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"Dokumentationsstelle Politischer Islam" in Wien
Modellcharakter für Deutschland?

Die österreichische Bundesregierung aus ÖVP und Grünen hat vor einigen Monaten die "Dokumentationsstelle Politischer Islam" ins Leben gerufen. Es geht um die Erforschung von religiös motiviertem politischem Extremismus. Eine Stelle mit Pioniercharakter, die durchaus umstritten ist.

Von Michael Hollenbach |
Wien: Werner Kogler (Die Grünen,l), Vizepräsident von Österreich, und Sebastian Kurz (ÖVP), Bundeskanzler von Österreich, sprechen bei einer Sondersitzung des Nationalrates zum Terroranschlag im Parlamentsausweichquartier in der Wiener Hofburg.
Die österreichische Regierung hat die "Dokumentationsstelle Politischer Islam" ins Leben gerufen (APA/Herbert Neubauer)
Lisa Fellhofer ist Politologin. Sie leitet die neue Dokumentationsstelle. Sie definiert den Politischen Islam so:
"Der politische Islam ist eine Herrschaftsideologie, die versucht, einen Staat, die Gesellschaft und die Politik zu beeinflussen und zu gestalten anhand von Werten, die die Akteure des politischen Islams selber als islamisch bezeichnen, die aber von der Mehrheit der Muslime nicht geteilt werden. Und das sind auch Werte, die gegen Menschenrechte sind, die sich gegen die Demokratie richten und die sich auch gegen unseren Verfassungsstaat richten."
Und die Definition des Münsteraner Islamwissenschaftlers Mouhanad Khorchide, der den wissenschaftlichen Beirat, leitet, lautet so:
"Es handelt sich hier um eine ähnliche Ideologie, wie die des Terrorismus. Zwar ist der politische Islam in seiner Variante in Europa gewaltfrei und meint, wir setzen uns nicht mit Mitteln der Gewalt durch, sondern wir streben das Durchsetzen unser Ziele über demokratische Wege, aber letztendlich um die Demokratie selbst außer Kraft zu setzen."

"Für mich ist der Begriff befremdlich"

Doch der Begriff des Politischen Islam, der irgendwo zwischen Dschihadismus, militantem Islamismus und dem religiösen Mainstream-Islam eingeordnet wird, ist vor allem jenseits der Wissenschaften umstritten. Abdessamad El Yazidi ist Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland:
"Für mich ist der Begriff des Politischen Islams natürlich sehr befremdlich. Wir im Zentralrat der Muslime rufen seit Jahrzehnten dazu auf, dass sich junge Muslime für ihr Land interessieren, dass sie an der Politik, in Gewerkschaften partizipieren, dass sie ihre Stimme erheben, dass sie sich engagieren in der Gesellschaft: Wenn das jetzt unter diesen Begriff des politischen Islams nicht mehr möglich ist, dann haben wir in Deutschland ein großes Demokratieproblem."
Das sei eine krasse Fehlinterpretation, sagen Kritiker des Zentralrats: Denn es gehe nicht darum, dass Muslime sich nicht mehr politisch engagieren sollten oder dürften.
Straftatbestand politischer Islam - "Dieser Begriff ist völlig vage"
Bundeskanzler Sebastian Kurz will einen Straftatstand "Politischer Islam" einführen. Der Jurist und Islamwissenschaftler Mathias Rohe hält das für nicht zielführend.
Es gehe vielmehr, sagt Mouhanad Khorchide, um eine demokratiefeindliche Auslegung des Islam:
"Der Westen wird pauschal als der Feind des Islams deklariert. Das heißt: Junge Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind in Europa, können sich zwar strukturell integrieren, in das Bildungssystem, auf dem Arbeitsmarkt, aber die Ideologie des politischen Islams sagt denen: 'Identifiziert euch nicht mit den Gesellschaften Europas; das sind eure Feinde. Wir müssen uns gut integrieren in den Gesellschaften Europas, um sie zu unterwandern, um sie umzugestalten, aber von innen.' Und das macht das Ganze gefährlich."

"Wissenschaftlicher Auftrag" versus "Generalverdacht"

Gefährlich, - so Khorchide - weil die demokratiefeindlichen Ziele nicht offen propagiert würden wie bei militanten Salafisten. Deshalb sei es wichtig, islamistische Strukturen und ähnlich gelagerte Ideologien zu erforschen und offenzulegen, betont auch Lisa Fellhofer. Den Vorwurf, die Dokumentationsstelle Politischer Islam sei eine Art Verfassungsschutz, weist deren Leiterin zurück:
"Wichtig zu wissen ist aber, dass die Dokumentationsstelle keine Sicherheitsbehörde ist, sondern die Dokumentationsstelle hat ganz klar einen wissenschaftlichen Auftrag, sich aus Forschungssicht mit dem Politischen Islam und den Problemen und Herausforderungen des politischen Islam zu beschäftigen."
Ein Teilnehmer der Erdogan-Großkundgebung anlässlich des gescheiterten Putschversuchs in der Türkei mit ca. 20.000 Erdogan-Anhängern in der Deutzer Werft in Köln reißt die Arme hoch und zeigt den Gruß der türkisch-nationalistischen Organisation der "Grauen Wölfe"
Die türkisch-nationalistischen "Grauen Wölfe" können in Deutschland bislang weitgehend frei agieren (Imago)
Entscheidend sei es, auch diese Gruppierungen zu durchleuchten und deren Wirken zu analysieren. Zu diesen Gruppen zählt Khorchide beispielsweise den islamistischen Geheimbund der Muslimbrüder sowie die türkisch-nationalistischen Grauen Wölfe und auch Milli Görüs.
"Das beginnt schon mit Kindergärten, die zum Teil auch so schöne Namen bekommen: 'interkulturell', 'dialogbereit', was auch immer. Da muss man genauer hinschauen: Was wird da vermittelt in solchen Kindergärten, die zum politischen Islam gehören? Schulen, private Schulen, Bildungsinstitutionen, auch Moscheegemeinden, Gruppierungen, da und dort Jugendarbeit - das muss man genau erfassen. Wenn man es schafft, diese Quellen zu unterbinden, dann öffnet man die Möglichkeit für einen friedlichen Islam, einen spirituellen, ethischen Islam, dass der sich entfaltet."
Für Abdessamad El Yazidi, den Generalsekretär des Zentralrats der Muslime, lässt sich der Politische Islam dagegen nicht so einfach abgrenzen von anderen islamischen Gruppierungen. Seine Befürchtung:
"Ich halte von einer Dokumentationsstelle unter dem Namen des politischen Islams gar nichts. Dieser Begriff stigmatisiert Muslime in Gänze und er schürt Ressentiments, Generalverdacht gegenüber einer Glaubensgemeinschaft."

Es braucht gute Studien

"Es ist nicht Ziel und Aufgabe der Dokumentationsstelle, Muslime generell zu beobachten oder unter Verdacht zu stellen. Dem möchte ich klar entgegentreten. Es ist wichtig, zwischen der Religion des Islam und dem Politischen Islam zu unterscheiden."
Sagt Lisa Fellhofer. In einem ersten Papier hat sich die Dokumentationsstelle mit der Begrifflichkeit "Politischer Islam" befasst sowie mit dem Wirken der Muslimbruderschaft. Der Bericht kommt zu dem Schluss:
"Die Narrative der Bruderschaft, die eine Opfer-Mentalität forcieren und in verschleierter Form Gewalt legitimieren, können als ideologische 'Durchlauferhitzer' gesehen werden, welche den Grundstein zu einer weiteren Radikalisierung legen können und damit die Rekrutierungsbestrebungen dschihadistischer Gruppierungen erleichtern."
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Ein Manko dieses ersten Berichts, so der Grazer Religionswissenschaftler Franz Winter: Er basiere im Wesentlichen auf einer drei Jahre alten, durchaus umstrittenen Studie über die Muslimbruderschaft. Spannender, so Winter, dürfte es werden, wenn sich die Dokumentationsstelle dem türkisch-nationalistischen Islam zuwendet. Trotz aller Kritik von muslimischer Seite – gerade für Muslime könnte die Arbeit der Dokumentationsstelle fruchtbar werden, meint der Religionswissenschaftler Franz Winter:
"Wenn man als Stelle sich gut und sauber aufstellt und man gute und saubere Studien vorlegt, dann würde mittelfristig die islamische Community davon profitieren."

Das Feld nicht den Rechten überlassen

So könnte sich - für alle sichtbar - die demokratiefeindliche Spreu vom muslimischen Weizen trennen, so Winter. Würde dies in Österreich gelingen, könnte das Modellcharakter haben. Der in Münster lebende Österreicher Mouhanad Khorchide leitet den wissenschaftlichen Beirat der Dokumentationsstelle Politischer Islam in Wien und er ist Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster. Er plädiert dafür, dass auch die deutsche Bundesregierung eine ähnliche Forschungsstelle einrichtet:
"Ich würde mir wünschen, dass auch die deutsche Politik hier mehr Mut zeigt. Denn wir beobachten auch ein Phänomen, dass Politiker zwar unter vier Augen in Gesprächen zugeben, es gibt ja Probleme, die Muslimbruderschaft, die da und dort stark vertreten ist, auch die Grauen Wölfe sind Teil von anerkannten Verbänden, die am Tisch sitzen mit dem Bundespräsidenten, mit hochrangigen Politikern. 'Aber wir haben Angst', sagen viele Politiker. 'Wir haben Angst, dass wir als Islamophobe und Rassisten hingestellt werden, wenn wir Muslime kritisieren.'"
Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie der Universität Münster, spricht im Neuen Schloss beim gemeinsamen Fastenbrechen im Ramadan.
Mouhanad Khorchide sieht in der Integration von Muslimen einen wichtigen Beitrag zum Kampf gegen den Islamismus (picture-alliance/dpa/Fabian Sommer)
Um dem Politischen Islam den Boden zu entziehen, sei es einerseits wichtig, ihn zu enttarnen. Aber auch, den Muslimen in Deutschland nicht nur formal auf dem Arbeitsmarkt eine Perspektive zu bieten, sondern sie voll in die Gesellschaft zu integrieren:
"Die Frage der Identifikation mit der Gesellschaft, dass man es schafft, auch von einem großen Wir zu sprechen, dass wir Muslimen zeigen, ihr seid anerkannt, ihr seid ein selbstverständlicher Teil dieser Gesellschaft und nicht Wir und die anderen, die Muslime."
Den Vorwurf von Kritikern, dass man mit der Wiener Dokumentationsstelle Politischer Islam den Forderungen der rechtspopulistischen FPÖ nachgeben würde, diesen Vorwurf weist Mouhanad Khorchide zurück.
"Den Rechten ist am besten gedient, wenn wir Probleme verschweigen, unter den Teppich kehren. Dann nehmen die Rechten das in die Hand, und dann fühlt sich die Bevölkerung gerade von den Rechten besser verstanden, weil die sagen, die nehmen unsere Ängste ernst und reden darüber; die anderen verschweigen das. Das heißt, wir müssen selbst, am idealsten wenn Muslime immer mehr Selbstkritik äußern, dass die selber ihre Strukturen gegen den politischen Islam, gegen Salafismus, gegen all die menschenfeindlichen Ideologien im Namen des Islams selber in die Hand nehmen und denen den Kampf erklären, damit man diese Karten nicht den Falschen überlässt."