den Blick.
Der Film zeigt, dass die Social-Media-Kanäle, allen voran Twitter, entscheidend sind zum Verständnis der Meinungslandschaft in Saudi-Arabien. Acht von zehn Nutzern sind bei Twitter aktiv, eine der höchsten Raten weltweit. Saudische Nutzer schätzen die Schnelligkeit und Einfachheit der Plattform. Jeder abfällige Tweet zum Thema Islam oder dem saudischen Königshaus ist allerdings tabu und wird drakonisch bestraft. Nach China, Iran, Russland und Nordkorea steht Saudi-Arabien auf Platz fünf jener Länder, die mittels tausender Zensoren und Trolle das Netz engmaschig kontrollieren. Chef des Zensurministeriums: Saud Al-Qhatani, die rechte Hand von MBS.

"Du bist ein Dissident"

Auch Kashoggi war auf Twitter aktiv, war dort regelrecht ein Star mit über 17 Millionen Followern. Doch immer wieder überschritt er rote Linien, als er die saudische Regierung kritisierte, erinnert sich der ehemalige Geschäftsführer von Al-Jazeera, Wadah Khanfar: "Jamal erhielt einen Anruf von Saud Al Qhatani. Ich habe Anweisungen von ganz oben, dass Du von jetzt an alles unterlassen solltest. Twittere nicht, schreib nicht, tu gar nichts." Und dennoch hörte Khashoggi nicht auf, zu schreiben und zu twittern.
Saudi-Arabien, so zeigt es der Film, beeinflusst die öffentliche Meinung sowohl im Land als auch außerhalb mit eigenen Twitter-Kampagnen. Die Trolle, die die Regierung beschäftigt, arbeiten unter dem Decknamen "Die Fliegen". Der Videoblogger Omar Abdelaziz gründete mit einer Reihe anderer Oppositioneller von Kanada aus eine virtuelle Gegen-Armee namens "Die Bienen". Auch Kashoggi stieß später dazu: "Aber ich sagte ihm: Du weißt schon, wenn Du anfängst, mit uns zu arbeiten, dann ist das eine ganz andere Nummer. Du bist nicht länger bloß Journalist – Du bist ein Dissident."

Hervorragend recherchierter Film

Als tragisch für Kashoggi und einige andere Regime-Kritiker sollte sich die digitale Kompetenz des Regimes in Riyad herausstellen. [*] Auch Khashoggi wurde ausspioniert. Und sogar das Handy von Amazon-Chef Jeff Bezos wurde gehackt. Die Machthaber in Riad erhofften sich von Bezos, dem die "Washington Post" gehört und für die Khashoggi arbeitete, eine wohlwollende Berichterstattung. So beschreibt es der in Oslo lebende Kritiker und Aktivist Iyad Al Baghdadi: "Aber als es hart auf hart kam, mischte sich Bezos nicht ein, als die ‚Washington Post‘ eine Kampagne startete: ‚Gerechtigkeit für Jamal‘. MBS betrachtete das als Verrat."
Saudi-Arabien bleibt wichtig
US-Präsident Biden will anders Politik machen als sein Vorgänger Trump, auch im Nahen und Mittleren Osten. Seine ersten Signale aber scheinen widersprüchlich: Er lässt pro-iranische Milizen bombardieren und verhängt Sanktionen gegen Saudi-Arabien.
Der hervorragend recherchierte Film zieht das Fazit, dass der Ruf des Königreiches Saudi-Arabien bis auf Weiteres erstmal ruiniert ist, was die USA unter Trump nicht davon abhielt, für Hunderte Millionen Dollar Waffen und Panzer an die Saudis zu verkaufen. Am Ende, so sagte es Regisseur Bryan Fogel in einem Interview, werden Presse- und Meinungsfreiheit geopfert zugunsten von politischen und wirtschaftlichen Interessen. Keine sehr erfreuliche, aber eine wohl realistische Erkenntnis zweieinhalb Jahre nach dem Mord an Jamal Khashoggi.

[*] Anmerkung der Redaktion: Die ursprüngliche Version des Textes haben wir an dieser Stelle wegen einer falschen Angabe zum Entwickler einer Spionagesoftware gekürzt.