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Dokument gegen das Vergessen

Volker Weidermann, Feuilletonchef der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", schildert erstmals die Lebensgeschichten aller Autoren, deren Werke 1933 in Flammen aufgingen "Das Buch der verbrannten Bücher" ist ein Dokument gegen das Vergessen über die Ereignisse vor 75 Jahren. Eine Rezension von Gode Japs.

    "Deutsche Studenten! Wir haben unser Handeln gegen den undeutschen Geist gerichtet. Übergebt alles Undeutsche dem Feuer."

    10. Mai 1933: In nahezu sämtlichen deutschen Universitätsstädten wird die "Aktion wider den undeutschen Geist" gestartet, wird "alles Undeutsche" auf öffentlichen Plätzen dem Feuer übergeben. Allein in Berlin landen etwa 20.000 Bücher auf dem Scheiterhaufen. Flammende Parolen werden als sogenannte Feuersprüche gerufen:

    "Gegen Dekadenz und moralischen Zerfall!
    Für Zucht und Sitte in Familie und Staat!
    Ich übergebe dem Feuer die Schriften von Heinrich Mann, Ernst Glaeser, Erich Kästner.

    Gegen Verfälschung unserer Geschichte und Herabwürdigung ihrer großen Gestalten.
    Für Ehrfurcht vor unserer Vergangenheit
    Ich übergebe dem Feuer die Schriften des Emil Ludwig Kohn, des Werner Hegemann."

    Insgesamt gibt es neun "Feuersprüche". 15 Autoren werden namentlich gebrandmarkt, unter ihnen Karl Marx und Karl Kautsky, Sigmund Freud und Theodor Wolff, Erich Maria Remarque und Alfred Kerr, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky.

    Doch auf der Schwarzen Liste für schöne Literatur stehen weit mehr Namen. 131 Autoren werden dort aufgeführt, unter ihnen 37 fremdsprachige Schriftsteller. Viele sind so gut wie vergessen. Ihre Bücher sollten für immer - so die Absicht der Organisatoren - ausgelöscht werden.

    Ein Dokument gegen dieses Vergessen hat jetzt der Literaturkritiker Volker Weidermann mit seinem "Buch der verbrannten Bücher" vorgelegt. Der 38-jährige Feuilletonchef der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" schildert erstmalig die Lebensgeschichten aller Autoren, deren Werke 1933 in Flammen aufgingen. Seine Absicht ist es,

    "bestimmte Autoren, für die diese Verbrennung tatsächlich fast ein Vergessen für immer bedeutet hätte, wieder in Erinnerung zu rufen."

    Das ist Weidermann gelungen. Er hat auf der Leipziger Buchmesse ein spannendes Buch vorgelegt, das von verbrannten Werken, vergessenen Literaten und vielen Einzelschicksalen erzählt. Es ist eine Art "Who is who" all jener Schriftsteller, die schon während der Weimarer Jahre, dann aber verstärkt unmittelbar nach Hitlers Machtergreifung verteufelt wurden: als Vertreter der "jüdischen Asphalt-Journaille", der "Schmutz- und Schund-Literatur".

    Die Bücher-Verbrennung war der erste Schritt. Dann gab es Schreibverbote und Verfolgung. Viele Dichter mussten ins Exil gehen oder zogen sich zurück in die innere Emigration. Es ist die Rede von materieller und geistiger Armut, von psychischer Belastung und Vereinsamung. Und für Schriftsteller wohl am schlimmsten: der Verlust der Muttersprache, das bedeutet im Exil oft das literarische Aus.

    Wer sich auf "Das Buch der verbrannten Bücher" einlässt, begibt sich auch auf eine hochinteressante Entdeckungsreise durch das literarische und politische Leben vor und während des Dritten Reichs. Dabei wird klar: Nicht jeder betroffene Dichter war ein begnadeter Dichter.

    Nicht so sehr die verbrannten Bücher stehen für den Autor im Vordergrund. Es sind vielmehr die Lebenswege der Autoren, die er lebendig und kenntnisreich erzählt. Das macht aber auch ein Manko deutlich: Weidermanns Arbeit ist ein Buch über die Opfer, weniger über die Täter. Sie werden zu kurz abgehandelt. Zu wenig erfährt man über die Motive der Hauptakteure bei den Bücherverbrennungen, über die Funktionäre der Deutschen Studentenschaft, denen Joseph Goebbels bei der zentralen Veranstaltung auf dem Berliner Opernplatz zurief:

    "Wenn ihr Studenten euch das Recht nehmt, den geistigen Unflat in die Flammen hineinzuwerfen, dann müsst ihr auch die Pflicht auf euch nehmen, an die Stelle dieses Unrates einem wirklich deutschen Geist die Gasse freizumachen. Deshalb tut ihr gut daran, zu dieser mitternächtlichen Stunde den Ungeist der Vergangenheit den Flammen anzuvertrauen. Das ist eine starke, große und symbolische Handlung."

    Auch liest man bei Weidermann kaum etwas über die Germanistik-Professoren, die sich an dem Spektakel der Bücherverbrennung bereitwillig beteiligten, oder über den Börsenverein des deutschen Buchhandels, der sich ganz schnell und ohne Widerstand gleichschalten ließ. Über die Verleger, die Büchereibesitzer und Buchhändler, die sich mehr oder weniger zügig der Kulturbarbarei der Nationalsozialisten unterworfen hatten. Lediglich über einen Täter erfährt man etwas:

    "Es gibt wirklich einen Bibliothekar, der diese Liste erstellt hat, der die Liste erstellt hat, die die Grundlage für die Bücherverbrennung war. Ein Mann - Nazi wohl, Nationalssozialist durchaus, aber mit einem sehr eigenwilligen Kopf -, der auch Hitlers 'Mein Kampf' für durchaus nicht so geeignet für die neue Bewegung hielt oder zumindest nicht für originell genug für diese Zeiten, die jetzt kommen sollten. Und diese Geschichte dieses Mannes hat mich besonders interessiert. Und der wurde auch kurz danach abserviert, war dann nicht mehr linientreu genug. Das fiel dann auch den Nazis auf."

    Dieser Bibliothekar hieß Wolfgang Herrmann. Er war gerade mal 29 Jahre alt, als er im Frühjahr 1933 entscheiden konnte, welche Bücher in Gegenwart und Zukunft als deutsch zu gelten hatten und welche nicht. Die Biografien werden kenntnisreich aufgeblättert . Sie ermuntern dazu, den einen oder anderen Autor selbst zu entdecken. Auf die Frage, welche verbrannten Bücher und vergessenen Schriftsteller unbedingt wieder entdeckt und gelesen werden sollten, nennt Weidermann spontan drei Namen:

    "Maria Leitner zum Beispiel, eine Reporterin, die so undercover recherchierte, auch in Amerika und in Deutschland. Und Hermann Essig zum Beispiel, der in den 20er Jahren als einziger Autor überhaupt zweimal den Kleist-Preis gewonnen hat und trotzdem in der Zeit danach völlig vergessen wurde. Dessen Kunstabrechnungsroman 'Taifun' ist unbedingt sehr lesenswert. Und Hans Heinz Ewers möchte ich als Dritten noch nennen, der die 'Alraune' geschrieben hat und eine ganz, ganz verrückte Lebensgeschichte gehabt hat."

    Für "Das Buch der verbrannten Bücher" musste der in Berlin lebende Journalist Volker Weidermann unendlich viel lesen, hat gegoogelt, im Internet gesucht und unzählige Antiquariate durchstöbert - mit Erfolg: Herausgekommen ist ein interessantes und informatives, ein gut recherchiertes und journalistisch flott geschriebenes Buch über Literatur und Politik, das sowohl aufregend als auch anregend ist.


    Volker Weidermann: Das Buch der verbrannten Bücher
    Kiepenheuer & Witsch, Köln
    253 Seiten, 18,95 Euro