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Dokumentarfilm über Beuys
"Er wollte heilen, vielleicht auch sich selbst"

Er hat provoziert, angeklagt und war einfach nicht zu fassen: Joseph Beuys gehört zu den schillerndsten deutschen Künstlern. Regisseur Andres Veiel portraitiert den streitbaren Geist in einem Dokumentarfilm. "Mit seinem Humor konnte Beuys seine härtesten Kritiker auf die Matte zwingen", sagte Veiel im DLF.

Andres Veiel im Gespräch mit Adalbert Siniawski |
    Die Künstler Joseph Beuys (l), Andy Warhol (M) und Robert Rauschenberg bei der Pressekonferenz am 03.03.1982 anlässlich ihrer Ausstellungseröffnung. Die Ausstellung "Beuys, Rauschenberg, Twombly, Warhol - Die Sammlung Dr. Erich Marx" wurde am 02. März 1982 in der Nationalgalerie eröffnet und dauerte bis zum 04. April.
    Die Künstler Joseph Beuys (l), Andy Warhol (M) und Robert Rauschenberg bei der Pressekonferenz am 03.03.1982 anlässlich ihrer Ausstellungseröffnung. (picture alliance / dpa / Konrad Giehr)
    Adalbert Siniawski: Regisseur Andres Veiel ist einer der wenigen Dokumentarfilmer, die viele Zuschauer ins Kino ziehen. Ob mit der RAF-Geschichte "Black Box BRD", dem Jugenddrama "Der Kick" oder "Himbeerreich" über den Finanzkapitalismus. Und morgen läuft im Kino ein neuer Dokumentarfilm an, über den Künstler Joseph Beuys an – der bei einer Diskussion einmal sagte:
    Joseph Beuys: "Schmeißen wir doch meine Werke mal zum Fenster raus!"
    Frage: "Was wollen Sie?"
    Joseph Beuys: "Ich will das Bewusstsein der Menschen erweitern. Ich will es vor allem ausweiten, auf die reale, politische Situation und darauf können wir ja auch gleich zu sprechen kommen. Ich bin nicht der Ansicht, dass wir zum Beispiel in einer Demokratie leben. Ich bin nicht der Ansicht, dass wir zu freien Menschen erzogen werden durch unsere parteipolitische Bürokratie. Ich bin also bereit, sofort hier zu provozieren."
    Siniawski: Ja, provoziert hat er – nicht nur mit dem Satz "Jeder Mensch ist ein Künstler". Er sagte auch: "Weg mit dem Staat. Wir brauchen ein neues System." Ein Künstler, der gegen den Kapitalismus, die Parteibürokratie und den Kunstbetrieb rebellierte; der die damals radikalen "Grünen" aus der Taufe hob. Ich habe Andres Veiel kurz vor der Sendung gefragt: Ist die Systemkritik von Beuys aktueller denn je?
    Andres Veiel: Also ich glaube Teile davon. Ich würde jetzt nicht alles teilen, also wenn er sagt, den Staat abschaffen. Ich glaube, dass wir gerade in der gegenwärtigen Situation eher einen Staat brauchen mit einer sehr klaren Regelsetzung, gerade was die Finanzarchitektur angeht. Aber umgekehrt, wenn man genau hinhorcht, dann hat er eben sehr viel aktuelle Dinge gesagt. Die Zweifel an einer Demokratie, wo die Chancengleichheit nicht gegeben ist, die Zweifel an einer Demokratie, wo eben Geldströme unkontrolliert durch die Welt fließen und nicht dahin, wo es sinnstiftend wäre, sondern eher dahin, wo der meiste Ertrag erzielt wird. Das heißt, es sind ganz viele Punkte von Beuys, die sehr heutig sind, wo er damals nicht verstanden wurde. Und das macht für mich die Notwendigkeit aus, mich mit ihm nochmal zu beschäftigen. Also es war einer der Gründe, warum ich gesagt habe, da muss es einen Film geben.
    "Sein Humor macht ihn sehr undeutsch"
    Siniawski: Und anders als andere Systemkritiker von heute hat er seine Kritik immer mit Humor garniert.
    Veiel: Das ist ganz entscheidend, das war für mich auch schon in der Recherche eine ganz wunderbare Entdeckung. Dass er nicht jemand ist, der stierdogmatisch argumentiert, sondern immer wieder auch über sich selbst lachen kann, also auch wie ein Hase mal sprunghaft woanders hinspringt und einen Humor entwickelt, der dann auch die härtesten Gegner auf die Matte zwingt, weil damit hat dann niemand gerechnet, ja, dass er plötzlich so hasenhaft aus einer sehr zugespitzten Situation wieder mit einem neuen Gedanken kommt. Und das macht ihn sehr undeutsch.
    Wir haben noch länger mit Andres Veiel gesprochen - hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Siniawski: Seine Werke werden heute in den White Cubes dieser Welt präsentiert, damit 'musealisiert', was ihm, der ja raus in die Welt wollte und sich um die Galerien nicht geschert hat, ja sicherlich nicht gefallen würde. Tut man ihm damit letztlich unrecht?
    Veiel: Ja ich glaube, es ist ganz wichtig, Beuys Ideenräume nicht zu trennen von seiner Kunst. Das passiert ja meistens, das heißt, die Kunst wird ausgestellt und Menschen laufen mehr oder weniger ehrfurchtsvoll oder fassungslos oder verständnislos dann durch die Kunsträume, durch die White Cubes. Entscheidend ist, was hat er eigentlich daraus entwickeln wollen für Ideen? Und wenn die nicht zusammen gedacht werden, wenn die isoliert werden, was ja viele auch heute noch tun, die dann sagen, ja, entweder eine Kunst ist interessant, aber was er da politisch gedacht hat, ist ja absurd - oder umgekehrt, politisch finde ich den interessant, aber mit seiner Kunst kann ich nichts anfangen. Also der Film versucht, das zusammenzudenken und dann immer wieder vorzustoßen: Was ist Beuys für ein Mensch, also aus welcher biografischen, persönlichen Verwundung, was welchen Traumatisierungen heraus hat er seine Kunst entwickelt?
    Intensive Beschäftigung mit Anne Frank
    Siniawski: Der provokante, der humorvolle, der sich so gerne selbst inszenierte, das ist die eine Seite. Aber es gab noch die andere: Der im Zweiten Weltkrieg sich freiwillig bei der Luftwaffe gemeldet hat, mit dem Flugzeug abstürzte, eine fiktive Rettungsgeschichte inszenierte und an Depressionen litt. Warum hat dies seiner Popularität und Karriere nie geschadet?
    Veiel: Ich glaube, weil es ein Teil seiner Karriere ist. Also er war ja jemand, der auch – erstmal mit großer Überzeugung – in den zweiten Weltkrieg gezogen ist. Und die große Krise danach, also in den 50er Jahren, hatte für mich – aus meinen Recherchen – sehr viel miteinander zu tun. Also Mitauslöser dieser Krise war eine intensive Beschäftigung mit dem Tagebuch der Anne Frank. Am Ende dieser Krise hat er – also das war jetzt nicht eine kurze Episode –, nach drei Jahren kommt er raus aus dieser Krise und bewirbt sich bei einem Wettbewerb von der Gedenkstätte Auschwitz mit einem Mahnmalsentwurf. Das heißt, er war einer der ersten Künstler, die sich intensiv mit Auschwitz beschäftigt haben – also sieben Jahre vor dem Auschwitz Prozess, zwei Jahre vor dem Einsatzgruppen-Prozess in Ulm.
    Also von daher glaube ich, dass er mitten durch diese sehr deutsche Wunde versucht hat, sich damit auseinanderzusetzen und natürlich gemerkt hat, das ist nicht zu bewältigen, das ist auch in der Kunst nicht zu bewältigen. Und ich glaube, ein Stück weit war das, wenn man seine Werke und die Auseinandersetzung dann in den nächsten folgenden Jahren ansieht, war das immer wieder ein Ausgangspunkt: Er wollte heilen, er wollte vielleicht auch sich selbst in erster Linie heilen. Das hat er versucht, auf die Gesellschaft zu übertragen, das heißt, wenn es ihm gelungen ist, daraus zu kommen, dann muss es auch möglich sein, gesellschaftliche Entwürfe neu zu denken.
    "Beuys kann man nicht geradeaus erzählen"
    Siniawski: Andres Veiel, Sie haben sich im Ausstellungsmaterial von Eugen Blume, dem Leiter des Hamburger Bahnhofs in Berlin, vergraben, der 2008 eine Beuys-Schau kuratierte. Der Film basiert auf diesem Archivmaterial: Videos, Fotos und Audioaufnahmen, die wie gekonnt zusammensetzen und als eine Art "Durchschau von Kontaktabzügen" inszenieren. Was war Ihre Kompositionsidee dabei?
    Veiel: Wenn man sich in diese Archive hineinbegibt, dann ist es erstmal sehr haptisch, es ist Material zum Anfassen. Wir haben dann so sinnbildlich, wie in einem gigantischen Raum, in einem Archivraum, Kontaktbögen ausgelegt, alles das, was wir hatten – und die Kamera fängt an, sich über diesen Materialbergen selbst zu fokussieren, bestimmte Momente, die für uns stark waren dann aus diesen vielen Möglichkeiten herauszuzoomen und zu reisen. Und immer mit dem Versuch, letztendlich auch den Menschen Joseph Beuys darin sichtbar zu machen. Und das ist oftmals in den Momenten, wo man es nicht erwartet, das heißt, wenn ein Interview abgeschlossen ist und eigentlich normalerweise das Band schon abgestellt worden wäre, aber es läuft noch ein bisschen weiter und da kommt plötzlich was Beiläufiges, was Privates, was Humorvolles. Und in diesen Momenten zeigt sich Beuys ja nochmal ganz anders, als in den offiziellen, großen Reden und Verlautbarungen. Beuys kann man nicht geradeaus erzählen, sondern Beuys ist, glaube ich, nur im hasenhaften, im Springen durch die Materialen von einer Zeit in eine andere, nicht linear eben, von der Wiege bis zur Bare, erzählbar.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.