"Of Fathers and Sons" oder "Kinder des Kalifats", wie der deutsche Titel des oscarnominierten Dokumentarfilms lautet, gibt einen Einblick in den bedrückenden Alltag einer syrischen Familie, in der Vater Abou Osama im Mittelpunkt steht. Frauen kommen keine vor, die Scharia verbietet es, dass sie sich vor Fremden zeigen. Dennoch ist Regisseur Talal Derki ein dichtes Portrait einer sonst abgeriegelten Welt gelungen.
Der Film gehört zu einer Trilogie über den syrischen Bürgerkrieg. In Syrien hat er sich durch seine Filme zu viele Feinde gemacht – bei den Dschihadisten und der Regierung gleichermaßen. Daran dürfte wohl auch sein dritter Film nichts ändern, an dem der Regisseur gerade arbeitet.
Der erste Film der Trilogie erzählt - aus der Perspektive der Revolutionäre - vom Beginn des Bürgerkriegs in Syrien. Der zweite Film "Kinder des Kalifats" handelt von Dschihadisten. Aktuell arbeitet Talal Derki an dem dritten Teil über das Leben von Menschen nach dem Krieg. "Darüber kann ich nicht viel erzählen. Ich will die Crew nicht gefährden, die noch in Syrien ist. Der Arbeitstitel ist: "Hungergeschichte". Wir zeigen den Hunger und die Armut, in der die Menschen leben – das Verschwinden der syrischen Mittelklasse," so der Regisseur im Dlf.
Der Wunsch nach einem besserem Leben
Für Talal Derki gibt es Hoffnung. Zwar zeige der Film "Kinder des Kalifats" einen Mann, der seine Söhne auf den Dschihad vorbereitet. Doch der Jüngste darf weiter zur Schule gehen. "Die Möglichkeit eines anderen Lebens ist also da", so Talal Derki. Im dritten Film stünden die Frauen für einen Wandel, die nicht aufgäben, in ihrem Wunsch nach einem besseren Leben.
Als Syrer und Kenner des Landes fiel dem Regisseur der Zugang zu den Menschen leicht. Bei der Familie, über die er den Film "Kinder des Kalifats" gedreht hat, hat er sogar gewohnt. Talal Derki gab vor, mehr über die Religion wissen zu wollen. Riskant sei es trotzdem gewesen: "Wenn zum Beispiel herausgekommen wäre, dass meine Frau keinen Schleier trägt, hätte das böse enden können. Ich habe meine Frau also auf Facebook blockiert. Ich habe auch alle Fotos gelöscht, die mich auf Partys oder beim Alkoholtrinken zeigen."
Der Film zeigt ein Klima der Gewalt, in dem auch die Kinder aufwachsen: Sie schneiden einem Vogel den Kopf ab, weil ihr Vater ihnen erzählt hat, dass er das mit einem Gefangenen gemacht hätte. Für den Filmmacher eine schwierige Situation: "Natürlich haben mir die Kinder leidgetan, aber was hätte ich für sie tun können? Wenn ich etwas gesagt hätte, wären sie mir gegenüber wahrscheinlich nicht mehr so offen gewesen. Ich wollte aber sehen, wie die Familie wirklich ist. Das war meine Mission."
"Er schickt seine Söhne in den Krieg - aber er liebt sie auch"
Der Hauptdarsteller in dem Dokumentarfilm Abou Osama sei ein Antiheld, was, so Derki, für die Dramaturgie nicht schlecht sei. Viele Spielfilme arbeiteten mit negativen Helden, zum Beispiel Joker oder den Godfather. Spannend sei eine Figur aber nur, wenn sie Widersprüche hätte. Und das sei bei Abou Osama der Fall: "In seiner Familie ist er ein Diktator. Er schickt seine Söhne in den Krieg - aber er liebt sie auch und sorgt für sie."
Den ältesten Sohn hat der Vater Osama genannt – nach Osama bin Laden. Er ist ein eher sanfter Teenager mit langen dunkelblonden Locken. Man könne sich kaum vorstellen, dass er mal ein Gotteskrieger wird. "Das ist das Traurige. Man sieht ihm sofort an, dass er nicht in diese Umgebung passt, aber da er der älteste Sohn ist, lasten viele Erwartungen auf ihm. Er will seinen Vater nicht enttäuschen und ihm zeigen, dass er ein Kämpfer ist. Daher geht er mit 13 ins Scharia-Camp. Das ist wirklich traurig. In einem anderen Land mit anderen Eltern hätte er vielleicht ein Künstler werden können oder ein Musiker."
Angstfrei leben
Fast wäre Talal Derki entdeckt worden. "Da standen bei Abou Osama auf einmal Leute von einem Dschihadistenführer vor der Tür, der neu in der Region war und von meinen Dreharbeiten erfahren hatte. Sie sollten mich zum Verhör mitnehmen." Der Regisseur war zu dem Zeitpunkt gerade in Berlin und sichtete das Drehmaterial. Er realisierte, dass er nicht nach Syrien zurückzukehren konnte. Die letzten 5 Minuten des Films sind nicht von ihm gedreht, sondern von einem Kameramann vor Ort.
Inzwischen liegt die Filmpremiere einige Zeit zurück, Talal Derki lebt in Deutschland, ohne Angst, wie er betont: "Ich hatte Angst bei der Premiere, weil es da keinen Sicherheitsdienst gab, der die Taschen der Besucher kontrollierte. Aber es ist zum Glück nichts passiert. Jetzt fühle ich mich sicher."
"Kinder des Kalifats" läuft heute um 22:45 Uhr im Ersten.