Wenn dann am Ende, 1931, Fritz Langs erster Tonfilm vollbracht ist, dann zeigt sie uns Peter Lorre, die faszinierend abstoßende Getriebenheit des Serienmörders mit dem Buchstaben "M" hinten auf dem Mantel. Zeigt sie uns, lässt sie uns hören.
"Immer, immer muss ich durch Straßen gehen. Und immer spüre ich, da ist einer hinter mir her. Das bin ich selber, es verfolgt mich."
"M - Eine Stadt sucht einen Mörder" - da war es endlich geschafft. Aber was für eine künstlerische Qual-Geburt, die Gordian Maugg in seinem "Fritz Lang"-Spielfilm nachzeichnet.
Mit seinem "Nibelungen"-Epos und dem Science-Fiction-Film "Metropolis" ist Fritz Lang der gefeierte deutsche Filmregisseur. In diesem Jahr, 1929, läuft gerade "Frau im Mond" im Kino. Ein Publikumserfolg, aber noch ein Stummfilm, während schon die ersten Tonfilme in den Kinos angekommen sind. Alles also ist im Fluss, ökonomisch wie künstlerisch. Und der Künstler ist in der Krise.
"Alles M ist!"
Kurzum: Der Regisseur braucht Stoff, er sucht ein aufregendes Thema für seinen ersten Tonfilm.
"Aber sei´s drum. Jetzt fehlt nur noch das Drehbuch. Wann können Sie liefern?"
"Da werden Sie sich gedulden müssen."
Und dann stößt der Filmemacher Fritz Lang auf einen Zeitungsartikel über einen brutalen Düsseldorfer Serienmörder namens Peter Kürten.
"Wann fährt der nächste Express nach Düsseldorf?"
Elegant, fast wie beiläufig montierte Spielszenen
Weg aus Berlin, dem flirrenden Schmelztiegel der 1920er, nach Düsseldorf, um bei den polizeilichen Ermittlungen in Sachen Serienmörder Kürten dabei zu sein, um da heraus quasi einen Film zu schälen. Der wird am Ende "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" heißen. "Fritz Lang", Gordian Mauggs biographischer Spielfilm, ist eine furiose Mischung aus Fakten und Erfindungen, Legenden und wunderbaren Schwarz-Weiß-Bildern. Ein Blick in die Filmgeschichte und in die Abgründe eines Künstlers.
Elegant, fast wie beiläufig montiert Maugg seine Spielszenen mit dokumentarischen Aufnahmen aus den 1920er- und 30er-Jahren und fügt die wiederum zusammen mit Szenen aus Fritz-Lang-Filmen, vor allem aus "M - Eine Stadt sucht einen Mörder". Den fiktiven Fritz Lang spielt Heino Ferch großartig als einen Gehetzten, der in der Begegnung mit dem Düsseldorfer Serienmörder beziehungsweise dem von Thomas Thieme gespielten Kripomann an die eigenen Abgründe herantritt. Beziehungsweise besser herantreten muss.
"Ja, nun fragen Sie mich noch mal, Herr Lang, was der Mörder bei Morden empfindet."
Die eigenen Dämonen nämlich sitzen Fritz Lang auf den Schultern, wenn er mit dem Serienmörder Kürten zwecks Drehbuchrecherche redet. Die sind Fritz Langs Erlebnisse im Ersten Weltkrieg; da ist der ungeklärte Tod seiner ersten Ehefrau. Dabei ist dieser Mann, der Kokser, der sich nachts seine Triebabfuhr bei Prostituierten besorgt, keineswegs eine sympathische Figur. Später, in den 1930er Exil-Jahren in Hollywood, wird Henry Fonda einmal über Fritz Lang sagen: "Er war ein meisterhafter Puppenspieler, aber ohne jedes Gefühl, und er konnte sehr brutal sein." So erscheint Fritz Lang auch hier in Gordian Mauggs Film, wenn er beispielsweise die Freundin eines Mordopfers zum Essen in ein Gartenlokal einlädt. Brutal-Recherche.
"Was aß Maria mit ihrem Mörder?"
"Bitte nicht!"
"Sagen Sie es."
Der Regisseur als Vampir, dem es "nur" und "nur" um seine Kunst geht.
Ein Künstler kann ein eiskalter Machtmensch sein
Gordian Mauggs Annäherung an Fritz Lang ist kein Dokudrama, sondern ein kluges Vexierbild, das sich geschickt an der wunderbar montierten Grenze zwischen Fakten und Fiktion, zwischen Biographischem und Erfundenem bewegt. Und zweierlei Erkenntnisse breit hält. Ein Künstler kann ein eiskalter Machtmensch sein, und trotzdem kann uns seine Kunst faszinieren. Fritz Langs "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" ist der Beweis. Und zum Zweiten: Schon in den 1920er Jahren, nach all dem Erfolg, den er mit "Die Nibelungen" und mit "Metropolis" hatte, stellt der Regisseur Fritz Lang in Gordian Mauggs Film den eigenen Erfolg in Frage:
"Es war der falsche Weg. Menschenmassen und Maschinen. In jedem Film. Ich will das nicht mehr. Mir geht es nur noch um den Menschen. Um einen Menschen."
Das klingt nun allerdings, knapp ein Jahrhundert vor den Computereffekt-Orgien unserer Tage, sehr zeitgemäß.