"Die neue Ausstellung schafft es ja dank der Mitarbeit internationaler Historikerinnen und Historiker, die Vertreibung in den Kontext der NS-Terrorherrschaft zu setzen. Das ist ein großer Fortschritt und das ist ein Unterschied zu der Debatte 2005 bezüglich des Zentrums gegen Vertreibung von Erika Steinbach. Aber dieser Fortschritt wird de facto bei der Umsetzung nicht eingelöst."
Vertreibung nicht auf Osteuropa begrenzen
Sagt Kamil Majchrzak. Der Jurist Majchrzak kam 1976 in Wrocław zur Welt, dem früheren Breslau. Seit langem lebt und arbeitet er in Berlin. Er kämpft für die Rechte Überlebender des NS-Terrors und engagiert sich für Gedenkorte in Deutschland, die an Polen erinnern. Die Dauerausstellung im gerade eröffneten Zentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung sieht er kritisch. Jedenfalls im Blick auf das Bild der Deutschen.
"Man merkt, wie Vertreibung nach wie vor reserviert ist für eine Erzählung von Deutschen für Deutsche über Deutsche. In dieser Erzählung tauchen die anderen Deutschen gar nicht auf. Die anderen Deutschen, das sind die bereits 1933 verfolgten und vertriebenen und ermordeten Juden. Es sind die deutschen Sinti und Roma. Es sind aber auch Minderheiten. Auch die polnische Minderheit gehört dazu, die enteignet und in Konzentrationslager verschleppt wurde, vertrieben von ihrem Arbeitsplatz, vertrieben von ihrer Heimat Deutschland."
Der Großvater von Kamil Majchrzak überlebte Auschwitz und andere deutsche Lager. Majchrzak wurde 1997 in Frankfurt/Oder von Neonazis mit dem Baseballschläger schwer verletzt. Der Begriff Vertreibung wecke in Deutschland teilweise falsche Vorstellungen, sagt er. Er enge ein.
"Man kann nicht die Geschichte der Vertreibung ab 1945 schreiben und sie auf Osteuropa begrenzen, auch wenn das politisch so gewollt war."
Entspannung auf polnischer Seite
In Polen haben Politiker und Medien die Eröffnung des Dokumentationszentrums indes gelassen bis desinteressiert aufgenommen. Es gab auch Anerkennung für das endgültige Konzept unter der Leitung von Gundula Bavendamm:
"In Polen regiert heute eine Partei oder eine Regierung, die sehr gern gegen Deutschland schießt, um politisches Kapital zu schlagen. Und dass es nicht der Fall ist, jetzt, in Bezug auf das Zentrum in Berlin, ja das finde ich, ist ein gutes Signal."
Wojciech Szymański lebt seit vielen Jahren als Journalist in Berlin. Er arbeitet für deutsche und polnische Medien. Die polnische Entspannung beim Thema Dokumentationszentrum deutet er so:
"Es hat schon etwas damit zu tun, dass Erika Steinbach nicht mehr dabei ist, die man in Polen als problematisch angesehen hat, zum Beispiel die Abstimmung im Bundestag gegen die Anerkennung der Grenze mit Polen. Das ist weg."
Viele Vetriebenenverbände im Stiftungsrat
Auch wenn das Dokumentationszentrum die polnischen Gemüter nicht mehr so erhitzt wie einst, bleiben kritische Fragen. Sie zielen auch auf die Vertriebenenverbände im Stiftungsrat des Zentrums. Ihre Vertreter sind dort überrepräsentiert.
"Bei den Veranstaltungen, an denen ich teilgenommen hab, gab es ja auch einige der Vertriebenenverbände, die sehr stark das Argument genutzt haben, dass man eben die Heimat wiederhaben wolle."
Sagt Nathalie Wasserman, Managerin von polnisch-deutschen Kulturprojekten in Berlin. Ihre Eltern kamen kurz vor ihrer Geburt aus Danzig nach Berlin. Ihr Großvater stammte aus dem ehemaligen polnischen Osten, der 1945 der Sowjetunion zufiel.
"Was persönliche Spurensuche angeht, das ist sehr wertvoll, denke ich. Und da kann auch eine Menge Versöhnung stattfinden. Aber eben in den herrschenden Grenzen. Es ist jedem freigestellt, die Orte wieder aufzusuchen. Und ich kenne viele persönliche Geschichten, bei denen auch die neuen mit den alten Einwohnern in Dialog gekommen sind. Es darf halt nicht revisionistisch werden."