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Dokumentarfilm
Ägyptische Kunst während der Revolution

Der Dokumentarfilm "Art War" zeigt die ägyptische Revolution aus Sicht der Künstler, die dem Regime den Krieg erklärt haben. Mit Graffitis malen sie gegen den verhassten Sicherheitsapparat und die Strukturen der religiösen Gesellschaft an - mittlerweile sind sie weltberühmt.

Von Florian Fricke |
    Ein ägyptischer Soldat vor einer Wand in Kairo, mit Graffitis von Opfern gewaltsamer Zusammenstöße.
    Graffitis in Kairo zeigen die Opfer der Revolution. (picture alliance / dpa / Khaled Elfiqi)
    "Jahrzehntelang gab es keine Graffitis mehr. Aber nach dem Sturz Mubaraks eroberten junge Künstler wieder die Straßen und Plätze. Dieser Film erzählt ihre Geschichte."
    Eigentlich wollte Marco Wilms einen Film über den deutsch-ägyptischen Politologen und Publizisten Hamed Abdel-Samad drehen, der hier als Filmerzähler zu hören ist. Doch als der Berliner Dokumentarfilmer im Juni 2011 nach Kairo reist, flammt die nach dem Sturz Mubaraks erlahmte Revolution wieder auf. Der zentrale Tahrirplatz wird erneut Schauplatz von Massendemonstrationen, und Wilms ist mittendrin.
    "Ich hatte mir ein Hotel ausgesucht, was eine Terrasse hatte, wo du in die Straße zum Tahrir gucken kannst. Da habe ich auch fast die ganzen zweieinhalb Jahre gewohnt. Manchmal, wenn ich angekommen bin, war das so voller Tränengas, der Raum, dass man da gar nicht schlafen konnte. Da hätte ich eigentlich eine Gasmaske aufsetzen müssen. Ich war auch der einzige Gast da, da hat natürlich kein Tourist eingecheckt."
    Nach und nach lernt Wilms Künstler kennen, die den weiteren Revolutionsverlauf prägen werden: den Musiker Ramy, der in der Straßen Kairos Konzerte gibt, und grafische Künstler wie Ammar und Ganzeer. Der Filmemacher dokumentiert die Wahlfälschungen im November 2011, die zum Sieg der Muslimbrüder führen. Die Künstler hatten die chaotischen Wahlen boykottiert, sie wollten die Repressalien des Regimes nicht legitimieren. Sie beginnen, gegen die Verhältnisse anzumalen, schaffen Märtyrerporträts in der Mahmoudstraße, die zur Galerie der Revolution wird. Graffiti werden immer mehr zu einer Waffe in diesem ungleichen Kampf.
    Eine Galerie der Revolution
    "Das erste Bild, das Ammar gemalt hat, war über einen Polizeisniper, der Menschen die Augen ausgeschossen hat. Ein Aktivist hat den gedreht mit dem Handy, verkleidet mit einer Polizeiuniform. Und dieses Handybild hat Ammar genommen, eine Schablone draus gemacht und überall in Kairo gesprayt: wanted. Und die haben ihn tatsächlich gefunden, und er wurde vor Gericht gestellt. Das war der erste Erfolg, wie Graffiti als Propagandawaffe eingesetzt werden kann.
    "Veränderungen werden nie von der Mehrheit der Bevölkerung hervorgebracht. Es waren immer Minderheiten, die ihre Gesellschaften grundlegend verändert haben."
    Insgesamt fünfmal reist Marco Wilms nach Ägypten. "Art War" ist nicht nur Künstlerporträt, sondern auch die Chronik der Revolution nach Mubaraks Sturz. Wilms stürzt sich unerschrocken ins unübersichtliche Getümmel und hält drauf, ohne Team, ohne Drehbuch und zunächst auch ohne Finanzierung. Aber so blieb glücklicherweise alle künstlerische Freiheit bei ihm. Dass er mit seinem Haudrauf-Stil richtig lag, merkte er erst, als er Diplomaten im Rahmen eines Vortrags Rohmaterial zeigte.
    "Die fanden das so toll, so gelacht, wenn an bestimmten Stellen die Leute in die Kamera sprechen. Da hab ich gedacht: Aha, diese Unperfektion, dieses Kaputte, Nervöse, dieses Chaotische ist der Stil des Films. Die Künstler haben mir auch gesagt, dass das der Film ist, mit dem sie sich am meisten identifizieren können, dass der absolut ihr Lebensgefühl trifft. Und darum ging's eigentlich."
    Nicht nur ein Künstlerporträt, sondern die Chronik der Revolution
    Art War kommt gerade zur rechten Zeit in die Kinos, bevor die Verzweiflung im Westen über den Arabischen Frühling überhandnimmt. Niemand weiß, wohin Ägypten und die anderen betroffenen Staaten driften werden, auch Wilms wagt keine Prognose. Sein Film hilft aber zu verstehen, welchem gesellschaftlichen Erdbeben die Region ausgesetzt ist.
    Die porträtierten Künstler, unter ihnen auch eine Frau, mögen in ihren radikalen politischen und antireligiösen Ansichten nur eine elitäre Minderheit innerhalb der 80 Millionen Ägypter darstellen. Aber mittlerweile sind sie weltberühmt und finden immer mehr Anhänger unter den Jugendlichen. Das Regime hat jetzt erst reagiert, Graffiti sollen bald per Gesetz verboten werden. Wann unter diesen Umständen Wilms den Film in Ägypten zeigen kann, ist im Moment völlig ungewiss.
    "Ich würde mir wünschen, dass es auch ein großer offizieller Rahmen ist, dass endlich mal die wirklichen Schöpfer der Revolution gewürdigt werden. Die haben ein Denkmal gebaut auf dem Tahrirplatz, so ein piefiges, hässliches Denkmal, ganz schlimm. Das ist innerhalb weniger Stunden komplett dem Erdboden gleichgemacht worden von den Revolutionären. Weil wozu ein Denkmal? Wir sind noch nicht am Ende, noch lange nicht, wir sind noch nicht mal auf dem halben Weg. Jetzt geht’s erst mal weiter, bis wir eine wirkliche Demokratie haben."