Siniawski: Hannah Nydahl - mit diesem Namen verbindet sich die Erinnerung an eine spirituelle Lehrerin, die zusammen mit ihrem Mann Ole Nydahl den tibetanischen Buddhismus in den Westen brachte. Nach einem Erweckungserlebnis in Nepal 1968 wurde sie gemeinsam mit Ihrem Mann zur spirituellen Mission in der westlichen Welt auserkoren.
"Die stärkste Person, die er kannte", mit "starkem Geist, trotz der vielen Reisen nach Nepal, in Bussen durch Indien, ohne Essen durch Russland" - und "furchtlos", das sagt ihr Weggefährte und Freund Tomek Lehnert im Dokumentarfilm "Hannah - Ein buddhistischer Weg zur Freiheit". Co-Regisseurin dieses Films, der am Donnerstag in die Kinos kommt, ist Marta György-Kessler. Guten Tag!
Marta György-Kessler: Hallo. Schön, hier zu sein.
Siniawski: Furchtlos, eiserner Wille, Power of Mind - heißt es ziemlich häufig im Film. Diese Worte fallen sehr oft, wenn es um die Protagonistin geht. Ist das der Kern der Figur Hannah Nydahl?
György-Kessler: Ja, ich meine, es ist immer die Frage, wie man den Kern bezeichnet. Wenn man sie erlebt hat in unterschiedlichen Situationen, kann man tatsächlich diese Qualitäten sehr, sehr schnell erkennen. Es gibt so ganz wichtige Zeiten im Leben, wo man nicht so viele Spiele spielen kann, wenn zum Beispiel der eigene Mann einen Unfall hat und fast im Sterben liegt, da habe ich Hannah gesehen, wie sie war oder wo sie auch sehr krank wurde und bevor sie verstorben ist. Diese paar Monate, wo wir bei ihr waren, wie sie war, wie ihr Geist war, wie sie sich verhalten hat. Ich denke, das zeigt sehr, sehr viel. Das ist, was ich erlebt habe. Das sind schon überzeugende Charakterzüge, auch wenn wir über eine Frau sprechen.
Überhöhung der Person?
Siniawski: Warum auch nicht! Wenn ihre europäischen Weggefährten und Anhänger über Hannah Nydahl sprechen, dann rücken die sie fast schon in ein transzendentes Licht. Ich zitiere: "Obwohl sie die buddhistischen Zeremonien geleitet hat, war sie nicht am selben Ort, wie die Zuhörer". Das klingt schon fast wie bei den tibetanischen Lamas und Karmapas selbst! Schwingt da ein Stück weit Überhöhung der Person mit?
György-Kessler: Kann sein. Aber das kann man auch als poetisch bezeichnen, oder? Wenn wir jemanden sehr lieben und jemand uns sehr inspiriert. Das ist auch so, dass die Wahrnehmung in unterschiedlichen Ebenen schwingt. Sie war eine sehr zurückhaltende Person und sie ruhte so stark in sich. Sie hatte diese Fähigkeiten, beim Hier und Jetzt zu sein und in sich zu ruhen, und ich glaube, das zeigt in andere Dimensionen.
Den Geist kennenlernen
Siniawski: Dabei waren die Anfänge ja ziemlich profan - würde ich jetzt so lapidar sagen. Hannah trifft in Kopenhagen Ole Nydahl, der ist ein ziemlicher Draufgänger, beide waren Hippies; den Drogen nicht abgeneigt, um den Geist zu öffnen, heißt es. 1968 dann die klassische Reise über den Iran und Afghanistan nach Nepal. Dort bringt ein Lama - ein spiritueller Lehrer - das Paar dann zum 16. Karmapa, dem Oberhaupt des tibetischen Buddhismus. Und dieser lässt sie ungewöhnlich schnell zu sich. Man hat das Gefühl, es war eine Art Vorsehung, richtig?
Wir haben noch länger mit Marta György-Kessler gesprochen - hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
György-Kessler: Ja, vielleicht. Also von Karmapas Seite aus. Wir sprechen im Buddhismus auch darüber, dass wir in früheren Leben bestimmte Versprechen und Wünsche gemacht haben und sicherlich könnten wir so sagen, dass Ole und Hannah schon ihren idealistischen Weg haben, bevor sie auf den Buddhismus getroffen sind. Sie waren zwar wild, aber sie hatten auch eine Aufgabe im Kopf. Das war auch diese ganze Sache mit den psychedelischen Versuchungen oder was sie ausprobiert haben, das hatte damit zu tun, sie wollten den Geist kennenlernen. Sie wollten ein bisschen mehr erfahren über die Grenzen oder die Grenzenlosigkeit des Geistes, so wie ich das verstanden habe. Und ich denke, diese Begegnung mit dem 16. Karmapa, das war wieder eine Erfahrung, so wie sie den Karmapa erlebt haben, wie einen lebendigen Buddha. Sehr überzeugend und dann haben sie gesagt: Wow, das wollen wir auch lernen! Wobei sie sagen, das war keine Idee von Buddhismus, das war eher diese Person, also der Karmapa selber, der war so stark und überwältigend, dass sie sagten: Ok, wenn das Buddhismus ist, was uns da hinführt, das auch zu erleben, dann ist das halt Buddhismus.
"Der politische Hintergrund war einfach da"
Siniawski: Wir machen einen großen Sprung. Letzten Endes haben sie so 500 Zentren dann quer durch Europa eröffnet. Interessant aber, wie die Hannah und Ole Nydahl in die Fänge der Politik kamen. In den 80ern haben die kommunistischen Machthaber sie mit Visum ins Land gelassen, damit der Buddhismus die oppositionelle katholische Kirche in Polen schwächt. Später dann, beim so genannten Karmapa-Konflikt um die Nachfolge des dann verstorbenen 16. Oberhauptes, geriet das Paar zwischen die Fronten der geistlichen Parteien und der Interessen Nepals und Chinas. Ließen sich die beiden auch in gewisser Weise instrumentalisieren?
György-Kessler: Das glaube ich nicht. Das glaube ich weniger. Die beiden sind immer den Einladungen von Freunden gefolgt, die auch irgendwas, von denen lernen wollten. Der ganze politische Hintergrund, was sich gerade abgespielt hat, das war einfach da. Ich würde eher sagen, dass Ole und Hannah überall da hingereist sind, wo sie gerade gebraucht wurden, unabhängig davon, welche Bedingungen gerade in dem Land vorgesehen waren. Das war nicht so schön in der Zeit, als Westler rumzureisen, wo noch Kommunismus war. Das war nicht so bequem. Da hätte man sich auch andere Ziele vorstellen können.
Unangenehme Aspekte fehlen
Siniawski: Der Film endet mit dem Krebstod von Hannah Nydahl im Jahr 2007. Doch ihr Mann Ole führt die Mission weiter. Nicht immer skandalfrei. In Interviews gibt er damit an, mit 500 Frauen geschlafen zu haben. Die Vorstufe zur Erleuchtung vergleicht er gern mit Motorradfahren oder Bungee-Jumping. Er fordert ein gutes "Gegengewicht" zu "fremden Einflüssen" - sprich der Flüchtlingsbewegung - und zieht eine direkte Linie von islamistischem Terror zum Koran. All das thematisieren sie nicht, warum?
György-Kessler: Weil, es geht um Hannah. Es geht um Hannah und die Frau und um die Sache. Das ist auch ganz wichtig, dass man dabei bleibt und abgesehen davon, einige Sachen, die sie erzählt haben: Das ist auch nicht so, dass er das gesagt hat, aber ich möchte da nicht Reingehen. Man kann immer wieder was da reinlesen und reinhören, was man möchte, aber der Film - also, alles was im Film ist - es geht um Hannah und Ole und wie sie ihr Leben idealistisch gelebt haben und ich denke, das ist sehr, sehr wichtig zu zeigen, damit es jeder sehen kann. Denn so ein Leben zu führen für 40, 45 Jahre lang, das ist nicht leicht. Und das ist sehr außergewöhnlich.
Siniawski: Die Aussagen fielen schon so. Er hat dann in einigen Interviews gesagt: Naja, wegen meiner Sprachbarriere wurde ich da vielleicht falsch verstanden. Trotzdem wird er in ihrem Film ja - bis auf die jungen Jahre, als er als Draufgänger beschrieben wird - als der sanfte, spirituelle Lehrer und der treue Ehemann dargestellt. Das ist dann vielleicht doch so die eine Facette.
György-Kessler: Ich weiß es nicht, wo wir das überhaupt in dem Film erwähnen. Da kann man auch so reden. Ole und Hannah, die haben sich sehr, sehr geliebt und das ist auch, was wir da gezeigt haben.
Siniawski: Sagt Marta György-Kessler, zusammen mit Adam Penny hat sie den Dokumentarfilm gedreht: "Hannah - ein buddhistischer Weg in die Freiheit". Ab Donnerstag ist er in unseren Kinos zu sehen. Frau György-Kessler , vielen Dank für das Corsogespräch!
György-Kessler: Herzlichen Dank, einen schönen Tag. Tschüss.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.