"Früher in meiner Jugend sagte ich immer, die Pionierpflanzen sind für mich gesellschaftspolitische Gesinnungsgenossen, weil wir dasselbe tun im Leben: Von der Nische aus etwas verändern!"
Wie Schneeflocken fliegen Pollen und Samen durch die Züricher Nacht, die ein älterer, fast mysteriöser Herr in Hut und Anzug über die Stadt verteilt. Monate später sind dann in der ganzen Stadt seine Blumengraffitis zu sehen. Maurice Maggie ist ein Guerilla Gärtner. Einer von vielen punkig- schrägen Protagonisten, die der Dokumentarfilmer Nicolas Humbert auf seiner filmischen Reise durch die Schweiz und die USA getroffen hat. In "Wild Plants" spürt der Regisseur einer nahezu anarchistischen Symbiose von Pflanzen und Menschen nach, die in den letzten Jahren immer stärker in den Stadtbrachen wuchert:
"Die Pflanze kann eine Inspirationsquelle für uns sein, und zwar auf unterschiedliche Weise, das spürt man in diesem Film und das war mir ganz wichtig: Dass es einen politischen Aspekt gibt in dem Film, wo Aktivismus mit Pflanzen realisiert wird, dass es aber auf der anderen Seite auch einen spirituellen Aspekt gibt, der über das Gegenwärtige hinausführen kann. Insofern heißt der Film auch "Wild Plants", und in erster Linie sind es die Menschen, die die "Wild Plants" sind."
Anarchistische Selbstversorgung
"Wild Plants" ist ein poetischer Film ohne Erklärungen, der dem Kreislauf von Werden und Vergehen über die Jahreszeiten von Winter zu Winter folgt – eine Entdeckungsreise für die Zuschauer in symbolhaft-schönen Bildern: Eine Nah-Einstellung von einem Ei in einem Vogelnest auf dem Kompost etwa oder Momentaufnahmen des floralen Aktivisten Maurice Maggie. Am stärksten beeindruckt im Film jedoch die anarchistische Selbstversorgung. Zwischen Ruinen des zusammen gebrochenen Detroits etwa betreiben Kinga und Andrew Ackerbau und werden dabei nicht selten von anderen schräg angesehen, wie Andrew erzählt.
"They look at me like I am crazy, when I am picking fruits from the ground or even from a tree. If it ‘s not from the store ,they are like: I don’t want that. They don ‘t think it comes from the soil, when they buy it in the store – they are totally cutt off!”
"Wild Plants" zeigt diese Naturentfremdung des Menschen, der Obst nur noch aus dem Supermarkt kennt, indem der Film Menschen portraitiert, die für sich Möglichkeiten gefunden haben, ihre Verbindung zur Natur wiederherzustellen. Bild und Ton lassen sich im Film dabei von den Protagonisten immer wieder inspirieren, um diese Verbindung sinnlich erfahrbar zu machen– zum Beispiel hier, als Andrew erklärt, dass er trockenes Holz beim Holzhacken schon am Klang erkennt:
"That’s a nice sound, but I know it’s wet. But when I take a piece of dry wood, like that ash I am talking about: This is something thats dry and ready to go.”
Widerstand gegen Konsum- und Leistungskultur
Mit teils elektronischer Musik des Berliner Komponisten Zeitblom und immer wieder mit einprägsamen Bildern, wie zum Beispiel dem eines Hundes, der durch die überwucherten Ruinen von Detroit streift, schafft der Film einzigartig poetische Momente, die einen erblühenden Widerstand gegen Konsum-und Leistungskultur zeigen. Diese Art des Filmemachens ist typisch für Nicolas Humbert. Er überfordert nicht mit Informationen und Geschichten, sondern setzt eher auf Improvisation, lässt Wirklichkeit für sich sprechen.
"Die Drehbücher werden bei der Art Filme, wie ich sie gemacht habe, eigentlich immer erst nach der Montage geschrieben. Das heißt, es gibt ne ziemlich starke gedankliche Vorarbeit, wo viele Elemente wie ein großer Steinbruch zusammenkommen und dann zieh ich los mit kleinem Team, um vielleicht etwas von dem, was in dem Steinbruch vorhanden ist, zu finden, aber mich auch ganz stark überraschen und inspirieren zu lassen, von dem, was mir begegnet."
Mit einem im Kino kaum vorhandenen Mut zum ästhetisch durchkomponiertem Filmgedicht zeigt "Wild Plants" wie Urban-Guerilla Gardener an Unorten wie Industrieruinen den aktuellen Zerstörungs- und Krisenszenarien trotzen. Aber der Film verschweigt auch nicht, wie viel harte körperliche Arbeit - und Arbeit an sich selbst - nötig ist, um nicht die Welt, sondern erst einmal konkret das eigene Leben zu verändern. Vielleicht ist "Wild Plants" gerade deshalb ein Film, der Mut macht. Mehr kann man von einem Film eigentlich nicht erwarten.