"I scream, you scream, everybody wants ice cream!"
Mit diesem merkwürdig anmutenden Statement von Teodor Currentzis beginnt der Dokumentarfilm "Die Sprache unserer Träume" von Andreas Ammer. Gut 60 Minuten lang versucht der Regisseur, sich an die rätselhafte Persönlichkeit des neuen Chefdirigenten des SWR Symphonieorchesters heranzutasten. Ist er das wirklich selbst, wenn er so einen Spruch von sich gibt? Oder ist das nur eine Fassade, hinter der sich sein wahres Ich verbirgt? Andreas Ammer kann bis heute auf diese Frage keine eindeutige Antwort liefern.
"Ich glaube schon, dass man viel von der Ernsthaftigkeit, die ihm eigentlich zu eigen ist, viel von dieser absoluten Hingabe für das, was er gerade macht, dass man das in dem Film sieht. Man kann sich immer nicht vorstellen, weil es so perfekt und intensiv ist, dass es nicht vorgespielt ist. Er sagt mal in dem Film, er glaubt er ist so, weil er natürlich auch dauernd jetzt so ist und spielt und er war wahrscheinlich schon immer so."
Currentzis internationaler Durchbruch begann in der russischen Provinz
Teodor Currentzis sitzt im Halbdunkel in seinem Haus im russischen Perm. Im Hintergrund thronen barocke Kerzenleuchter. Er selbst trägt schwarz - wie er es immer tut, wirkt ernsthaft, aber entspannt. Hier in der russischen Provinz hat alles angefangen: Hier hat er aus einem Haufen von Musikstudenten sein Orchester MusicAeterna aufgebaut und mit ihm seinen internationalen Durchbruch geschafft. Immer wieder ist im Film von einer "verschworenen Gemeinschaft" die Rede, nicht von den Musikern hier und dem Dirigenten dort. Eine Art magischer Zirkel mit nur einem einzigen Ziel: völlige Hingabe an die Musik, meint Andreas Ammer.
"Ein Probentag kann daraus bestehen, dass tagsüber von elf bis sieben Mahler geprobt wird. Dann schaut sich Currentzis um acht vielleicht eine Ballett-Kompagnie an, die er eingeladen hat. Das dauert bis zehn und er bleibt bis zur letzten Sekunde da. Um zehn geht er dann mit seinem Chor proben, weil er um halb zwei in der Nacht eine Aufführung mit seinem Chor in einer absolut dunklen Kirche hat, weil er möchte, dass die Leute, wenn sie rauskommen um vier, dann den Sonnenaufgang sehen. Nach diesem Sonnenaufgang holt ihn sein Auto ab und am nächsten Tag wird wieder elf Stunden Mahler geprobt."
Die Turnhalle in Perm strahlt immer noch den nüchternen Charme der Sowjetära aus. Die Akustik ist mäßig, die Luft stickig. Dennoch blickt die Kamera ausschließlich in glänzende Augen, wenn MusicAeterna in Perm probt. Und genau diese Augen findet man auch bei den Musikern des SWR Symphonieorchesters in Stuttgart wieder. Und das schon nach der ersten Probe mit dem neuen Chefdirigenten, bei der Andreas Ammer mit seinem Filmteam dabei sein durfte. Mit der Kamera geht er nah heran an den so unnahbar scheinenden Dirigenten Teodor Currentzis, beobachtet sehr genau seine Gesten, seine Mimik bei der Arbeit, wie er mit den Musikerinnen und Musikern spricht.
"Sowas habe ich auch - ich habe schon einige Proben schon begleiten dürfen - habe ich in dieser Genauigkeit auch noch nicht erlebt. Und zwar von der ersten Sekunde an. Da wird zwar nochmal kurz 'Hallo' gesagt und dann geht es sofort los: Wir fangen an mit dem Anfang. Und er unterbricht nach zwei Sekunden, weil ihm der dritte Ton nicht gefallen hat."
Currentzis verlangt viel von sich und seinen Musikern
Currentzis sieht sich als Primus inter pares, als Teil einer Gemeinschaft von Musikern. Und für die und die Musik ist er immer bereit alles zu geben. Und das verlangt er auch von seinen Kolleginnen und Kollegen vom SWR Symphonieorchester. Er macht es vor: Nur drei Stunden nach einer OP im Krankenhaus mit Vollnarkose sieht man ihn im Film entgegen dem Rat seiner Ärzte schon wieder auf der Bühne stehen und Bruckners neunte Sinfonie dirigieren.
"Bei seinem ersten Konzert waren wir quasi hinter der Bühne. Und durften schauen wie er da wirklich mit versteinertem Gesicht hinter der Bühne ist. Und dann rausgeht und man nichts sieht. Er dann auch 80 Minuten Bruckner durchsteht und hinterher fast zusammenbricht und sich quasi dem Orchester auch damals beim ersten gemeinsamen Musizieren zu zeigen, wie er wirklich für die Musik lebt."
Ein Leben für die Musik - bei Teodor Currentzis darf man diese an sich eher abgegriffene Floskel tatsächlich wörtlich nehmen. Das geht soweit, dass er bis heute praktisch nichts von der Stadt Perm mitbekommen hat, wo er seit sechs Jahren lebt und arbeitet. Ob das allerdings auch für seine neue Wirkungsstätte Stuttgart gelten wird, bleibt abzuwarten. Fest steht aber, dass er dort schon zufällig in einen Demonstrationszug geraten ist, wo man ihn gleich erkannt hat, den Rebell der Klassikszene, und zum Mit-Protestieren eingeladen hat. Currentzis lehnte ab: Er demonstriert lieber im Konzertsaal mit seinem SWR Symphonieorchester, wie man auch bei oft gespielten Werken in Sphären vordringen kann, die nie ein Mensch zuvor gehört hat. Gemeinsam, unerbittlich und in gewissem Sinne perfekt - oder sogar darüber hinaus.