"Gegrüßet seist du Maria …"
Jugendliche auf einer Romreise. Sie sind unterwegs mit den "Legionären Christi". Diese katholische Kongregation will besonders Kinder und Jugendliche ansprechen, veranstaltet Zeltlager, Schulungen und Gottesdienste. Glaubens- und Willensstärke sollen geformt werden, sagt der Priester Martin Baranowski vor den jugendlichen Teilnehmern einer Meditation:
"Und deswegen ist diese Meditation dazu da, um eben ein Thermometer an unseren Willen zu setzen: Ob der Wille kalt ist, ob er lau ist oder ob er wirklich brennt. Und für viele Leute ist es eben nicht so, dass sie schlechte Menschen sein wollen, aber für viele Menschen ist es so, dass sie keinen oder einen unglaublich schwachen Willen haben. Und ein christliches Leben braucht als Fundament einen starken Willen."
Einen starken Willen, oder zumindest eine ungebremste kriminelle Energie hatte Ordensgründer Marcial Maciel: Seit den 1940er-Jahren hat er regelmäßig Kinder und Heranwachsende sexuell missbraucht. In den 70er-Jahren zeugte er - der angeblich leidenschaftliche Verfechter des Zölibats - mit zwei Frauen drei Kinder. Jahrzehntelang wurden die Vorgänge vertuscht und erst nach dem Tod Maciels 2008 kam das ganze Ausmaß seiner Verbrechen ans Licht. Der Regisseur Peter Baranowski kannte die "Legionäre Christi" noch von Jugendfreizeiten. Aber während sein Bruder Martin der Gemeinschaft beitrat, verlor er selbst den Kontakt:
"Und ich bin dann erst wieder so richtig aufmerksam geworden auf die Legionäre Christi, als mein Bruder mich eines Tages anrief, kurz bevor diese Enthüllungen über die Missbräuche des Gründers öffentlich wurden, und mich angerufen hat und mich da schon einmal vorab informiert hat, was da jetzt in den nächsten Tagen in der Presse auf sie zukommen wird", sagt Peter Baranowski. "Und da habe ich gedacht: Mensch, das ist ja der totale Wahnsinn. Und da war dann zum ersten Mal die Idee auch geboren, einen Film darüber zu machen."
Orden in der Kritik
Peter Baranowski filmte mehr als 300 Stunden Material auf den Veranstaltungen der Gruppe, auf Schulungen, Freizeiten und Pilgerfahrten und ließ Jugendliche, strenggläubige Katholiken und Ordenspriester zu Wort kommen. Die sogenannte "Gründerkrise", der Umgang mit den Verbrechen Maciels, wurde dabei allerdings nur selten angesprochen.
"Das musste natürlich trotzdem auch Bestandteil meines Filmes werden, weil es ja doch ein sehr zentraler Konflikt ist. Und das ist auch interessant, dass das in der Klarheit ausgesprochen nicht von einem Mitglied der Legionäre kommt, sondern von einem Bischof, der, anlässlich einer Einweihung eines neuen Gebäudes, das auch anspricht. Und um das noch klarer machen zu können, musste ich dann an der Stelle auch ein paar Texttafeln einblenden, damit man überhaupt genau weiß, wovon die Rede ist, weil das sonst auch in den 300 Stunden gefilmten Materials eigentlich nicht auftaucht."
Auch vor der "Gründerkrise" stand der Orden oft in der Kritik: wegen seiner politischen Einflussnahme, besonders im Herkunftsland Mexiko, wegen seiner Unterstützung ultrareaktionärer politischer Kräfte und auch wegen seiner umstrittenen Rekrutierungsmaßnahmen unter Jugendlichen. Doch im Schatten der Enthüllungen über den Ordensgründer verblassen die anderen Kritikpunkte:
"Man sagt, der Mensch ist quasi schwach und fehlbar, aber die wirkliche Lehre ist davon unangetastet", sagt Regisseur Baranowski. "Und das ist ja eine Argumentationsstruktur, die man immer wieder in der katholischen Kirche wahrnimmt. Aber eine andere Strategie, die auch in dem Film angedeutet wird, die fand ich auch interessant, dass man plötzlich das umdreht und sagt, diese Gründerkrise ist für uns eigentlich eine Riesenchance, unser Profil zu schärfen."
Blick von innen
Es geht dem Film aber nie um eine kritische Analyse des Ordens. Er bleibt immer nah an seinen Protagonisten, zeigt deren Alltag von innen heraus. Zentrale Figur ist der Priester Martin Baranowski, der Bruder des Regisseurs. Aber die familiäre Bindung wird im Film nicht thematisiert. Der Regisseur bleibt völlig unsichtbar. Die bewusste Beschränkung auf die teilnehmende Beobachtung lässt den Kommentar und die kritische Nachfrage nicht zu:
"Diese Bedenken gab es auf jeden Fall, dass man so ein Thema quasi nicht so neutral behandeln kann, darf oder sollte. Ich denk mir aber, dass es eigentlich jetzt doch der richtige Weg war, es so zu machen. Es geht gar nicht mal so sehr darum, dass ich das Gefühl hatte, dass es jetzt ein objektiver Blick ist, weil Objektivität im Dokumentarfilm ja auch ein problematischer Begriff ist. Aber ich hatte das Gefühl, dass man auf diese Art und Weise tatsächlich mal in den Kopf von solchen Protagonisten reinschauen kann ein bisschen, und doch diese Phänomene, die ja doch immer totales Unverständnis und Kopfschütteln auslösen, tatsächlich mal aus sich selbst heraus zu verstehen."
Das gelingt dem Film. Er führt den Zuschauer in eine ganz eigene, teils vertraute, teils befremdende Welt einer strengreligiösen Gemeinschaft. Bei diesem Blick von innen heraus bleibt allerdings vieles außen vor: etwa die Perspektiven der Opfer und ehemaliger Ordensmitglieder und die kritischen Stimmen außer- und innerhalb der Kirche.
Der Dokumentarfilm "Die Temperatur des Willens" von Peter Baranowski startet am 7. Juni in ausgesuchten deutschen Kinos.