Es ist noch dunkel, als die Kinder geweckt werden. Schlaftrunken gehen sie in den Tempel, verneigen sich vor der Buddha-Statue und versuchen nicht einzunicken, während der Mönch über den Begriff der Wahrheit philosophiert. Buddhistische Lehre auf Mandarin – in einem Waisenhaus in Malawi. Dort spielt der Dokumentarfilm "Buddha in Africa", erzählt aus der Perspektive des 16-Jährigen Enock: "My name is Enock Bello, my Chinese name is Alu."
Die neuen Missionare Afrikas?
Wie alle Kinder hier hat Enock einen chinesischen Namen verpasst bekommen. Er mag ihn zwar nicht, aber er akzeptiert ihn. Ebenso wie das vegetarische Essen und den täglichen Drill: Tempel, Schule, Mandarin-Unterricht, Kung-Fu-Training. Für den Gründer des Waisenhauses, Mönch Hui Li, seien das die Zutaten für ein besseres Leben, sagt Regisseurin Nicole Schafer: "Seine Absicht ist aufrichtig. Er glaubt an den Nutzen des Buddhismus und der chinesischen Kultur für diese Kinder. Er meint es gut, aber er erkennt nicht, wie archaisch einige seiner Ideen sind. Es hat mich fasziniert, wie viele Parallelen es zu den christlichen Missionsstationen der Kolonialzeit gibt. Als weiße Südafrikanerin bin ich mir dieses Erbes sehr bewusst. Und ich fand es spannend, zu hören, wie Enock und seine Freunde auf die bevormundende Art der Chinesen reagieren."
Auf den Stockbetten ihres Schlafsaals diskutieren die Jugendlichen über die Religionen in ihrer Heimat: Die meisten seien ihnen von außen aufgezwungen worden. Der Glauben ihrer Vorfahren gerate so in Vergessenheit. Sie unterhalten sich auch über den wachsenden wirtschaftlichen Einfluss Chinas in ihrer Heimat. Etwa die Billigprodukte, die die Märkte überschwemmen. Eines der großen Themen des Kontinents im Kleinformat.
Zwischen afrikanischen Wurzeln und chinesischer Kultur
"Enocks innerer Kampf zwischen der chinesischen Kultur und seinen afrikanischen Wurzeln spiegelt für mich ein grundsätzliches Dilemma wieder: Das der künftigen Entwicklung Afrikas und der Frage, inwiefern sie weiterhin von außen bestimmt wird. Inwiefern Afrika die Möglichkeiten, die Länder wie China bieten, nutzen kann, ohne die eigene Kultur zu opfern. Es ist interessant, dass Enock seiner Verbundenheit zu seinem bitterarmen Heimatdorf ebenso viel Bedeutung zumisst, wie den Bildungschancen, die die Chinesen ihm bieten."
Nach dem Tod seiner Eltern ist Enock zunächst bei seiner Großmutter aufgewachsen. Sie hat ihn ins Heim geschickt, weil sie ihm eine bessere Zukunft bieten wollte. Er besucht sie in den Ferien, voller Sehnsucht nach Heimat. Doch er spricht nicht einmal Yao, die einheimische Sprache. Er kennt die Bräuche und Traditionen nicht. Er fühlt sich fremd, entwurzelt.
"Grundsätzlich sieht die Regierung von Malawi vor, dass alle Kinder in ihren Dörfern aufwachsen. Auch Waisenkinder sollen eigentlich nicht in Heimen mit einer fremden Kultur untergebracht werden. Aber in der Realität existieren viele ausländisch geführte Heime: islamische, christliche, kabbalistische, buddhistische und so weiter. Der Grund ist die große Zahl an Waisen in Malawi. Ihre armen Heimatorte können sie einfach nicht alle unterstützen."
Kampf der Kulturen oder Dialog?
In bewegenden Szenen sammelt der Mönch in einem Dorf neue Waisenkinder ein, die ihm offenbar bereitwillig übergeben werden. Sie müssen sich in das neue Leben fügen. Wer nicht spurt, wird bestraft. Der Mönch macht keinen Hehl daraus, dass er die einheimische Kultur als minderwertig erachtet. Der strenge Kung-Fu-Lehrer, zu dem Enock lange aufschaut hat, wird sogar handgreiflich. Trotz dieser Darstellung betont Regisseurin Nicole Schafer:
"Ich hoffe, dass ich zu mehr Bewusstsein über die unterschiedlichen Kulturen, den gesellschaftlichen Kontext und einem Dialog beitragen kann. Denn obwohl immer mehr chinesische Bürger und Unternehmen in Afrika tätig sind, sind sich beide Seiten noch immer fremd. Sie wissen wenig voneinander. Das muss sich ändern. Aber es geht hier nicht nur um China und Afrika, sondern auch um den Westen und die sich verändernde Wahrnehmung des Kontinents."
Ob die Zuschauer den Film tatsächlich so verstehen werden ist fraglich. Wer in China die neue Kolonialmacht in Afrika sieht, wird sich eher bestätigt fühlen. Denn auch wenn Enock kritische Fragen stellt, hat er am Ende kaum eine Wahl. Der Mönch bläut ihm ein, dass er für die Entwicklung seiner Heimat verantwortlich sei. Er soll im Ausland studieren. Trotz seines Heimwehs. Seine Familie hofft auf einen neuen Ernährer. Enocks eigene Wünsche zählen nicht.