"Ich hatte auch immer ein bisschen Angst, wenn Mama oder Papa dabei sind zu fragen: 'Ja, denkst du denn, du stirbst?' Weil Mama und Papa wollen so was ja gar nicht hören. Weil die diesen Gedanken auch komplett verdrängt haben. Und dann habe ich Tore halt gefragt: 'Weißt du eigentlich, dass du sterben kannst?' – Und er meinte dann so: 'Ja, weiß ich.'"
Svea hat einen kranken Bruder. Die Diagnose: Lymphdrüsenkrebs. Von diesem Moment an gerät das Familienleben aus den Fugen. Alles dreht sich nur noch um ihren Bruder. Monatelang liegt er im Krankenhaus. Wie Familien mit schweren Krankheiten von Kindern umgehen, ohne zu verzweifeln, davon erzählt dieser Film: "Unzertrennlich" von der Regisseurin Frauke Lodders.
Svea: "Wir wussten schon von Anfang an, dass ihn das nicht aus der Bahn haut. Er hat ja auch teilweise seine Medikamente nicht genommen, weil sie ihm nicht geschmeckt haben. Wo man sich eigentlich nur an den Kopf packen kann, weil das Leben auf dem Spiel steht und der Spacko nimmt seine Medikamente nicht, weil er keinen Bock hat."
"Das war selbstverständlich, dass ich Gebärdensprache gelernt habe"
"Warum Alma so behindert ist, das war nie Thema. Die ist halt so. Dieses nach dem Warum zu fragen, ist für mich… das mache ich eigentlich selten. Das bringt leider nichts, das ändert ja nichts an dem, wie es ist."
Sagt die Mutter von Alma. Ihre Tochter ist mit einer schweren Stoffwechselerkrankung auf die Welt gekommen, Trisomie 18. Bei der Erkrankung bilden sich die inneren Organe zurück. Schwere Entwicklungsstörungen sind die Folge. Die kleine Alma muss nachts beatmet werden, sie kann weder sprechen noch hören. Sie ist aber ein sehr lebendiges, fröhliches Kind. Ihr älterer Bruder Gustaf musste lernen, mit der Behinderung seiner kleinen Schwester umzugehen. Er weiß heute, dass seine Schwester kaum Chancen hat, alt zu werden.
Gustaf erzählt: "Das war für mich nach einer Zeit selbstverständlich, dass ich Gebärdensprache gelernt habe…"
Doch dabei blieb es nicht. Gustaf musste auch mehr Aufgaben im Haushalt übernehmen. Kümmert sich um die kleine Alma, nicht nur im Urlaub. Wegen der Behinderung seiner Schwester wird er in der Schule gehänselt. Er verteidigt sie, spielt mit ihr. Wenn seine Mutter nicht kann, bringt er abends schon mal die kleine Schwester ins Bett. Eine Krankenschwester bleibt über Nacht zur Beobachtung im Kinderzimmer, sie schließt Alma an ein Beatmungsgerät an. Eine Situation, an die sich keiner in der Familie gewöhnen kann. Vor diesem Hintergrund ist es vielleicht überraschend, dass viele Geschwister dieser schwer erkrankten Kinder sagen, sie möchten später einmal in soziale Berufe gehen.
"Alma ist dadurch, dass die immer so eine Art anderer Aufmerksamkeit bedarf, schon auch ziemlich ´ne Prinzessin. Lässt sich nicht immer verhindern, ich bin da gar nicht so, dass ich die bevorzuge – überhaupt nicht. Ich mache Alma auch nicht zur Prinzessin wegen ihres Verhaltens oder wegen ihrer kleinen roten Zöpfchen, sondern weil sie einfach öfter hinfliegt. Weil die nachts nicht atmen kann. Weil wir ganz anders miteinander reden. Das hebt die schon auf eine andere Stelle in der Familie. Die muss immer anders einsortiert werden", sagt Almas Mutter.
Die Eltern plagt das Gewissen
Der Film "Unzertrennlich" zeigt die Licht- und Schattenseiten des Lebens mit behinderten Geschwistern. Die glücklichen Momente, wenn so etwas wie normaler Alltag möglich ist, aber auch die ständige Ausnahmesituation, an der viele Ehen zerbrechen. Auch Susanne Okroy hat den Film gesehen und findet ihn gelungen. Die Erzieherin ist Leiterin der pädagogischen Einrichtung "Erlenbusch" der Martha-Stiftung in Hamburg. Dort leben schwerst- und mehrfachbehinderte Kinder in kleinen WGs zusammen, zur Entlastung der Familie.
Okroy sagt: "Das fällt nicht vom Himmel. Fast alle, die hier sitzen, haben ein schlechtes Gewissen. Das, was ich mache, ist ja eine Einrichtung zu leiten. Hier leben Kinder mit komplexen schwerst-mehrfach Behinderungen. Lauter Kinder, wo sich die Eltern entschieden haben, ihr Kind in diese Obhut zu geben. Die geben ihre Kinder weg. Das heißt, sie haben ein schlechtes Gewissen, weil sie ein Kind mit Behinderung haben oftmals. Und dann noch ein schlechtes Gewissen, weil sie das Gefühl haben, schlechte Eltern zu sein, weil sie ihr Kind weggeben. Und Gustafs Eltern haben für sich den besten Weg gewählt. Sie haben sich Hilfe geholt in Form dieser Nachtschwester. Sich auch jemanden Fremden ins Haus geholt, was auch eine totale Belastung ist, das kann nicht jeder. Also insofern würde ich sagen: alles richtig gemacht. Gustaf mit reingeholt ins Boot, den gestärkt. Also wirklich eine beachtliche Familie, ganz beachtenswert. Toll!"
Es ist wichtig, sich Hilfe zu suchen
Okroy kennt das permanente schlechte Gewissen der Eltern. Besonders die Mütter fragen sich, ob sie in der Schwangerschaft etwas falsch gemacht haben. Sie möchten auch schnell eine Diagnose. Und dann zu erfahren, dass das Kind so ist, wie es ist und das alles so gehört bei der Erkrankung, das sei eine Erleichterung für die Eltern. Aber eine Haltung, die man sich erarbeiten muss.
"Ich glaube, dass Alma in einer sehr guten Familie angekommen ist. Das ist eine Familie, die kann das. Die haben das auf hervorragende Weise gezeigt. Auch der Bruder Gustaf hat mich sehr beeindruckt, wirklich super. Und auch die ganze Familie, die sich eben gebärdend mit diesem Kind verständigt."
Bis dahin ist es manchmal ein langer, mühevoller Weg – zu erkennen, dass man alleine die Belastung nicht tragen kann. Eine andere porträtierte Familie im Film fand erst sehr spät Hilfe. Ein Bruder hatte bereits Begleiterkrankungen wie Asthma als Folge des psychologischen Drucks entwickelt. Während der ältere Bruder sich offenbar gut abgrenzen konnte, dabei aber zugewandt blieb. Rücksichtnahme sei wichtig, aber auch, dass die Kinder Abgrenzung lernen und nicht alles hinnehmen, sagt Susanne Okroy.
"Ich war geradezu erleichtert, als dann der Zeitpunkt kam, wo die Mutter dann in diesem Kinderhospiz, wo man ja häufig denkt, da geht’s zum Sterben hin - das stimmt ja gar nicht, das sind ja auch Angebote der Kurzzeitpflege und der Beratung. Wo sich diese Mutter dann diese Hilfe auch geholt hat. Für sich und ihre Tochter und dem Kind auch mal eine andere Möglichkeit der Freizeitgestaltung eröffnet hat, als immer nur mit dem kleineren Bruder unterwegs zu sein, der eigentlich das tun muss, was sie gerne möchte."
Der Film "Unzertrennlich" von der Regisseurin Frauke Lodders kommt am Donnerstag (17.1.) in die Kinos.