Berlin-Neukölln. Rund 170.000 Menschen leben hier: die Hipster, die Craft Bier trinken und das Viertel attraktiv für Immobilienhaie machen, aber auch die ewigen Hartzer und die Clans, die ganze Straßenzüge kontrollieren. Die Jugendlichen, die hier aufwachsen - viele davon Kinder von Migranten, die aus sogenannten Problemfamilien kommen - haben's nicht leicht. Wie soll man normal zur Schule gehen, wenn Armut und Gewalt zum Alltag gehören? Und wie soll man als Lehrerin normal Unterricht machen?
Rosa von Praunheim dokumentiert in seinem neuen Film "ACT! Wer bin ich?" die Arbeit von Maike Plath, Lehrerin, die mit Neuköllner Jugendlichen Theaterstücke entwickelt.
Christoph Reimann: Rosa von Praunheim, hallo zum Corsogespräch.
Rosa von Praunheim: Hallo!
Reimann: Was kann denn Theaterarbeit bei welcher Art von Problemen bewirken?
Von Praunheim: Das Schöne ist, dass Theater anders ist als ein anderer Unterricht, Englisch, Mathematik oder so, wo die meisten - so wie das in den Schulen vermittelt wird - in den Problemschulen in Neukölln haben viele nicht Bock drauf, weil sie auch nicht gut sind, weil sie von zu Hause auch nicht motiviert werden, da fleißig zu sein, geben schnell auf. Und Theater ist da eine Möglichkeit, wo sie vielleicht zum ersten Mal eine Wertschätzung kriegen, wo sie mit Phantasie arbeiten können, wo es ungeheuren Spaß macht. Und das kann ein Einstieg sein dann auch in den normalen Unterricht.
Reimann: Mich hat gewundert, dass die Jugendlichen kommen, um an diesem Theaterprojekt teilzunehmen, denn Theater an sich gilt ja erstmal nicht als besonders cool.
Von Praunheim: Ja, das spricht sich aber rum. Maike Plath war ja zehn Jahre an so einer Problemschule in Neukölln, wo man kaum richtigen Unterricht machen konnte, weil die nur Quatsch machten oder aggressiv wurden, und da hat sie sich rüber gerettet mit den Schülern, um in der Aula dann eben Theater zu machen. Und das hat sich rumgesprochen, wie viel Spaß das macht und da kamen eben auch die problematischen Kids oder so und merkten, das ist eine tolle Sache. Und viele von denen sind dann eben auch weiter geblieben, bei Maike, als dann die Schulbehörde sagte, das ist Unsinn mit dem Theater und mach' lieber ordentliche Fächer, da hat sie dann aufgehört und ist aus dem Beamtendienst ausgeschieden und hat eine eigene Gruppe gegründet, eine eigene Firma gegründet, und bildet eben aus. Auch viele Künstler, die dann Theater an Schulen machen. Und das Spezielle bei Maike Plath ist, dass sie die Schüler selber Regie führen lässt. Das heißt, die Schüler werden von Anfang an dazu aufgefordert, selber Ideen beizusteuern...
"Jeder kann mitbestimmen, wie das Stück wird"
Reimann: Es sind oft biografische Stücke.
Von Praunheim: Genau. Mit ihrer Biografie erst mal, dass sie da reingehen, dass sie sich was wünschen können. Jetzt in unserem Fall war es das Thema Glaube, und dass jeder erst mal aufschreibt, aus welcher Richtung er auch kommt, und damit dann spielerisch umgeht und selber eben mitbestimmen kann, wie das Stück dann wird.
Reimann: Neukölln verändert sich ja sehr stark, also auf der einen Seite natürlich ist Neukölln weiterhin Problembezirk, auf der anderen Seite, Hipstermekka, Künstlerviertel: da prallen Welten aufeinander. Wie bewerten Sie diese Entwicklung, so circa zehn Jahre nach dem Rütli-Brandbrief?
Von Praunheim: Nun, das Leben ist eben Leben. Das ist immer lebendig und Neukölln war ein ziemlicher Slum, dann fingen plötzlich an, Künstler hinzuziehen wegen der billigen Miete, viele Galerien machten auf, weil sie im Grunde genommen gar nichts zahlen mussten für die Räume, nur damit jemand drin war. Dann ist der Bezirk eben populär geworden, schick geworden, weil so viele auch international da hingezogen wurden und die Mieten werden natürlich immer teurer. Inzwischen sind sehr viele Galerien auch eingegangen oder weggezogen, und irgendwann wird es dann wieder ein anderer Bezirk sein, vielleicht, dass es nach Wedding geht oder so ...
Wir haben noch länger mit Rosa von Praunheim gesprochen -
Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
Reimann: Vielleicht gibt es zu wenig Berührungspunkte zwischen den Kreativen auf der einen Seite und dann auf der anderen Seite den abgehängten Familien.
Von Praunheim: Es sind ja auch immer wieder Initiativen... wir haben da sehr viel recherchiert. Es gibt da so einen ganz tollen Typen im arabischen Viertel, wo man sagt, da traut sich selbst die Polizei nicht hin oder so, weil da so diese großen Clans sind. Der hat ein Jugendprojekt gemacht, wo er Nachhilfeunterricht gibt und ein T-Shirt hat: "schwul und gottlos". Und die Leute kommen trotzdem. Man sieht, dass man da provozieren kann, dass man sehr individuell sein kann und wenn man gute Jugendarbeit macht, dass man auch die Leute kriegt. Man darf den Bezirk nicht aufgeben oder diese bestimmten Ecken, wo es brennt, die darf man nicht aufgeben.
"Erst einzelne Mutige, dann ziehen andere nach"
Reimann: Freut es Sie, wenn sie Leute sehen mit solchen T-Shirt-Aufdrucken? Denn, als Sie angefangen haben mit Ihrer Arbeit, wäre so etwas ja undenkbar gewesen.
Von Praunheim: Genau, das ist richtig. Das bedarf immer einzelne Leute. Ich zähle mich auch selber zu jemand, der erst mal sehr individuell, also in der Schwulenbewegung versucht hat, überhaupt eine Schwulenbewegung aufzubauen, während drumherum - es war in Zeiten, wo alles kriminalisiert war, in denen ich aufwuchs. Es sind immer Einzelleute erst mal, die sagen, ich hab den Mut, ich will was machen, ich will was verändern. Und dann ziehen andere nach. Und ich glaube, dieser Mut von einzelnen Leuten wird oft auch belohnt. Das ist jedenfalls meine persönliche Erfahrung.
Reimann: Und das ist auch das, was die Doku zeigt.
Von Praunheim: Und was Maike Plath als Pädagogin zeigt, ja. Dass sie mit ihrer Initiative sehr, sehr viel bewirkt hat und sehr viel Anregung auch gibt.
Reimann: Die junge Generation, die nachkommende Generation scheint Ihnen ja sehr wichtig zu sein. Sie unterstützen Jugendtheater, sie unterstützen auch junge Regisseure, wie zum Beispiel Axel Ranisch, gibt es vielleicht so etwas, was Sie weitergeben möchten an junge Leute?
Von Praunheim: Ich habe ja lange als Lehrer - also Professor - gearbeitet an der Hochschule für Film und Fernsehen, habe Regiestudenten unterrichtet, ich war sehr streng. Aber ich habe versucht, den Leuten zu vermitteln, dass es wichtig ist, zu machen. Viel zu machen. Donnerstag haben wir eine Idee entwickelt, Freitag: Casting, Sonnabend gedreht, Sonntagabend war der geschnittene Film fertig. Hauptsache ist das Machen, das Tun - und das ist im sozialen Bereich auch so. Einfach anfangen. Und da habe ich sehr viel Methoden entwickelt und die möchte ich auch ein bisschen weitergeben.
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